juni 1996

an uns

LeserInnenbriefe

Zum Leserinnenbrief von Nicole Baïer im Mai-kunstfehler

Angeregt durch den Leserinnenbrief von Christine P. an Axl M. im Mai-kunstfehler möchte auch ich mich von außen in das intime Ge-Chatter der ARGinternE einloggen, in der berechtigten Hoffnung, daß wenigstens mich keine/r kennt.

Trotz allen Verständnisses für die Kritik am euphorischen Techno-Subversions-Gefasel der ARGE-ASS-KICK-MACHINE-MUSIC-MACHOS im meistdiskutierten kunstfehler-Artikel des Jahres, der sich durch Verwendung besagter Fotografie tatsächlich auf wunderbare Weise selbst dekonstruierte, kann ich nicht umhin, auch der Protestbrief-Verfasserin Nicole B. zu gratulieren, die mit ihrem im Rahmen der hoffentlich noch lange andauernden und immer groteskere Züge annehmenden Diskussion zu diesem Thema bemühten Begriff des INTIMSTEN eine (vielleicht doch nicht ganz) neue Kategorie des Sublimen in das lokale Lexikon der ALWAYS politisch-korrekten Linksschreibung eingeführt hat. Angesichts der selbst mir aus diversen Lehrwerken des wissenschaftlichen Feminismus bekannten Tatsache, daß im Verlauf des patriarchal-historischen Diskurses um das weibliche Geschlecht, der gesamte Körper (und, soweit als vorhanden angenommen, auch der Geist) der Frau sexualisiert wurde, das von Nicole B. so eindeutig lokalisierte WEIBLICHSTE sich also wie ein zur diskreten Pflege dieser SPHÄRE dienender Spray verflüchtigt und auf alle umliegenden Zonen übergegriffen hat, schlage ich zum Zweck einer weiteren Radikalisierung der Positionen vor, im kunstfehler zukünftig gänzlich auf die fotografische Abbildung von weiblichen Personen zu verzichten, um so dem selbst bei der Darstellung von zugeknöpften Damen ohne Unterleib drohenden Mißbrauch als (mentale) Masturbationsvorlage durch polymorphe Hals-Nasen-Ohren-Fetischisten oder gar durch einen sich zu uns verirrten Angehörigen jenes Kulturkreises vorzubeugen, in dem aufgrund der erotischen Besetzung der (weiblichen) Augen ebendiese üblicherweise einer (Zwangs)Verhüllung unterliegen. Vielleicht sollte aber auch im Sinne eines gesunden, exemplarisch-revolutionären (Neo)Ikonoklasmus, für den es in der abend- und morgenländischen Geschichte zahlreiche Beispiele gibt, überhaupt auf die Verwendung von Bildmaterialien verzichtet werden, zumal die kommunikationswissenschaftlich-medientheoretisch evidente Erkenntnis von der unvermeidbaren Instrumentalisierung des Blicks bzw. seines Objektes durch die Kamera dies ohnehin schon lange nahelegt. Das wußten ja bekanntlich bereits jene sprichwörtlichen Naturmenschen, die sich dem fotografischen Blick ihrer Eroberer in gleichsam instinktiver Medienkritik mit der Begründung verweigerten, sie hätten Angst, man(n) wolle ihnen ihre Seele stehlen. In diesem antiquierten psychosozialen Konstrukt würde ich übrigens wohl auch mein ganz persönliches INTIMSTES eher zu finden hoffen, als in der Schrittfalte meiner Levis 501 - mit oder ohne abgesägte Hosenrohre.

Was den bilderlosen kunstfehler der Zukunft betrifft, so wäre es doch nett, wenn jede/r Autor/in zur visuellen Auflockerung des politisch-korrekten Kleingedruckten im Stil einer aus dem orientalischen Bilderverbot bekannten Ornamentik ihren/seinen jeweiligen Beitrag zumindest mit einer selbstgestalteten ZIERZEILE versehen könnte.

Mit intimen Grüßen

W.Wolf, 5020 Salzburg

So what's in the Mottenkiste?

Zu den »What's That Noise« - Widerreden von Ludwig Laher im April- kunstfehler

Wer sich selbst in der »Mottenkiste konservativer Bildungsbürger jeglicher Couleurs« verortet, soll sich nicht wundern, wenn ihm plötzlich die Mottenkugeln um die Ohren fliegen. Da Mottenkugeln immer ihren Bestimmungsort erreichen, weil ihr Bestimmungsort eben dort ist, wo sie ankommen, verwundert es auch nicht, daß aus der sich als Mottenkugelziel angesprochen fühlenden Mottenkiste ein zurechtweisender Ordnungsruf erschallt, wie ihn selbst Helmut Zilk nicht besser formulieren hätte können.

Damit haben wir kein Problem. Es kann aber niemand von uns verlangen, daß uns diese Form der Auseinandersetzung auch noch anturnt. Da kommt uns nämlich unser »brav angehäuftes Bildungsgut in die Quere« (jene »gefährlichen Aussagen« und »ungeheuerlichen Textpassagen«, die angetreten sind, »Herz und Hirn von Mann und Frau zu beleidigen«, weil ein Denken in Widersprüchen der Installation einer New Order vorgezogen wird).

Deshalb sagen die »ARGE-ASS-KICK-MACHINE-MUSIC-MACHOS« (vgl. den Leserbrief von W. Wolf) auch klipp und klar: Es gibt Leute, für die sind wir gerne »ARGE-ASS-KICK-MACHINE-MUSIC-MACHOS« und Schlimmeres. Nur soll sich, wer in dieser unübersichtlichen Welt mit ihren »scheinvirtuellen (sic!) gerasterten Versatzstücken« den Rückgriff auf alte Dichotomien und Ordnungshierarchien immer noch als probates Mittel sieht, um sich der Sicherheitsgurte seiner Existenz und Identität zu vergewissern, nicht wundern, in welchem Club er/sie plötzlich Mitglied ist.

Mario Jandrokovic/Didi Neidhart, kunstfehler-Redaktion

Zur EU-Serie der letzten Monate

EU-JEH!!

Die politischen Ereignisse der letzten Monate und Wochen gaben Anlaß genug, um nachdenklich zu werden und sich einige Fragen zu stellen wie etwa jene, ob wir noch zu retten sind. Das mutet vielleicht etwas obskur und apokalyptisch an. Aber stellen wir uns doch der Tatsache, daß sich diese Ereignisse nicht auf das politische Geschehen beschränken, sondern auch den Anfang tiefgreifender gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderungen bedeuten. (...)

• Ein alter Hut - aber noch immer aktuell und unbeantwortet:

Wie ehrlich ging es bei der Volksbefragung zum EU-Beitritt bzw. bei der sogenannten »Aufklärung« über die EU tatsächlich her? Wurden hier nicht die Vorteile eindeutig übergewichtig hervorgestrichen, während die Nachteile bzw. die Konsequenzen eines EU-Beitrittes (...) verschwiegen wurden?

• Wer ist böse?

(...) Der common sense ist, daß die EU insgesamt sehr viele Vorteile habe, daß diese die Nachteile, die eben erst jetzt spürbar werden, aufwiegen würden. All jene aber, die das System der EU schärfer kritisieren, sind entweder Pessimisten, Fortschrittsverweigerer, Phantasten oder Frustrierte und sozusagen verschlossene EU-Verlierer. Zweifelsohne hat die EU auch Vorteile. Das Ungeheure aber ist, daß über ihre Nachteile, Gefahren und Probleme auch heute noch nicht offen geredet wird, als würde es diese gar nicht geben.(...)

• Peanuts und Details, aber dennoch sehr aufschlußreich:

Das EU-Telefon und die Werbekampagne mit etwa dem Slogan »Erstmals billigere Lebensmittel seit 1945. Warum, glauben Sie?«. (...) Von den versprochenen 1.000 Schilling Ersparnis für jeden Haushalt kann doch bis heute keine Rede sein. Und selbst wenn Schlagobers und Butter billiger geworden sind, so kosten halt die Straßenbahn oder der O-Bus mehr, befinden sich die Bankzinsen auf Talfahrt und für immer mehr Dinge muß extra bezahlt werden (Erlagschein-Einzahlungen, Entsorgung für Müll, den selbst der umweltbewußteste Ökofreak nicht vermeiden kann, usw.). (...)

• Alles schon entschieden...

Die jüngste Meldung unseres Außenministers: Über einen NATO-Beitritt und die Aufgabe der Neutralität brauche man doch wirklich nicht mehr diskutieren, denn das sei mit der EU-Abstimmung vom 12.6.1994 schon entschieden worden. Daß davon zuvor nur sehr spärlich die Rede war und sich die meisten Menschen, die - zum Teil sind sie ja selber schuld - vielleicht bloß die 1.000 Schilling Ersparnis und billigere Autos vor Augen hatten, dessen nicht bewußt waren, hat Schüssel nicht erwähnt. So bekommt man halt die Rechnung im nachhinein präsentiert. Wen das zurecht ärgert, der hat halt Pech gehabt. EU-jeh! Da frage ich mich schon, ob dies der politische Stil der nächsten Jahre sein wird. (...)

Mag. B. Judex, 5020 Salzburg