august 1996

Mario Jandrokovic
gehört

Urban Reggae

(alle Vertrieb Extraplatte)

Die Platten von On-U-Sound, des legendären vom Produzenten Adrian Sherwood zu Beginn der Achtziger gegründeten Labels, einfach nur ins Reggae-Eck zu stellen, wäre ein wenig dünn: Ausgehend von demjenigen, was gemeinhin als »Roots« lokalisierbar ist, drehte und dreht Sherwood in einem quirligen Kombinationsspiel die Spirale dessen, was irgendwo einmal von einem umreißbaren Stil ausgegangen ist, in schwindelerregende Höhen (siehe auch African Head-charge, Singers & Players etc.). Kein Scheiß, wenn er behauptet, sein Instrument sei das Studio. Ein weiteres Kapitel von Reggae, in dem die ominösen und vielzitierten »Wurzeln« zwar vorhanden sind, jedoch (wortwörtlich) nur noch als Echo, ist »Ital Breakfast« von Dub Syndicate. In alter On-U-Sound-Manier als transatlantischer Feed-back zwischen Jamaica und England aufgenommen, präsentiert sich hier ein vitaler, dynamischer Bastard fernab von auf Bodenständigkeit pochendem Reggae-Jargon der Eigentlichkeit.

Mit dem Sub-Label Pressure Sounds hat On-U-Sound schon vergriffene Kultplatten auf CD neu gepreßt, als Blicke zurück auf eine Zukunftsmusik, auf der die Plattenfirma aufgebaut und so die musikalische Gegenwart entscheidend mitgetragen hat. »Voodooism« von Lee Perry (Pressure Sounds 9) führt im Großen und Ganzen in die Zeit zwischen 1974 und 1977. Was sich auf dieser Platte im Gewand von Reggae präsentiert und einfach die Formensprache zwischen alttestamentarischen Psalmen, Afrika und Voodoo abzuklopfen scheint, löst dank des kühn verspielten Umganges mit einer Vielzahl an Möglichkeiten, die das Studio als Sound-Quelle hergibt, die eingrenzbaren Formate gleichzeitig auf. Jenseits des zwanghaften Bedürfnisses, alte musikalische Formeln einfach durch neue zu sprengen, schuf Lee Perry etwas Wohlbekanntes und doch nie ganz Greifbares.

Prince Far I, die einzigartige, alttestamentarisch grollende Stimme, mit der Sherwood schon in den Siebzigern gearbeitet hatte, ist auf »Cry Tuff Dub Encounter Chapter 3« (Pressure Sounds 7) vom Ende jenes Jahrzehnts nicht mehr das Subjekt am Mikro, sondern ein gänzlich in Echos und Tonschleifen aufgelöstes Instrument in einer kargen Bass & Drum-Klangmasse, überformt mit seltsamen Sounds weit jenseits von Reggae: mit Gewißheit ein entscheidender Grundstein fürRoots-befreiten Dub der Gegenwart.