august 1996

Vitruvius
geschaut

Weggeschaut: Die Mülln-Connection

Der Sieger des Gewinnspiels zur Eröffnung des Müllnerstegs wird es nach seiner Rückkehr von der Stadt am Hudson bestätigen: Die Brooklyn Bridge ist wahrlich wuchtiger als der Müllnersteg. Wen wunderts, ist jene doch Bindeglied eines mehrspurigen Highway in der einst weltgrößten Metropole. Da war in (mit Steuergeld) bezahlten Anzeigen zu lesen, daß der neue Steg über die Salzach eine grazile Konstruktion sei, was den Bogen nun wirklich überspannt. Man will ja keineswegs als Nörgler erscheinen, aber mehr als den ästhetischen Ansprüchen eines Panzerpioniers genügt dieser Nachbau sicher nicht. Die These, daß das Gegenteil des Behaupteten der Wahrheit sehr nahe kommt, fand also wieder einmal Bestätigung. Mögen sich die Verantwortlichen über ihre Kostenschätzungen und Terminplanvorgaben, die sie angeblich jeweils unterschritten haben, gegenseitig die Schultern wund klopfen, aber selbstbezahltes Eigenlob in ästhetischen Belangen, meine Herren, da riecht's zu stark. Man darf jedenfalls gespannt darauf warten, was unsere Stadtpatriarchen aufbieten, falls sie es bald zuwege bringen, ein Kongreßhaus in Auftrag zu geben. Vielleicht gibt es dann einen Flug nach Salamanca zu gewinnen. (Die kunstfehler-Redaktion verlost unter den richtigen Antworten, warum die Reise ausgerechnet ins Kastilische führen soll, sagen wir einen formidablen spanischen Roten, vorzugsweise aus der Region Navarra.)

Doch Spaß beiseite: Der neue Müllnersteg ist ein beredtes und gleichermaßen trauriges Beispiel für den Verfall des Ingenieurbaues. Wie konnte es zu einem derart langweiligen und plumpen Unding kommen, wo doch Brücken einst Aushängeschilder der Ingenieurskunst waren? Eleganz ist hier das geworden, was es seinem Vernehmen nach ist, ein Fremdwort. Die Brücke war in der Technikgeschichte immer der Inbegriff der Potenz des Menschen, die Fährnisse der Natur zu überwinden. In einem Zeitalter, das vor den Möglichkeiten der Technik erschaudernd zurückschreckt, wird sie folglich zum Ausdruck der Krise des Technischen im Verhältnis zur Natur. Mit täler-überspannenden Autobahnbrücken assoziieren wir heute nicht mehr kühnen Fortschritt, sondern Landschaftszerstörung, Stau und Smogbelastung. Hier setzt ein fataler Mechanismus der Verbrämung an, der das technisch Machbare durch das den aktuellen Verhältnissen Gemäße - und das ist in Salzburg nicht viel - ersetzt. So kommt es, daß die lokalen Planer des Müllnerstegs im Jahr 1955 noch weltbürgerlich Teilhaber an einem fortschritts-orientierten Denken sein konnten, wohingegen diejnigen des Jahres 1996, bedingt durch den Verlust des universellen Glaubens an die Technik, nur mehr lokalen Kleinmut zur Schau stellen. Wie um dies zu vertuschen, mußte man einen Flug in die Hauptstadt der Metropolen verschenken. Der Notsteg, der in Mülln nach den Bombentreffern des Krieges errichtet wurde, war einer im materiellen, dieser nun ist einer im geistigen Sinn, und traut man den Worten des amtsführenden Politikers, hält dieser Zustand mehr als 100 Jahre an.

Eine technisch reine Lösung, wie sie alle Vorgängerbauten des Müllnerstegs darstellten, wird (in Salzburg) nicht mehr geduldet, und es entsteht eine Brücke mit technizistischen Versatzstückeln in historisierender Manier. Um einem Stadtbild genüge zu tun, werden Anklänge ans Vorgestern zur Bedingung für das Neue. Aber schon allein weil unser Wissen über das Vergangene begrenzt sein muß, bereits ein Konstrukt ist, gelingt selbst das Einfache nicht mehr: Die Konstruktion der Geschichte konkurriert mit jener der Technik. Die Folge ist Verkrampfung. Man baut nicht an einer Stadt der Gegenwart, sondern an einem Klischee der Vergangenheit. Bleibt die Frage, wie viele solcher Mißgeschicke das historische Stadtbild verträgt.