august 1996

Doc Holliday

Anstoß

Ein Fixstarter der (momentan) definitiven Aufstellung der Fußball-Literatur oder einige Anmerkungen zum Medien-Kicker

»Aber was bedeutet das alles jetzt, das ist die große Frage.«

Peter Elstner, sympathischster Wort- und Sinnverdreher in der ORF-Sportredaktion, bei der EM ‘96, Rußland-Tschechien

Die begleitende Literatur zum Thema Fußball hat augenblicklich Konjunktur. Jenseits von textarmen Bilderbüchern, die in bewährter Manier nach Großereignissen wie WM oder EM auf den Markt geworfen werden, gibt es Literarisierendes, Feuilletonistisches, Satirisches, Statistisches, Politisierendes usf. in großer Zeichenmenge. Das ist prinzipiell eine gute Sache. Unkenrufe, daß die zunehmende Intellektualisierung auf ein »Ende des Spiels« verweise, sind unangebracht. Eher schon deutet manch Geschriebenes auf das Ende (gab es je einen Beginn?!) der Denkfähigkeit der Textproduzenten. Die »kulturgeschichtlich aufgeladene Fußballzeitdiagnostik« (Jürgen Roth in KONKRET) und die Politisierungsversuche werden von Rechten wie von Liksliberalen und Linksalternativen unternommen. Das eine ist meistens keinen Deut besser als das andere: Verquollene Metaphern werden auf windschiefe Bilder getürmt, eine von waghalsigem und albernem Analogismus beseelte Fußballpolitologie geht mit den Wuchtel-Philosophen durch, und schon ist der Fußball-Stiefel fertig. Sie wollen Namen? Mehr Topfen als die Schärdinger Molkerei und die österreichischen Kicker zusammen produzieren etwa der FRANKFURTER RUNDSCHAUer Helmut Böttiger, der deutsche Sprachapostel Walter Jens und der FAZ-Redakteur Dirk Schümer.

In »Wieder keine Anspielstation. Fußballexperten. Die Kommentare des Grauens« versammeln die Herausgeber die Creme der deutschsprachigen Satire aus dem TITANIC-Umfeld, z. B. den brillanten Wiglaf Droste, die kübelweise Hohn und Spott über die Sportreporter, die Fußball-»Dichter« (z.B. F.C. Delius) oder die oben bereits erwähnten Feuilletonisten vergießen. Alles sehr erhellend, gehässig und erheiternd. Aber leider auch einseitig, da nur die deutsche Spezies abgefertigt wird. Trost und Rat für die Opfer der österreichischen Variante der TV-Kommentatoren, die den Anschluß längst schon wieder vollzogen haben und eine mindestens ebenso fragwürdige Mischung aus fachlicher und sprachlicher Inkompetenz, Dampfplauderei und billigem Chauvinismus feilbieten, ist hier nicht zu finden. Wobei dieser Sprachbrei - die leeren und stereotypen Redewendungen angereichert mit Regelunkenntnis, der Unfähigkeit, Spiesituationen korrekt zu erkennen, und treffsicher ergänzt mit Häuslschmähs - beim Obersprachstolperer Peter Elstner meistens noch rührend naiv daherkommt und in seiner (unfreiwilligen) Komik einheimischen Kleinkunstprogrammen oft überlegen ist.

»Brettl vorm Kopf« hieß das bei Qualtinger/Merz; Querbalken vor den Guck, möchte man ergänzen! Die verbiesterte Ernsthaftigkeit und (Pseudo-) Wichtighuberei der übrigen ORF-Sportkommentatoren reiht sich hin- gegen nahtlos in die lange Schlange von Peinlichkeiten und Schamlosigkeiten vom Schlage unserer Noras, Veras, Barbaras, Wolframs usw. ein.

Kurz vor dem Abpfiff noch schnell drei Zitate und eine Rätselfrage:

»Meine Damen und Herren, ich kann Sie beruhigen. Am Spielstand hat sich in der Pause nichts geändert.«

(Marcel Reif, deutscher TV-Reporter)

»Wir haben ein Spiel gesehen, das den Rahmen wahrscheinlich ge-sprengt hat.«

(Aus den gestammelten Werken des bereits gewürdigten P. Elstner, Rußland-Tschechien, EM 96. Gröbere Unfälle sind wahrscheinlich übrigens nicht bekannt geworden.)

»Wenn ich einen Deutschen sehe, werde ich zum Rasenmäher.«

(Ein frommes Wort zum Sonntag und gleichzeitig die erstaunlichste und praktischste Metamorphose seit »Die Fliege, Teil 1«, vom großen Vorsitzenden der Torschützengilde Hans Krankl)

Und knacken Sie nun die Kopf-Ball-Nuß für Heim-Intellektuelle:

Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem FC Oran in Algerien und der Weltliteratur?

Auflösung und Fortsetzung demnächst in dieser Arena!

Der Autor: In- und Outwachler DOC HOLLIDAY (Einst Kanonier, nicht bei Arsenal London, sondern in Tombstone)

BUCHTIP:

JÜRGEN ROTH/ KLAUS BITTERMANN (Hg.): »Wieder keine Anspielstation. Fußballexperten. Die Kommentare des Grauens.« Edition Tiamat,

Critica Diabolis # 59, Berlin