september 1996

Peter Truschner
geschaut

Das Stolwerk

Arschbombe aus Kulturkrampf und Transzendentalphilosophie

Am Anfang war der Guru. Intendant Michael Stolhofer hatte das Festival zu Höherem berufen und wollte es ergo nicht einfach stattfinden lassen , sondern »zelebrieren«. Das Festival sollte »als Brennpunkt, als Lichtquelle für die Projektion hoffnungsträchtiger Gedankenwelten« fungieren. Der Intendant freilich überwand die Schwerkraft und entschwand mit nicht näher spezifiziertem pluralis majestatis (»wir«) himmelwärts, um dort an die »Himmelspforte« zu »hämmern«.

Die Sommerszene ‘96 präsentierte sich als Festival mit dem Leistungsvermögen eines kulturellen E-Werks. Aufbauend auf der »Solidarität mit unverzichtbaren Kultureinrichtungen« einerseits und der »Physik der Unsterblichkeit« andererseits, sollte es »transzendent, visionär und utopisch« gegen »Kulturfeindlichkeit und Ungeist« auftreten und so am »kulturgesellschaftlichen Fortschritt« arbeiten.

Man wird in den Programmen ähnlicher Festivals aus dem Jahre 1996 nichts Vergleichbares finden. Selbst die vor Europa-schmalz triefenden Salzburger Festspiele müßten vor dieser Arschbombe aus Kulturkampf und Transzendentalphilosophie in Deckung gehen. Die Sommer-szene wird, neben der vielzitierten Kultur- und Subventionsfeindlichkeit, unterschwellig von zwei weiteren Gefahren bedroht: 1. Michael Stolhofers Ambitionen, der Szene ein philosophisch- wissenschaftliches Korsett anzupassen.

2. Die nachvollziehbare Versuchung, sich schon zu Lebzeiten ein Alternativkulturdenkmal zu setzen.

Wie sehr wird dies alles einmal Auswahl und Spielraum der einzelnen Veranstaltungen einengen? Vorerst kann Entwarnung gegeben werden - zumindest gemessen an den Aufführungen der Reihe »Real Forgotten People«, die von Cis Bierinckx im Nonntaler »Metropolis« veranstaltet wurden. Den KünstlerInnen gelang es, sich in ihren Darbietungen spielerisch etwaiger programmatischer Vereinnahmungen zu entziehen - selbst der von Bierinckx vorgegeben Parole. Denn anstatt sich »um diese Real Forgotten People (zu) kümmern...«, kümmerten sich die meisten glücklicherweise weniger um karitative Belange, sondern um ihre Arbeit vor Ort - und dies mit einem rundum zufriedenstellenden Ergebnis. Alain Platel und Arne Sierens boten mit »Moeder und Kind« einen mitreißenden Ausblick auf eine Form, die die Grenzen von Theater, Tanz und Pop mühelos hinter sich läßt. Vorsicht wird hier nur dann geboten sein, wenn der Forderung des Publikums nach fortgesetzten Höhepunkten allzu sehr nachgegeben wird und choreographische Virtuositäten zu zirkusartigen Dressurakten werden. La Ribot huldigte in ihren »13 piezas distinguidas« einem puristischen Narzißmus, der den eigenen Körper sowohl als Pinsel als auch als Leinwand begreift. Ein Augenblick der Verinnerlichung, in dem eine Geste am eigenen Körper realisiert wurde, war dabei zugleich eine Entäußerung, die nicht wenigen ZuschauerInnen eine Vorstellung vom expressiven Potential ihres eigenen Körpers gab. Kein Wunder, daß nach der Vorstellung bei der Bewertung der einzelnen piezas fröhliche Uneinigkeit herrschte. Guilermo Gomez Penas »Dangerous Border Game« war für mich der Rohrkrepierer der Reihe. Penas »multimediale« Vision einer »umgekehrten Anthropologie« wies (für mich) die Brisanz eines verstaubten Schrumpfkopfs aus dem Inventar des Völkerkundemuseums auf. Der Abschluß war ein, wenn auch nicht darstellerischer, so doch konzeptueller Höhepunkt der Vielgestaltigkeit der Reihe. La Locas hitzigen und doch zarten »Wortsalven« folgte ein Beinahe-Klassiker des französischen Humors nach Jacques Tati. Leider geriet Jérome Bels Stück überlang, was Spannung und Konzentration gegen Ende erlahmen ließen - die Grundidee dominierte die Eigendynamik der Dinge und Situationen allzu deutlich.

Wenn Michael Stolhofer der Einsicht, Verantwortung im Sinne einer Vitalisierung des Programms zu delegieren, auch auf die Gefahr eines reellen Einflußverlustes nicht den Rücken kehrt, braucht einem, was die Zukunft der Sommerszene betrifft, zumindest in dieser Hinsicht nicht bange sein.