september 1996

Didi Neidhart

Easy Listening

Seltsam, sehr seltsam

Seit knapp drei Jahren geistert nun schon das »Easy Listening«-Revival durch die Medien, und wie so oft, wenn sich der Pop-Underground für Früchte aus Nachbargärten interessiert, die spätestens seit Elvis und den Beatles zu den scheinbar verbotenen gehören, dauerte es auch hier nicht lange, bis die potentiellen Möglichkeiten (Neu-Codierungen, popgeschichtliche Differenzierungen/Neubestimmungen, Re-Kontextualisie- rungen) von genau jenem Backkatalog-Schrott wieder Gefahr laufen, zugebaggert zu werden, der aus gutem Grund beim Herumwildern in Nachbars Gärten nicht einmal mit der Kneifzange angegriffen wurde, mit dem der Mainstream aber glaubt, schnelle Kohle machen zu können.

Das führt nicht nur zu einer schiefen Optik (Kids, die James Last-CDs für sich kaufen, als konservativ-be-schwingter Jungbrunnen der ÖVP), sondern auch zu einem blöden Gerangel, bei dem längst überholte und als reaktionär erkannte Affirmationsspielchen (incl. dem Wunsch nach entideologisiertem Zugang/Konsum) und die Deppen-Losung »So-schlecht-daß-es-schon-wieder-gut-ist« erneut feucht-fröhliche Urstände feiern. Dabei ist die Trennung der Spreu vom Weizen gar nicht so kompliziert.

Schon beim Schlager-Revival gab es eine Demarkationslinie, wo auf der einen Seite Heino, Tony Marschall, auf der anderen die Bambis (»Melancholie im September«) und der nicht nur von Faßbinder geschätzte (und im Film »Warum läuft Herr R. Amok« zentral eingesetzte) Christian Anders (»Geh’ nicht vorbei«) standen. Auch wenn der Faktor Zeit Unterschiede verschmieren mag (und Re-Kontextualisierung nur allzu gerne mit der Betrachtung eines neulackierten Opel-Manta verwechselt wird), gibt es dennoch entscheidende Unterschiede zwischen dem, was schon zum Zeitpunkt seiner Erstveröffentlichung unleugbare konservativ-reaktionäre Züge trug (James Last) und dem, was, verglichen mit aktuellen Entwicklungen, im schlimmsten Fall altmodisch erscheinen mag, es zu »seiner Zeit« aber ganz und gar nicht war (z.Bsp. Henry Mancinis »Theme From Pink Panther«).

Kein Zufall auch, daß der Atem der Geschichte, dem einen der Schrott dabei scharf ins Gesicht und in die Ohren bläst (den man frei von ideologischen Zwängen und entkontextualisiert natürlich als frisches Pfefferminzbonbon wahrnimmt), altbekannte Gerüche aufweist. Ähnlich verhält es sich mit den Ärzten, Förstern, Großgrundbesitzern, heilen Familien, die in den 50ern die Kinoleinwände bevölkerten und seit den 80ern als (dem Zeitgeist entsprechend mit den Light-Versionen der Minimalforderungen von Umweltschutz/Emanzipations-Bewegungen ausgestattete) TV-SerienheldInnen wiederkehren.

Dabei unterscheidet sich allein schon die Rezeption von Easy Listening von jenen dialektischen Haß-Liebschaften zwischen Ekel und Faszination, die einen Großteil subkultureller Schlagerforschung kennzeich- net(e). Wer sich auf Easy Listening einläßt, muß nicht an die Existenz urzeitlichen Getiers auf fernen Inseln, UFOs, den Fluch der Pharaonen, Montezumas Schatz und Al Capones Geheimsafe glauben, aber es hilft. Erschließt sich doch Easy Listening bei näherer Betrachtung als eine wiedergefundene versunkene Welt, die nicht selten zum X-Aktenvermerk der Popkultur wird. Den Beweis dafür (und gleichzeitig den Startschuß für den aktuellen Hype) lieferten 1993 die RE/Search-Bände »Incredibly Strange Music. Vol.1 & 2«. Schon beim Titel wie im Vorwort machten die für ihre subkulturellen »Randthemen« (Angry Women, Modern Primitives, Industrial Culture Handbook, Extreme Body Art) bekannten Herausgeber klar, daß nicht alles, was zwangsläufig im »Easy Listening«-Fach zu finden ist, auch »easy« sein muß. Im Gegenteil. Ein Großteil der Musik verhält sich wie Sun Ra zu Duke Ellington/Count Basie, was mit ein Grund dafür ist, daß so unterschiedliche Künstler wie Phil Spector, die Beach Boys, Residents, B-52’s, Throbbing Gristle, Pizzicato Five, Tortoise, Stereolab und Combustible Edison diese Musik als wichtigen Einfluß nennen. Vor allem der zwischen 1954 und 1964 in den USA enstandene »Space Age-Pop« und dessen Untergenre »Exotica« gelten in Fachkreisen als Pioniere einer visionären, avantgardistischen Stilvielfalt, die nicht nur Detlef Diederichsen im Spex fragen läßt, wie es möglich war, all die Jahre zu glauben, sich mit den außergewöhnlichsten (Pop-) Musiken zu beschäftigen und ausgerechnet diese Musik, die es sogar problemlos geschafft hat, mit den seltsamsten Sounds, Songs und Arrangements die Hitparaden zu stürmen, zu übersehen/hören.

Dabei faszinieren die Aufnahmen von Künstlern wie Martin Denny, Les Baxter und Esquivel doppelt. Zum einen bieten ihre spezifischen Produktionsbedingungen Anknüpfungspunkte zu aktuellen Pop-Diskursen: die Verwendung von Songs (vorwiegend Evergreens) als musikalisches Rohmaterial, das beliebig bearbeitet, auseinandergenommen, bizarr verfremdet und neukombiniert wurde, die Verwendung des Studios als zusätzliches Instrument (exzessive Hi-Fi-Stereo/Hall/Echo-Effekte, Tonbandmanipulationen), sowie die erstmalige Anwendung elektronischer Apparaturen zur Klangerzeugung/Verfremdung in der Popmusik. Die Ergebnisse klangen dabei nicht selten wie prä-psychedelische LSD-Trips/Opiumräusche, bei denen sich Bugs Bunny in einem William Burroughs-Roman wiederfindet.

Zum andern liefern sie einen tiefen Einblick in die psychische Verfassung des Nachkriegs-Amerika, wobei es die bizarrsten und schizophrensten Beispiele im »Exotica«-Genre zu entdecken gilt. Hier lautete das Motto, frei nach Star Trek, »To go where no man has gone before«. Was im konkreten Fall die Schaffung imaginierter künstlicher Paradise zwischen Südseezauber und Barmusik für den Saturn bedeutete, wobei sich aus heutiger Sicht ein Untergrund auftut, der dem auf einem alten Indianerfriedhof errichteten Einfamilien-Bungalow nicht unähnlich ist bzw. Jerry Lewis’ »Verrückten Professor« und Hitchchocks »Psycho« als Geschwisterpaar erscheinen läßt. So weist auch Thomas Meinecke in einem »Exotica«-Radiofeature darauf hin, daß sich in dieser Musik Gefühlszustände widerspiegelten, »die ein heute auch durchaus wissenschaftlich auswertbares Bild des kollektiven Bewußtseins bzw. Unterbewußtseins der USA zwischen Pearl Harbour, Inselspringen, Korea und Vietnam entwarfen. Ausgerechnet die Südsee, deren Strände gleichsam blutgetränkt waren, wurde zum Paradies umgedeutet, zum geheimnisvollen, polynesisch-afrikanisch-asiatisch-aztekischen Fake-Refugium des modernen Westcoast-Feierabend-Menschen.«

Dem nicht genug, ist beim musikalischen Esperanto »Exotica« genau jenes Fremde/andere, vor dem die paranoiden Cold War/McCarthy-Puritaner-USA panische Angst hatten, Grundsubstanz einer fruchtigen Salatschüssel aus erotisierenden afro-kubanischen/südamerikanischen Rhythmen, hawaiianischen Fruchtbarkeitsplastiken, chinesischen Perkussionsinstrumenten und russischem Erfindergeist (z.B. der Theremin, das elektronische Wunderinstrument des gleichnamigen russischen Wissenschaftlers, welches mit seinem sonderbaren Klang in Science-Fiction-Filmen stets die Ankunft außerirdischer, d.h. russischer Eindringlinge signalisierte, hier jedoch für romantisch-schaurige Weltraum-Phantasmagorien zuständig war). Aber haben nicht auch hinterwäldlerische Rockabillies die meisten Lobhymnen auf den Sputnik geschrieben, ungeachtet der Frage, was das Pentagon davon hielt?

Von Esquivel, Martin Denny, Les Baxter gibt es aktuelle CD-Re-Releases sowie hervorragende Sampler. Wer sich weiter vorwagen will, sei auf die Sampler »Swing For A Crime«, »Jungle Exotica« und die mehrteiligen Reihen »Las Vegas Grind«, »Space Age Pop« und »Lounge Listening« verwiesen.