september 1996

Christine Heidegger

Asylstadt Salzburg

Auf SchriftstellerInnen werden Kopfgelder ausgesetzt - Salzburg könnte helfen

Seit 1991 sind weltweit über einhundert Schriftsteller ermordet worden. Hunderte sitzen in Gefängnissen, Tausende leben im Exil. Immer mehr Regierungen gehen nicht nur mit Zensur und Unterdrückung, sondern mit physischer Gewalt gegen die Freiheit des Wortes vor.

Salman Rushdie ist einer der bekanntesten Fälle, ein Bestsellerautor, der seit Jahren im Untergrund zu leben gezwungen ist, dem Fluglinien die Beförderung verwehren - das Risiko sei zu hoch. Ein Mann, der rund um die Uhr beschützt werden muß, für den jeder öffentliche Auftritt zum lebensgefährlichen Risiko wird - der dennoch seine Bücher schreibt, seinen Überzeugungen treu bleibt. Im März 1995 gab es auf Initiative des Salzburger Literaturhauses in Zusammenarbeit mit dem Bildungshaus St. Virgil und dem Landestheater die Benefizveranstaltung »Tausend Tage im Ballon«; österreichische Autorinnen und Autoren lasen aus den Werken verfolgter und bedrohter Kollegen. Polizeiautos rund um das Landestheater, scharfe Kontrollen türkischer Jugendlicher. Immerhin war der 80jährige Aziz Nesin zu Gast, der Rushdies »Satanische Verse« ins Türkische übersetzt und Auszüge daraus sogar in Tageszeitungen veröffentlicht hatte. Im Sommer 1993 war er nur knapp dem Tod entronnen, als Moslemextremisten einen Brandanschlag auf einen Kulturkongreß im osttürkischen Sivas verübten - 37 Menschen kamen dabei ums Leben.

Ein türkischer Geschäftsmann hat ein »Kopfgeld«, das heißt: eine Tötungsprämie von einer Viertelmillion Dollar auf ihn ausgesetzt. Dennoch lebt Nesin nicht im Untergrund, kämpft weiter für die Freiheit des Wortes und für Verständnis zwischen Türken und Kurden, weltweit um Verständigung und Aufklärung durch das Wort. Über fünf Jahre Gefängnis und mehr als 200 Prozesse haben ihn nicht abhalten können, seinen Weg aufrecht weitergehen zu können. Nicht nur Kollegen bezeichnen ihn als »lebendes Gewissen der Türkei«.

Eine Solidaritätskundgebung sollte dieser Abend sein, sollte zeigen, was das Wort - auch - kann. Ob das Publikum im gutgeheizten Landestheater wirklich etwas von der Lebensbedrohung, die jedem dieser Texte innewohnte, mitvollziehen konnte? Daß das Schreiben von Gedichten, das Veröffentlichen eines Essays, die Teilnahme an einem Kongreß im Ausland zu augenblicklicher Verhaftung, Verhören, Folterungen und zum Tod führen kann? Politiker fehlten an diesem Abend leider.

Eine Hälfte des an diesem Abend eingenommenen Geldes ging an das Waisenhaus, das Aziz Nesin bei Istanbul betreibt, die andere Hälfte erhielt das Writers in Prison-Committee. Nesin trat in seiner Rede vehement für die »vielen Unbekannten« ein, für jene, die keinen Namen haben, und forderte Menschenrechte für alle Autoren ein. Fundamentalismus und Starrsinn kann viele Gesichter haben...

Es ist erst zwei Generationen her, daß auch bei uns Schriftsteller vertrieben, verfolgt, gefoltert und getötet wurden, nachdem man zuerst ihre Bücher verbrannt hatte. Erinnern wir uns daran, daß es in Österreich, als es »Ostmark« hieß, nur eine einzige Bücherverbrennung gab: Der Name der Stadt ist Salzburg.

Die Bürgermeisterin der Stadt Straßburg, Catherine Trautmann, hat dazu aufgefordert, ein Netz von Zufluchtsstätten für verfolgte Autorinnen und Autoren einzurichten. Bisher haben sich neun Städte diesem Aufruf angeschlossen. Auch Salzburg sollte sich beteiligen, meint der Vorstand des Salzburger Literaturhauses. Literaturhausleiter Thomas Friedmann beschäftigt sich intensiv mit diesem wertvollen Projekt. Seine Verwirklichung wird von vielen Solidaritätsfaktoren abhängen: Zufluchtsort bedeutet nicht nur das Aufnehmen eines Autors, einer Autorin, es bedeutet auch Annehmen. Wie wird sich die Wohnraumbeschaffung abwickeln? Wird sich ein Mäzen finden in Zeiten der Sparpakete, der eine geeignete Wohnung zur Verfügung stellt? Wird es ein Aufenthaltsstipendium im Namen Stefan Zweigs geben, das die Lebenshaltungskosten dieser Person und seiner/ ihrer Familie deckt? Wird es möglich sein, alle Behördenwege unbürokratisch und schnell zu erledigen, auch wenn vielleicht die Sprache des Zufluchtsuchenden keine »gängige« ist? Wird die bedrohte Person sich hier sicher fühlen können? Wird die Hautfarbe eine Rolle spielen? Wird diese Stadt eine klare politische Er-klärung abgeben, daß sie diese Zufluchtstätte sein will und kann, wird sie stolz sein darauf?

Ich glaube nicht, daß es sinvoll wäre, diesen Zufluchtsort Salzburg nur auf ein Jahr anzubieten. Hier müßte eine Lösung gefunden werden, eine Dauereinrichtung zu schaffen; bedrohte Autorinnen und Autoren gibt es - leider - immer wieder.

Aufklärungsarbeit wäre zu leisten, damit auch die Bevölkerung dieser Stadt und des ganzen Landes good will zeigen kann. Das Berufsbild des Schriftstellers ist hier immer noch ein etwas diffuses, und Diffamierungen sogar so bedeutender Gegenwartsdichter wie H.C. Artmann werfen kein gutes Licht auf das Literatur»verständnis« mancher Medien.

Es gibt unter Salzburgs Künstlerinnen und Künstler einen breiten solidarischen Konsens zum Projekt »Asylstadt Salzburg«. Wir sind gerne bereit, in entsprechenden politischen Gremien mitzuarbeiten, um es verwirklichen zu helfen. Der weltberühmte Dichter Stefan Zweig wurde seinerzeit gezwungen, diese Stadt zu verlassen und ins Exil zu gehen - es wäre ein international sicher wirkungsvolles Signal, wenn in seinem Namen heute verfolgten und bedrohten Autoren hier eine Heimstatt gewährt werden könnte.

Christine Haidegger ist stv. Vorstandsvorsitzende des Vereins Salzburger Literaturhaus Eizenbergerhof und lebt als Autorin in Salzburg. Zuletzt erschienen: Amerikanische Verwunderung/ Wien; Schöne Landschaft/ Salzburg; Atem. Stille./Wien