september 1996

Mario Jandrokovic
titel

Abrechnung mit »Staatsfeinden«

Der Prozeß gegen das Satiremagazin »Feral Tribune« macht deutlich, wie es um die Freiheit der Medien in Kroatien steht

Lediglich der auf die Fassade gesprühte Spruch »Feral macht frei«macht darauf aufmerksam, daß im letzten Stock des Hauses, das in einer recht ruhigen Straße unweit des historischen Stadtkerns der Hafen- und Industriestadt Split liegt, sich ein Zentrum des als »staatsfeindlich« (da nicht »volkstreu«) geltenden Journalismus befindet. Dort bereitet Chefredakteur Viktor Ivancic die neue Nummer des satirischen Wochenmagazins »Feral Tribune« vor. Dem Prozeß, der in der zweiten Septemberhälfte gegen ihn und seinen Mitarbeiter Marinko Culic fortgesetzt wird, sieht er eher gelassen entgegen. Offenbar gehören für ihn die nicht selten absurden Unberechenbarkeiten, mit denen in Kroatien gegen das Häufchen freier, oppositioneller Medien vorgegangen wird, zu den schon berechenbaren Konsequenzen seiner Arbeit.

Der Zorn der Machthaber, der sich beständig als gezielte Faust im Namen irgendwelcher Paragraphen gegen die Redaktion gerichtet hat, wird nicht nur durch eine politische Berichterstattung hervorgerufen, die eine gänzlich andere Sprache spricht als der allgemeine, feierlich staatstragende Medienjargon. Es sind insbesondere die betont despektierlichen Fotocollagen, die immer wieder für Kleinskandale sorgen. Jenes auch außerhalb der Staatsgrenzen berühmt gewordene Bild, das Präsident Tudjman und Serbiens Staatschef Milosevic turtelnd beim Frühstück im Bett zeigt, ist eine pointierte und bildhafte Skizze, die die Blattlinie verkürzt wiedergibt, ebenso der Fotobericht über das in herrschaftstreuen Medien konstant angekündigte »kroatische Wirtschaftswunder«: In einem kleinen Dorf blutet die Plastikfigur des Präsidenten aus der Nase.

Über den Umweg des Spektakels wird hier nicht zuletzt offen ein Kampf ausgetragen, der über die Jahre im Halbverborgenen eines Paragraphendschungels gegen jene Medien geführt wird, die als allzu offensichtliches Gegengewicht zum nationalen Schulterschluß im Zeichen der herrschenden Partei HDZ auftreten. Einmal wurde Viktor Ivancic zum Militär gerufen, dann wiederum hatte das Blatt über zehn Monate eine Steuer zu bezahlen, von der alle Zeitungen, außer Pornomagazinen, befreit sind - bis der Verfassungsgerichtshof schlußendlich zugunsten von »Feral Tribune« entschied. Nunmehr wurden die beiden Journalisten aufgrund eines erst kürzlich eingeführten Paragraphen geklagt, der fünf Personen an der Staatsspitze Kroatiens vor Ehrenbeleidigung und übler Nachrede schützt und bis zu drei Jahre Haft zur Folge haben kann.

Tudjman versuchte, die Geschichte von Jasenovac unter nationalem Vorzeichen umzuformulieren, indem er dieses Vernichtungslager der kroatischen Faschisten im Zweiten Weltkrieg in eine Gedenkstätte aller Kriegsopfer verwandeln wollte. »Feral Tribune« reagierte mit einer Story, die Parallelen zwischen dem kroatischen Präsidenten und dem spanischen Generalissimus Franco aufstellte, und wurde deshalb durch besagtem Prozeß zur Verantwortung gezogen; Detail am Rande: Tudjman hatte mehrmals schon selbst hervorgehoben, daß er den faschistische Diktator als einen vorbildlichen Staatsmann ansehe.

Den Prozeß selbst sieht Viktor Ivancic nicht einmal so dramatisch, »denn der kann keineswegs so drastisch ausgehen. Ich glaube nicht, daß sie uns ins Gefängnis stecken werden, so weit werden sie nicht gehen. Schlimm ist einfach die Existenz dieses Gesetzes, und daß sie es sofort angewendet haben. So wurde wieder eine gewisse Menge an Angst in der kroatischen Medienlandschaft erzeugt, und ein Großteil der kroatischen Journalisten wird gegen dieses Gesetz lieber nicht verstoßen. So hat der Paragraph schon seine Wirkung getan; an uns wurde das Exempel statuiert, und es war auch ge- dacht, uns nebenbei unter Druck zu setzen oder gleich auszulöschen. Faktisch wurde aber damit die Zensur eingeführt, die dann in der Form von Selbstzensur bei den Journalisten wirkt.«

In den letzten Jahren Jugoslawiens, zu Ende der achtziger Jahre, war die Medienlandschaft letztendlich eine freiere, offenere, pluralistischere, sagt Viktor Ivancic: »Auch der Entwicklungsgrad einer kritischen Öffentlichkeit war damals höher. Es ist eigentlich paradox, aber in den letzten Jahren der Kommunisten hat ein Demokratisierungsprozeß angefangen, und den haben die kroatischen Nationalisten dann aufgehalten. Dieser Grad an Freiheit hat einfach zu kurz angedauert, und daher wird der Schaden, den die HDZ den kroatischen Medien zugefügt hat, noch lange spürbar bleiben.«

»Feral Tribune« existierte seit den Achtzigern als wöchentliche Satirebeilage zur Tageszeitung »Slobodna Dalmacija«. Nachdem sich dieses Blatt im neuen Staat als einzige überregionale freie Tageszeitung bewährt hatte, erfolgte die »Privatisierung«, bei der das Medium an einen vermeintlich HDZ-nahen »privaten Unternehmer« sowie an die staatliche Bank regelrecht verschenkt wurde. Damals hatten fünf Mitarbeiter von »Slobodna Dalmacija«, darunter Viktor Ivancic, sich von der Redaktion verabschiedet, um die Wochenbeilage als selbständiges Medium weiterzuführen. »Slobodna Dalmacija« ist inzwischen zu einer weiteren Marginalie unter den partei-treuen Medien geworden, während die ehemals unbedeutende Regionalzeitung von Rijeka, »Novi List«, als gegenwärtig einzige freie Tageszeitung in ganz Kroatien Absatzsteigerungen verzeichnet; dieses Blatt mußte jüngst aufgrund fiskaler Belastun- gen den Preis deutlich anheben, außerdem wird ihm wegen Steuer- und Zollhinterziehung der Prozeß gemacht.

Unter dem Deckmantel der freien Marktwirtschaft wurden, so Ivancic, »sogenannte politische Privatisierungen« durchgeführt; ökonomische Richtlinien werden dabei gemäß einem (Ein-)Parteienproporz zurechtgebogen. Für »Feral Tribune« bedeutet dies unter anderem, daß potente staatliche Konzerne wie die Flug- oder Mineralölgesellschaft ihre Werbungen in einem parteinahen Wochenblatt schalten, das bloß 4.000 Stück auf den Markt bringt, während das Satiremagazin aus Split immerhin eine Auflage von 55.000 Stück hat: »Glatt alle Firmen haben Angst, bei uns zu schalten, damit sie nicht auf irgendwelche schwarzen Listen kommen und als Staatsfeinde bezeichnet werden. Freunde, die Privatfirmen besitzen, sagen: Wir geben euch Geld, aber erwähnt uns bloß nicht im Blatt.«

Um unter normalen Bedingungen arbeiten zu können, würde sich der Chefredakteur daher so etwas wie einen »depolitisierten Markt« wünschen, in dem dieselben rechtlichen Bestimmungen für alle gelten. Derzeit bleibt der Zeitschrift als Existenzabsicherung lediglich der Verkauf und der scharf beobachtende, wohl auch gewissermaßen schützende Blick einer kritischen Weltöffentlichkeit. Der Pen Club wie auch JournalistInnenorganisationen aus aller Welt haben gegen den Prozeß Protest eingelegt.

Mit Sicherheit hat sich mit diesem Schritt der Staatsführung der kaschierte Druck auf die freie Medienszene Kroatiens, der unter der Vorspiegelung ökonomischer und rechtlicher »Sachzwänge« erfolgt, als offene Repression manifestiert. Der Schlagabtausch mit den Machthabern, der sich nunmehr bis zur Gerichtsverhandlung hochgeschaukelt hat, drängt »Feral Tribune« allerdings ein wenig in die unfreiwillige und auch undankbare Rolle der Dissidenz und läßt die Frage aufkommen, wo bei den spektakulären, rotzigen Geschichten der Witz bleiben wird, wenn Tudjman und die seinen einmal nicht mehr sind. Diese Frage stellt sich für Viktor Ivancic vorerst nicht: »Ich wäre ein glücklicherer Mensch, wenn ich unter irgendwelchen normalen, demokratischen Umständen arbeiten würde, wo im Medium einfach Talent und Professionalität an sich zum Ausdruck kommen. Aber die politischen Umstände sind solche, daß sich die Sachen nicht so schnell und leicht verändern werden, selbst wenn es zu einem Machtwechsel kommen sollte. Ich befürchte, daß wir noch lange Zeit in irgendwelchen neurasthenischen politischen Verhältnissen bleiben werden.«

Die Geschichten, die die neue politische Elite mit Zielsicherheit lächerlich machen, sind letztendlich auch zu gut recherchiert und zu analytisch, als daß sie einfach nur als ein kurzes, befreiendes Poltern gegen dämonische Machtklüngel verwertbar wären, als ein Blitzableiter, den die Staatsspitze leicht billigen kann. Vielleicht hat »Feral Tribune« hier sogar das Glück, daß es nicht einfach nur als ein Herzeigeobjekt für Medienfreiheit verwertet wird. »Dieses Regime ist nicht so intelligent, sonst würde es uns dafür nutzen, eine Tarnkappe für alle anderen undemokratischen Vorgangsweisen zu sein und nicht andauernd gegen uns losschlagen. Es geht aber ohnehin nicht um uns, sondern um die ganze Medienlandschaft, und die ist entweder frei oder nicht.«