september 1996

Ursula Rotter
schön und gut

Greißler

Auch wenn derzeit in der Einkaufswelt das noch nicht olympische Motto „größer, lauter, schriller“ gilt und ein Mega-Erlebnis- Center nach dem anderen aus dem Boden schießt - seien wir doch einmal ehrlich: Es geht nichts über einen menschengerechten Einkauf beim Greißler ums Eck. Dort, wo es völlig egal ist, wenn das Geldbörsel ein paar Schilling zu wenig birgt (»Bringens es halt morgen vorbei«), und wo die freundliche Dame hinter der Theke die Extrawünsche fürs Jausensemmerl ganz genau kennt. Dort, wo das Waschmittel friedlich neben den Colaflascherln schlummert und man nicht verzweifelt wegen eines Besenstiels ans andere Ende der Stadt pendeln muß. Dort, wo die Milch unerschütterlich nur in Glasflaschen verkauft und das Obst umweltfreundlich in Papier abgepackt wird. In diesen Mikrokosmen wundert sich auch niemand über den Wunsch nach Wirtschaftsobst oder Karotten für die Reitstunden, freundlicherweise sortiert der Chef persönlich täglich alles nicht mehr ganz so Taufrische aus und stellt es »Zur freien Entnahme« neben den Ausgang seines Adeg »Vogl« an der Aiglhofstraße/Ecke W. Hauthalerstraße.

Es gibt sie noch, die Greißler. Wenn auch nicht mehr in ihrer unwiederbringlichen Urform als »Tante Emma Laden«, aber es gibt auch Handelskonzerne, die ihre kleinen, alteingessenen Händler leben lassen. Freilich, wenn die Patrone die Roll-Läden für immer schließen, ist es auch um den gemütlichen Einkauf ums Eck geschehen. Und dann muß sich auch der sentimentalste Mensch mit dem Wagerl durch Warenschluchten und Dauerberieselung aus dem centereigenen Radioprogramm kämpfen und wird sich irgenwann einmal daran gewöhnt haben, daß fünfzig andere vor ihm die Pfirsiche betatscht haben und daß keine hilfreiche Stimme mehr verkündet: »An schönen Rostbraten hätt' ma heut!« Aber angeblich kann man sich an alles gewöhnen, auch daran, daß man nicht mehr mit Namen gegrüßt und verabschiedet wird.