oktober 1996

Didi Neidhart

Blicklust, Gehirnfilm & Rock & Roll

Der Linzer Experimentalfilmer und Maler Dietmar Brehm im Gespräch

»Alle sichtbaren Bilder sind immer Todesbilder, gleichgültig, ob ein reales Bild oder ein Kunstbild. Bin ich tot, bin ich ein reales Todesbild, noch lebend ein fiktives Todesbild.«

(D.B. 1993)

Sieht man sich das Werkverzeichnis von Dietmar Brehm an, kann man leicht den Eindruck bekommen, es mit einem manisch besessenen Workaholic zu tun zu haben. Mehr als 100 Filme seit 1974, über 250 Filmvorführungen in Europa und in der USA (die zahlreiche Einzelausstellungen und Beteiligungen an internationalen Kunstmessen im In- und Ausland gar nicht mitgerechnet) zeugen nicht gerade von kreativer Unterbeschäftigung. Einen Schlüssel für diesen Output findet man jedoch in der prozeßhaften Arbeitsweise Brehms, bei der sich Malerei, Fotografie, Film und Zeichnungen verzahnen und wechselnde Ströme von Intensitäten hin und her fließen bzw. von einer Form zur anderen führen. »Manchmal suche ich einen Bleistift + ich finde die Filmkamera während ich an einen Pinsel denke.« (D.B. 1988)

Sich auf Dietmar Brehms Filme einlassen heißt, sich auf »Unerklärlichkeitsebenen« einlassen. Auf jene weder domestizierbare noch symbolisierbare Andersheit, von der Slavoj Zizek in seiner Hitchcock-Analyse »Ein Triumph des Blicks über das Auge« spricht. Bei Brehms Auseinandersetzungen mit Wahrnehmungsprozessen und Strukturen ist »die Kamera als Aufnahmeorgan« der eigentliche Hauptdarsteller des Films.

»Es geht darum zu registrieren und durch die Kamera zu inhalieren.«

Wobei das Unheimliche weniger in dem begründet ist, was die Kamera abfilmt, sondern wie sie es abtastet. Wie (Ein-)Schnitte, Brüche, Risse, Schatten, Farbfilter und schwankende Lichtwerte in die reproduzierte Realität des Film-Materials hineinkriechen und diese wie »Bildschübe« als »Auslöser für latente Hirnschubkrankheiten« fungieren.

Wie kam es eigentlich zur Beschäftigung mit Film?

• Ich habe ja Malerei studiert, aber dadurch, daß meine Malerei immer serieller wurde, war ein logischer Konnex dazu gegeben, bei der Darstellung von Vorgängen, die größere Zeiträume umschließen, zur Filmapparatur zu greifen.

In den Filmen gibt es immer wieder Bezüge zum Rock’n’Roll. Es gibt Titel wie »The Murder Mystery«, »Dirt + Venus«, und trotz der Abwesenheit eines realen Rocksoundtracks, scheinen die Filme einen imaginären Rock-Rhythmus zu haben.

• Als Jahrgang ‘47 bin ich sozusagen mit Rock’n’Roll aufgewachsen. Das waren die Töne, die mich magnetisieren. Besonders Iggy Pop & The Stooges und The Velvet Underground. Die höre ich mir auch beim Schneiden an, aber ich übernehme den Rhythmus nicht direkt. Er färbt eher ab und und inspiriert mich. Da entwickelt sich dann ein gewisses Rock’n’Roll-Feeling, das sich in der Struktur, im Schnitt und der Motorik niederschlägt. Da können Bildkaskaden wie Tonkaskaden entstehen. Ich illustriere aber nicht Musik. Eher das, was in dieser Musik mittransportiert wird - Sachen aus einer finsteren Ecke beleuchten.

Wie ich Ende der 60er das erste Mal Filme von Ernst Schmidt Jr., Schlemmer, Kubelka gesehen habe, wurde dazwischen zur Beruhigung Beserljazz gespielt. Ich hätte mir natürlich Rock’n`Roll gewünscht, weil das noch mehr hineingepeitscht hätte. Aber genau solche Zustände und radikal forcierte Sachen, die das Kino auslösen kann, haben mich schon immer interessiert.

Es ist ja auch der Bezug Warhol - Popmusik lange sehr verleugnet und unterschätzt worden. Daß die Musik ein Transportmittel für das Verständnis der Malerei sein konnte, hat nie besonders interessiert. Das gilt auch für Warhols Undergroundfilme. Dabei ist gerade bei Velvet Undergound das alles zusammengelaufen.

Die Methodik der seriellen Rückkoppelungen bei »Sister Ray« von Velvet Underground ist ein wesentlicher Faktor für meine Vorstellungswelt, Filme zu erzeugen. Das ist auch völlig Künstlich, aber mit einer gewissen Rauhheit und Direktheit - eine gleichzeitig absolut intellektuelle und im besten Sinn primitive Musik. Die Realität wird so stark gefiltert, daß sie künstlich wird. Meine Arbeit mit Found Footage-Material ist auch immer mit einem Einbringunsprozeß von meiner Seite her verbunden. Jeder Kader und Filmstreifen geht durch Spiegelsysteme oder wird in seitenverkehrte Verhältnisse gepackt.

Stichwort MTV. Kommt man durch die Ästhetik diverser Videoclips als Experimentalfilmer nicht in einen Zugzwang? Auch weil MTV Überschreitungen und Tabubrüche, wenn auch in geregelten Bahnen, zum Credo erhoben hat.

• Die Konfrontation von schnellen Bilderstürzen und Musik gab es ja schon vor den Videoclips. Das ist auch eine sehr manifeste Vorgangsweise in meinen früheren Arbeiten. Der Avantgardefilm müßte jetzt aber gegen diese Bilderflut mittels Verzögerung und Langsamkeit wieder merkbare Intensitätsbilder erzeugen, die in Köpfe eindringen und nicht einfach nur durchfahren. Es muß sich auch die Kunst darum kümmern, daß sie keine Spielwiese für reine Ästhetik wird oder nur noch als Dekoration und Gemütlichkeitskunst dient.

Die Beschäftigung mit Pornofilmen zieht sich fast als roter Faden durch die letzten Arbeiten wie »Party« und »Macumba«. Auffallend dabei ist, daß das pornographische Material, das ja keine Geheimnisse kennt, in der Bearbeitung nicht nur wieder zu einem sublimen Ding wird, sondern gleichzeitig eine unheimliche, bedrohliche Stimmung des blanken Horrors ausstrahlt, die direkt unter die Haut geht und bei der auch keine Ausflüchte in die Theorie mehr helfen.

• Pornographie hat mich schon immer interessiert. In den 60ern gab es ausgezeichnete Pornos, deren Materialität und merkwürdige Ikonographie auch etwas mit Undergroundfilm im besten Sinn zu tun haben. Natürlich dienen viele Pornos nur zur persönlichen Notdurft. Aber ihre Komprimiertheit, Verdichtung und Direktheit finde ich sehr faszinierend. Das nehme ich her und breche es auf, um nachzusehen was sich dahinter verbirgt. Ich zeige ja keine vordergründige Pornographie, sondern stelle Sexualität dar. Es gibt nur Andeutungen, Anreizungen und dann immer wieder das Gegenbild als solches und dazu wieder das Gegenbild, usw. Aus dieser Kombinatorik, die in Schattenbereiche hineinweist, entsteht die Implikation von Gewalt. Das löst dann diese »bösen Bilder« im Gehirnfilm des Betrachters aus. Deshalb sind für mich auch die Filme der Schwarzen Serie der späten 40er und 50er Jahre wichtig: die Filme der Schattenverlängerung und des Nichtgezeigten. Dadurch entstehen jene Bilder, die in der Realbildhaftigkeit nicht sichtbar sind. Schon Hitchcock hat genau gewußt, daß uns der Film den Schrecken nicht direkt zeigen darf. Ich mache ja auch kein Kino mit totalem Sinn. Es geht eher um eine Art Ping-Pong mit den Zusehern, um intensive Assoziierungsvorgänge, wo man den Film für sich entdecken und verstehen kann, zu ermöglichen. Deshalb sind meine Filme auch eher offene Systeme, die sich immer wieder verändern können.