oktober 1996

Christa Obermeier

Alles Video?

Ein kleine Begriffsverwirrung

Mal ehrlich, woran denken Sie, wenn Sie das Wort Video hören? An Theresa Orlowsky? Ihren letzten Urlaub? MTV? Nam June Paik? Valie Export? Den Jugendschutz? Peter Weibel? Pleiten, Pech und Pannen? Die unentschlüsselbaren Geheimnisse von Videorecorder-Gebrauchanleitungen? Ist ja auch nicht so einfach. Wird doch alles, was auf dem Magnetband des Speichermediums Video drauf ist, als Video bezeichnet werden. Kennt man also sein Gegenüber nicht und erzählt einem dieses davon, daß es sich das ganze Wochenende wieder Videos reingezogen hat, kann man nur auf Kopf oder Zahl setzen, will man sich vergewissern, ob die Person nun ein zukünftiger, sexuell gestörter Abmurkser oder ein Gourmet der schönen neuen Medienkünste ist. Verzwickte Sache das. Auf alle Fälle dann, wenn man all das glaubt, was die Mainstream-Medien zum Thema Video so alles absondern. Also, verlassen wir lieber gleich schleunigst das Feuilleton, die Chronik- und Gerichtsseiten sowie den »Treffpunkt Kultur«.

Zweifelsohne hat es Video geschafft, Walter Benjamin mehr als einmal die lange Nase zu zeigen. Von wegen keine Aura mehr haben im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit von Kunstwerken. Video gehört, zusammen mit »Multimedia«, »transdisziplinär« und »interaktiv«, zu jenen magischen »Sesam-öffne-dich«-Vokabeln, die, im aktiven Wortschatz geführt, schon so manchen McJob zur glücklich überstandenen autobiographischen Randnotiz werden ließen. Nichts dagegen einzuwenden, nur wenn sich die Botschaft alleinig im Medium erschöpft, wird es, vor allem mehr als 30 Jahre nach den Anfängen der Videokunst, doch etwas langweilig. Zumal die mittlerweile massenhafte Verbreitung von Hard- und Software auch komplett andere Rahmenbedingungen geschaffen hat.

Video ist ein elektronisches Speichermedium und somit untrennbar mit der Entwicklung des Mediums Fernsehen verbunden. Die politische wie ästhetische Auseinandersetzung mit den genormten Fernsehbildern stand dann auch an den Anfängen der Videokunst (z. Bsp. bei den frühen Aktionen von nam June Paik). Die elektronisch erzeugten Videobilder wurden mit Oszillatoren, Magneten und am Mischpult manipuliert. Die Arbeit mit dem Material stand (und steht immer noch) im Vordergrund der audiovisuellen elektronischen Künste. Sie müssen nur Ihre Videocassetten unsachgemäß lagern, um sich ein Bild der Transformationsprozesse zu machen.

Zum andern ermöglichte die Arbeit mit Video, Kunst außerhalb des herkömmlichen, institutionalisierten Kulturbetriebs zu produzieren, da die in den 70ern postulierte Aufhebung von Leben und Kunst gerade durch die Auseinandersetzung mit der Banalität und »Unkünstlichkeit« des Fernsehens vorangetrieben werden konnte.

Zusätzlich wurde Video auch immer mehr zu einem politischen Instrument, mit dem man »alternative« Lebensgefühle in Politik, Kunst und Alltagskultur nicht nur aufzeichnen und festhalten, sondern dadurch eine Gegenöffentlichkeit produzieren konnte. Die sozialen Bewegungen der 70er und 80er (z. Bsp. Arena-Besetzung, Hainburg, Anti-AKW-Bewegung, der Salzburger Verein Gegenlicht) verwendeten Videoaufzeichnungen gezielt als Gegenbilder zur offiziellen TV-Berichterstattung, Künstlergruppen wie die Linzer Stadtwerkstatt umgingen damit geschickt das ORF-Monopol (z. Bsp. bei der Aktion »Hotelevision« anläßlich der Welser Filmtage 1987, wo in einem Hotel eigenes Kabelfernsehen produziert wurde). In den 90ern perfektionierte Greenpeace diese Taktik und beliefert nun selber die TV-Stationen mit exklusiven Videos (komplett geschnitten und nicht frei von inszenatorischen Choreographie-Effekten) ihrer Aktionen. Ein zwar effektives, aber nicht immer unproblematisches Vorgehen, da der Spruch »In Video Veritas« das Wahrnehmungsmuster durchschnittlicher TV-KonsumentInnen bestimmt und die Manipulation schon beim Schnitt beginnt. Oder können Sie mit Sicherheit sagen, daß jene Bilder aus Ex-Jugoslawien, Afrika, dem Nahen Osten, die gerade als aktuelle Meldung über den Bildschirm flimmern aktuell und wirklich von dort sind? Wenn man im Vorweihnachtsprogramm hungernde afrikanische Kinder braucht, reicht ein Griff ins Archiv und die Überlegung, ob heuer Somalia oder Äthiopien dran ist.

Was ist also heutzutage noch aufregend am Medium Video an sich? Wo liegen die politischen, ästhetischen Potentiale, wie sieht es mit den Verfallsdaten und Haltbarkeiten von (Medien-) Theorien und deren kulturellen Produkten aus? Als billiges, portables Speichermedium, ist Video die intermediale Schnittstelle zu neuen Medien wie Computer, Internet, CD-Rom, d.h. zu den elektronischen/digitalen Archiven des kollektiven Gedächtnisses. Hier gilt es einzuhaken, will man die Produktion theoretischer wie praktischer audiovisueller Diskurse vorantreiben, ohne sich dabei in elitären Technokratizismus zu verheddern.

Genau um die Möglichkeiten eines solchen Ansatzes (und die etwaig damit verbundenen Probleme) wird es auch ab Oktober in der ARGE Nonntal bei der neuen Reihe »Audiovisionen Populär« gehen, wo die mannigfaltigen Beziehungsfelder von Populärkultur und Massenmedien in der Videokunst zur genußvollen Ansicht und Diskussion vorgestellt werden.