oktober 1996

Harald Friedl

Encore! Die Gallier kommen!

Mit fünfähriger Verspätung kommt ein neuer Asterix

Zum Einstieg eine Quizfrage, mit deren Beantwortung Sie sich als wahre AsterixkennerInnen ausweisen können: Wie kommt Obelix zu Idefix bzw. umgekehrt? Die Auflösung finden Sie am Ende des Textes - doch HIERGEBLIEBEN! Geschichte verläuft zwar in Brüchen, aber nicht sprunghaft.

Die Geschichte von Asterix beginnt 1959. René Goscinny (der Extrovertierte) und Albert Uderzo (der Introvertierte), zwei seit Jahren zusammengeschweißte Partner, suchen nach einem europäischen Gegenpol zu den amerikanischen Comic Helden. Uderzo: »Wir zählten unsere Vorfahren auf und fingen bei der Steinzeit an. Bei den Gallieren stoppte mich René. Nach einigen Gläsern Wein war ASTERIX geboren.« Das Autorenduo ist sich nicht einig, wie er aussehen soll. Texter Goscinny favorisiert den Gnomtypus als Leitfigur und setzt sich durch. Zeichner Uderzos Favorit, der Dicke, wird als Obelix bloß Zweiter.

Zunächst treten Asterix und Obelix ausschließlich in Kurzgeschichten der Zeitschrift »Pilote« auf. Stolze 6000 Stück beträgt 1961 die Startauflage des ersten eigenen Bandes. 5 Jahre und 7 Abenteuer später erscheint »Astérix chez les Bretons« in 600.000 Exemplaren, die in wenigen Tagen vergriffen sind. Asterix wird zur Kultfigur.

Deutschen Boden betreten die Gallier zwar schon in der »Pilote« Serie »Astérix chez les Goths«. Zur wirklichen Eroberung des deutschsprachigen Raumes sollten die Gallier aber erst 1968 ansetzen, als MV-Comics die französischen Hefte in rascher Folge auf Deutsch herausbringt.

Doch bereits davor gab es eine deutsche Fassung, der nur mäßiger Erfolg beschieden war: »Siggi und Barbarras« erschienen 1965 bei »Fix und Foxi«-Verleger Rolf Kauka in »Lupo modern«. Der Vorspann: »So um die Zeitenwende herum müssen sich die Germanen verzweifelt gegen ungebetene Gäste aus allen Himmelsrichtungen wehren. Bis auf die kleine Fliehburg Bonnhalla am rechten Ufer des Rheins ist ganz Ger

manien besetzt ... Den Gedanken an Wiedervereinigung mit den Brüdern und Schwestern im übrigen Germanien hat man längst resigniert unter der Donar-Eiche vergraben.«

Die Parallelen zur deutschen Nachkriegsgeschichte sind offensichtlich. »Bonnhalla« ist Bonn, »Siggi« steht für Siegfried den Unverwundbaren, »Barbarras« für den »Barras«, das Militär, Miraculix alias »Konradin« für den Wiederbewaffnungskanzler Konrad Adenauer. Troubadix heißt bei Kauka »Parlamet« - eine Anspielung auf die parlamentarische Demokratie. »Eine mehr als deutliche Verballhornung jener `Quasselbude', die rechtsextreme Phantasie stets allzugern besetzt oder geknebelt sieht«, so Georg Seeßlen in einer Analyse der Kauka-Hefte. Schurken »jiddeln« für gewöhnlich, die Sprechblasen der Bösen sind rot.

In »Die goldene Sichel« heißt der Sichelhersteller »Wernher von Braunfels«, dessen »Waffenschmiede längst in gegnerischer Hand« ist. Die Anspielung auf den Raketentechniker Wernher von Braun, der zuerst für die Nazis und nach 1945 für die NASA arbeitete, ist offenkundig. Einen anderen Bezug stellt Andreas Knigge her. Wenn Franz Josef Strauß von sich gibt: »Wer so viel geleistet hat wie die Deutschen, hat ein Recht, nicht mehr an Auschwitz erinnert zu werden«, liest sich das in Siggis Sprechblase so: »Barbarras, mußt du denn ewig diesen Schuldkomplex (den Hinkelstein, Anm.) mit 'rumschleppen? Germanien braucht deine Kraft wie nie zuvor.«

Als René Goscinny erfährt, daß Kauka aus seinem Asterix eine reaktionäre Figur gemacht hat, verklagt er ihn. Der Vertrag wird mit der vierten Ausgabe gekündigt. Bei MV-Comics und später dem EHAPA Verlag wird den Figuren ihre wahre Identität auch für den deutschsprachigen Raum zurückgegeben.

Asterix, Obelix und KonsortInnen werden zu passenden Projektionsflächen für die Aufbruchsgeneration der späten 60er und frühen 70er Jahre. Sie sind sympathische Spontis, ein Klüngel von Anpassungsverweigerern, die für ihre Freiheit auch kämpfen. Das Dorf der Unbeugsamen ist klassenlos organisiert und glücklich. Sinnlichkeit ist ihr Kult, Cervesa ihr Getränk. Das einzige Manko der GallierInnen ist ihre Führungslosigkeit. Majestix erfüllt seine Funktion mehr im Stil eines Friedensrichters als eines Feldherrn. Einzelkämpfertum ist die populärste Methode der Verteidigung. Und wenn die zaubertrunkenen Gallier Kompanien von Römer verprügeln, so tun sie dies konzeptlos, wild, ein jeder für sich.

Die Römer auf der anderen Seite der Dorfumfriedung symbolisieren die Kräfte des Imperialismus, des Establishments, des Kapitalismus. Die Bullen, die Beamtenschaft, die Bürokratie, die US-amerikanische Kultur- hegemonie. Trotz ihrer numerischen, kommunikationstechnischen und strategischen Überlegenheit können sie den letzten freien Galliern nichts anhaben. Der Zaubertrank des Majestix wird zum Glaubenselixier an die gute Sache, das sie stark und unüberwindbar macht.

1977 stirbt der Texter René Goscinny. Viele Kommentatoren sind der Ansicht, daß damit Asterix gestorben ist. »Vor allem deshalb wollte ich beweisen, daß es mich auch noch gab und habe alleine weitergemacht«, sagt Albert Uderzo. »Und heute bin ich der Gefangene meiner eigenen Taten.«

Man darf gespannt sein auf seine neueste Solotat, die fünfte. Wie üblich verrät der Verlag nichts. Nicht einmal den Titel. Gerüchten zufolge steht Obelix im Mittelpunkt des neuen Bandes. Gut so! Obelix ist ohnehin vielschichtiger und damit interessanter als Asterix. Er ist emotionales, gieriges, früh in der Kindheit geprägtes, liebenswertes Monstrum. Ein Liebender. Sogar philosophisch zuweilen. Und wenn ihm nichts Gescheites einfällt, hat er mit dem Ruf nach Wildschweinen oder spinnerten Römern immer noch recht.

Also, wie kam Obelix zu Idefix bzw. umgekehrt: Auf S. 13 von »Tour de France« betreten Asterix und Obelix eine Metzgerei in Lutetia. Vor der Tür sitzt ein kleiner weißer Hund. Als Obelix mit einem großen Sack voll Schinken wieder herauskommt, läuft ihm der Hund einfach nach. Die zwei Gallier schenken dem Begleiter den ganzen Band über keine Beachtung. Erst am Schluß der Geschichte wird er von Obelix bemerkt und adoptiert.