oktober 1996

Peter Truschner
titel

Kleiner Mann, was nun?

Das European Art Forum - eine Selbstfeier des Bildungsbürgertums?

Unter welchem Aspekt könnte die Auswahl der Teilnehmer am ersten European Art Forum getroffen worden sein? LH Franz Schausberger nennt im plattesten Beitrag des Symposiums ein Kriterium - »(...) daß es sich beim European Art Forum um eine Veranstaltung handelt, die bewußt bei einem sehr hohen Niveau der Teilnehmenden ansetzt« -, dessen erstaunlich unverhüllte Selbstüberschätzung allerdings den Beweis dafür schuldig bleibt, daß es sich bei ihr um mehr als nur Wunschdenken handelt. Thomas Klestil hingegen hat mit Problemen zu kämpfen, deren Vorhandensein man sich beim österreichischen Bundespräsidenten nicht unbedingt erwarten konnte: »Eine solide Diskussion über die Zukunft dieses Kontinents kann also nur unter Einschluß des Geistigen und Kulturellen geführt werden - so schwierig das auch sein mag.«

Um einem Mißverständnis vorzubeugen: Es war nicht meine Absicht, die Beiträge der Tagungsteilnehmer nach Ungereimtheiten oder Platitüden zu durchforsten, um sie dem Gelächter preiszugeben. Diese scheinbaren Marginalien sind vielmehr das eigentliche Herz vieler Texte, deren Sprachgebrauch, Argumentation und unweigerliche Konklusion so vorabsehbar, durchschaubar sind, daß sie wie vor der Tagung aufeinander abgestimmt wirken - weshalb das Programm eines ganz sicher nicht war: »(...) Garant für Provokation, Diskussion und Konfrontation.«(Schausberger) Zu vieles wirkt wie ein aktualisiertes Potporrie gängiger Printmedien - vom »Spiegel« bis zu »Lettre International«.

Wirklich brisant sind hingegen die bereits angesprochenen Auswüchse jener Selbstfeier, mit der die meisten Tagungsteilnehmer des Groß- und/oder Bildungsbürgertums ihrer vermeintlichen Superiorität Ausdruck verleihen. Beispiele gefällig ? Ausgehend von der sich wie ein roter Faden durch die Beiträge ziehenden Selbstzuweisung eines jeden einzelnen verpfllichtenden europäischen Erbes »wie z. B. Menschenrechte, Pluralismus, Toleranz, Offenheit und Vielfalt« (Teodor V. Melescanu), sind sich die Teilnehmer der ihnen zukommenden Aufgabe vollends bewußt. Thomas Klestil: »Und schließlich (...) bedroht uns der unaufhaltsam scheinende Vormarsch einer vielfach importierten Unterhaltungskultur, einer geistigen Trivialisierung (...). Und mehr denn je steht die Kultur auch vor der Aufgabe, Inseln des Sinns inmitten eines Ozeans an Kultur- und Geistlosigkeit zu erhalten.« Nicht wenige fühlen sich dazu bemüßigt, gegen »den Triumph des Augenblicks (...) und die Liquidierung der Kunst in der gegenwärtigen Ereigniskultur mit ihren oft protzigen Oberflächenreizen und schnellen Wechseln (...)«(Raymond Weber) aktiv zu werden. Michelangelo Jacobucci glaubt Anlaß zu der Feststellung zu haben, daß »wir ein allgemeines Austrocknen der Kreativität beobachten, eine komplexe Nivellierung, durch die die Informationsmedien, die praktisch allen Benutzern gleichzeitig zur Verfügung stehen, den individuellen Wert ihrer einzelnen Elemente verlieren und zu einer undifferenzierten und bedeutungslosen, amorphen Masse verkommen.« Eine Ansammlung an rhetorisch gerümpften Nasen, deren einziger Aussagewert darin besteht, daß die Vortragenden den künstlerischen Medien und Praktiken der unmittelbaren Gegenwart samt und sonders ahnungslos gegenüberstehen.

Edward W. Saids Eröffnung«Kultur, Identität und Geschichte« gebührt die Ehre, die Veranstaltung des European Art Forums allein wert gewesen zu sein. Beeindruckend die Leichtfüßigkeit seiner Sprache, das Ausmaß des interdisziplinären Detailwissens, die Stringenz seiner Argumentation. Selten ist der Zusammenhang von Imperialismus und Zivilisationsbildung, von europäischem Superioritätsgefühl und der Schaffung und Be-schwörung notwendiger Feindbilder auf so wenigen Seiten so anschaulich dargelegt worden. Lediglich Dagmar Rieger gelingt der Ansatz eines ähnlich wissenschaftlich fundierten und artikulierten Plenumsbeitrags. Eine Leistung, die deshalb auch Ansatz bleiben muß, weil ihr Text mutwillig gekürzt wurde - und das, wo, wie bei solchen Veranstaltungen üblich, den Beiträgen der Frauen ohnehin nicht allzu viel Platz eingeräumt wurde.

Klaus von Dohnanyi schießt in seiner »Stellungnahme zum Eröffnungsvortrag« den Vogel an selbstgerechter Unverfrorenheit, ja Peinlichkeit ab. »Schon die sprachliche Unterscheidung zwischen ‘entwickelten’ und ‘in der Entwicklung befindlichen Völkern’ (...) setzt per definitionem einen weltweit gültigen Maßstab der Entwicklung voraus. (...) Der Globus ist europäisiert worden und wird es gegenwärtig mit beschleunigter Geschwindigkeit immer mehr. (...) Es ist dies wohl das Ergebnis einer allgemeinen evolutionären menschlichen Entwicklung. (...) Nicht Kolonialismus oder Superioritätsthesen, sondern der größere evolutionäre Sprung führte zu Europas Dominanz.« Thesen, die im Fall von Dohnanyi nichts anderes beweisen, als daß auch ein Besuch der US-Eliteuniversitäten Stanford und Yale bei weitem nicht den damit assozierten Bildungs- und Erkenntnisvorsprung mit sich bringen muß.

Zum Thema »Festivals: Trendsetter oder Traditionshüter« vereinte der Arbeitskreis IV der Tagung - neben Saids Eröffnungsrede - die einzigen Beiträge, die dem ‘Art’ in ‘European Art Forum’ einigermaßen gerecht werden. Sinn macht diese Fragestellung in bezug auf die Salzburger Festspiele nur dann, wenn man ‘Trendsetting’ nicht mit Avantgarde im Sinne von ‘Arbeit an der Speerspitze der Expansion und Vertiefung gegenwärtiger künstlerischer Möglichkeiten und Entwicklungen’ verwechselt.

Avantgardistisches wird bei den Salzburger Festspielen immer zufällig entstehen - etwa wie ein Rohrschach-Klecks, der einer Radierung Goyas aufs Haar gleicht. Trendsetting unter den Dächern der Salzburger Festpielstätten meint etwas anderes - etwa eine Integration der Klassiker der Musik des 20. Jahrhunderts. Salzburg scheint sich zu jener Spielstätte zu entwickeln, die den Weg für eine rasche Kommerzialisierung von Schönberg, Strawinsky und Messiaen bereiten könnte - etwas, wonach die Musikindustrie in unseren Breitengraden schon seit langem dürstet. So gelang es Peter Stein mit einem Griff ins Repertoire der Populär- und Massenkultur, Arnold Schönbergs ‘Moses und Aron’ im Stil der ‘Winnetou’-Filme aus den sechziger Jahren zu inszenieren - und deren Niveaulosigkeit dabei teilweise zu unterbieten. Alle Achtung! Leander Haussmann wiederum wußte das Publikum mit einer beispiellos uninspirierten Inszenierung des ‘Sommernachtstraums’ zu verwöhnen - und trug damit maßgeblich dazu bei, daß sich ein Großteil des Publikums nach der Vorstellung wieder einmal von Shakespeare - durch den Kontrast zwischen der künstlerischen Armut der Inszenierung und des Reichtums des ewig jungen Textes - überwältigt sah. Besten Dank!

Und das, wo es Gerard Mortier doch darum geht, »(...) to motivate the European population with aspirations and visions rather than to comfort them with ‘bread and games’«.