november-dezember 1996

Mario Jandrokovic
geschaut

WochenKlausur / Berge im Tal / Diagonale verschiebt sich

WochenKlausur

Zu schauen, wie es Kunst für gewöhnlich zumindest in Aussicht stellt, gab es eigentlich wenig. Da war einmal die Schrebergartenhütte im Toskanatrakt, auf die Herbert Fux mit gewohntem Altstadtbewahrungsreflex reagierte - ein Aufsehen, das eigentlich ja niemanden zu kratzen braucht. Dort, im sogenannten »Haus Österreich«, zogen sich ExpertInnen wie HonoratiorInnen aus den Bereichen Flüchtlingsbetreuung, Wissenschaft, Kirche, Politik und Exekutive zurück, um in Kleingruppen über die Bedingungen von Schubhäftlingen zu disputieren. Initiiert wurde die Aktion von einer Gruppe von KünstlerInnen unter der Leitung von Wolfgang Zinggl, die in der Zeit ihrer »WochenKlausur« mit Basisstation im Künstlerhaus den Rahmen ihres selbstgenügsamen und -vergessenen KunstschaffendeR-Seins hinter sich ließen und den Kunstbegriff einmal gehörig in Richtung gesellschaftlicher Intervention erweiterten. Was sie innerhalb kürzester Zeit an Verbesserungen für Salzburgs Schubhäftlinge in die Wege leiteten (deren Haftbedingungen ja bekanntlich die Minimalforderungen an jener Menschenwürde unterbieten, die in unseren Breiten großherzig proklamiert wird), ist wirklich erstaunlich und war bei der Abschlußpräsentation im Künstlerhaus samt kaltem arabischen Buffet und warmen Konsensbekundungen zwischen Exekutive und Politik, Kunst und Sozialem anzuschauen: Nebst einem Vollbeschäftigten werden noch Ehrenamtliche für eine längst ausständige psychosoziale Betreuung, zumindest minimale Beschäftigungsmöglichkeiten während des Ausharrens sowie bessere Kontakte mit der Außenwelt sorgen. Die müßige Frage nach guter Kunst ist hier mit der guten Tat beantwortet, da kraft künstlerischer Intervention ein barbarischer Zustand zumindest kultiviert wurde.

Berge im Tal

Wenn eine vergleichsweise kleine Kulturinstitution beinahe aus dem Nichts, ausgestattet mit einem Minimalbudget, eine Veranstaltungswoche auf die Beine stellt, zu der im ersten Jahr über 3.500 und im zweiten knapp an die 5.000 BesucherInnen kommen, dann ist das zumindest bemerkenswert. So geschehen bei dem vom Filmkulturzentrum DAS KINO seit 1994 ausgerichteten Salzburger Bergfilmfestival »Abenteuer Berg - Abenteuer Film«. Wenn heuer der alpinistische Filmevent zum dritten Mal über die DAS KINO-Bühne geht - und zusätzlich gastiert das Bergfilmfestival auch in Hallein -, dann werden wieder ähnlich viele BesucherInnen erwartet. Um den Andrang zu »entzerren«, wurde das Festival verlängert und dauert nun von Freitag, 22. November, bis inklusive Sonntag, 1. Dezember, zehn volle Tage. Zweifellos ist es zuallererst der seit Jahrzehnten ungebrochenen Anziehungskraft des Alpinismus zuzuschreiben, daß DAS KINO eine Woche lang aus allen Nähten platzt. »Abenteuer Berg - Abenteuer Film« ist als Publikumsfestival ein »Familientreffen« Gleichgesinnter; und derer gibt es eben eine ganze Menge.

Und was treiben Nicht-BergsteigerInnen derweilen? Fernsehen oder ins Elmo gehen? Weder - noch! Gerade die jüngere Generation der Kletterer, aber auch die der »klassischen« Alpinisten ist längst aus der antiquierten, manchmal etwas verzopften und isolierten (Alpen-)Vereinsmeierei herausgetreten. Exemplarisch sei hier der derzeit wohl erfolgreichste Alpinschriftsteller im deutschsprachigen Raum, Malte Roeper, genannt. Der 34jährige Autor und Extrembergsteiger - in dieser Reihenfolge! - erzählt Geschichten von der Lust aufs Leben, egal ob es die Eiger-Nordwand solo oder eine Reise mit Güterzügen ist. »Bergsteigen ist, wie die meisten schönen Dinge im Leben, eigentlich überflüssig«, schreibt Roeper. Mehr von ihm am Eröffnungsabend (22.11.) von »Abenteuer Berg - Abenteuer Film« in DAS KINO.

Diagonale verschiebt sich

Trotz des Quentchens an üblem Beigeschmack, den die Festival-Kultur samt der Selbstfeier dabei hofhaltender Gurus üblicherweise so mit sich bringt: Das Filmfestival »Diagonale« hat bisher in der Mozartstadt das öde Pflaster kurzfristig aufzuwühlen gewußt und bewiesen, welch breite Masse an Filminteressierten es vor Ort und Umgebung gibt. Vor allem konnte sich dabei auch die subventionsgebende Kaste davon überzeugen, daß so etwas wie österreichischer Film auch jenseits von Schwabenitzky, Paulus und deren wenigen Konsorten in breiter, bunter Palette existent ist - oder zumindest auf eine Chance wartet. Im heurigen Dezember findet zwar nicht, wie geplant, die dritte Diagonale statt, doch es hätte auch sonst nicht viel zum Schauen gegeben. Nachdem mit Heinrich Mis bereits der zweite Programmintendant das Handtuch geworfen hat und auf die Schnelle niemand für die Nachfolge gefunden wurde, wollte Geschäftsführer Martin Schweighofer den Event in eine ExpertInnen-Talkrunde ohne großes Begleitprogramm ummodeln; das Festival fürs Fußvolk hätte irgendwann nach dieser exklusiven Trockenschwimmübung stattfinden sollen. Nachdem der mit der Auswahl der ProgrammintendantInnen betraute Minister Scholten unter den zahlreichen Bewerbungen bis Redaktionsschluß noch niemanden für die Nachfolge bestimmt hat, bleibt zu hoffen, daß Salzburgs mit der nächsten Diagonale seinen Film-Frühling erleben wird.