november-dezember 1996

»special poetics«

In der poetischen Welt gibt es keine Randgruppen

Für den »kunstfehler« sprach Ursula Rotter mit dem Kabarettisten Peter Blaikner zu den »special poetics« im Literaturhaus am 15. November.

Ihr macht jetzt inzwischen zum zweiten Mal gemeinsam mit der Lebenshilfe die »special poetics«. Was genau passiert denn da?

• Ich mache einen Workshop mit geistig Behinderten, die von der Lebenshilfe betreut werden. Einige schreiben nämlich sehr viel und sind auch sehr an Literatur interessiert. Diese Teilnehmer zeigen mir, was sie in letzter Zeit so geschrieben haben. Das werden wir dann gemeinsam zum Teil überarbeiten, aber auch Neues gestalten. Die Texte aus dem Workshop und auch andere, die sie zu Hause schon gemacht haben, werden dann am 15.November präsentiert.

Wie seid Ihr denn auf die Idee gekommen, so eine Veranstaltung zu machen?

• Das war eigentlich eine Idee von Peter Fuschlberger (Öffentlichkeitsarbeiter des Literaturhauses, Anm.), der vorher eine Zeit lang bei der Lebenshilfe gearbeitet hat. Da hat sich dann eben diese Verbindung ergeben. Er hat erzählt, daß da sehr viele drin sind, die sehr gern schreiben. Peter Fuschlberger hat mir dann vorgeschlagen, doch etwas mit Behinderten zu machen. Nachdem mich das auch sehr interessiert hat, bin ich gleich darauf eingestiegen und letztes Jahr im Herbst haben wir das dann probiert. Die Veranstaltung hat unter den Betroffenen irrsinnig eingeschlagen und die Teilnehmer der Lebenshilfe rechnen fix damit, daß das auch heuer wieder stattfindet.

Wie hat das Publikum die ersten »special poetics« aufgenommen?

• Das Publikum war unglaublich angetan von dem Abend. Die Texte werden mit Musik präsentiert, ich moderiere und stelle die Dichter und Schriftsteller vor.

Welche Unterschiede gibt es bei den »special poetics« zu den sogenannten „normalen“ Dichterlesungen?

• Letztes Jahr heben wir den Work-shop für Behinderte und Nichtbehinderte gemeinsam gemacht. Das Interessante daran war, daß bei den erarbeiteten Texten wenige Unterschiede waren, die Texte Behinderter waren sogar interessanter als die der Nichtbehinderten. Die behinderten Dichter haben nämlich mit herkömmlichen Mustern nichts am Hut, denen ist die Literatur-Tradtion und die übliche Art zu schreiben völlig egal. Die schreiben einfach drauf los. Und genau das ist interessant, die spontane Art, die sehr viele Leute schon verloren haben, die bereits längere Zeit mit Literatur zu tun hatten.

Sind die Texte in gewisser Weise auch phantastischer?

• Nicht nur. Sie sind teilweise auch sehr absurd, sehr, sehr witzig und auch sehr gefühlvoll und sensibel. Die Texte haben eine ziemliche Aussagekraft und stellen auch einige Forderungen an die Gesellschaft.

Siehst Du Dich dann in gewisser Weise auch als literarischen Therapeuten?

• Nein, das bin ich sicher nicht. Denn ich bin dazu ja nicht ausgebildet oder auserwählt, und ich will mich auch nicht als Therapeut aufspielen. Ich sehe mich nur als Vermittler von Literatur. Sehr interessant ist allerdings der Aspekt, daß es in der poetischen Welt keine Randgruppe, die Behinderte in unserer Gesellschaft sind, mehr gibt. Die Texte Behinderter und Nichtbehinderter stehen einfach gleichwertig nebeneinander.

Aber für Behinderte selbst ist Schreiben doch sicher ein Teil der Therapie?

• Ja, sicher. Ich gebe ihnen dann eben das Forum sich zu präsentieren. Natürlich, in der Präsentation ist der Unterschied zu einer üblichen Dichterlesung schon zu sehen. Sie sind ganz anders nervös und haben zum Teil auch sprachliche Schwierigkeiten. Da werde ich dann die Texte vorlesen. Andere lesen sehr gut selbst und machen auch eine ganz witzige Show. Das Publikum ist aber auch sehr nachsichtig, wenn etwas schief geht.

Wir danken für das Gespräch!