november-dezember 1996

Thomas Neuhold

Ein bißchen DDR

Die soziale und demokratische Lähmung der SPÖ erinnert an die der SED in den 80er Jahren.

»Wählt diese Regierung doch endlich ab!«, forderte der Schriftsteller Robert Menasse eine Woche vor der EU-Wahl in einem »Standard«-Kommentar. Menasses Gebet wurde am 13. Oktober indirekt erhört. Zugegeben, das Ergebnis der EU-Wahlen ist realpolitisch nicht so dramatisch, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Sieht man von negativen internationalen Reaktionen einmal ab, so ist es derzeit wohl nur am Rande von Bedeutung, wer in Straßburg seine Hände zur Abstimmung hebt. Das mag auch viele, die Jörg Haider nicht am Ballhausplatz sehen möchten, bewogen haben, den Wahltag zum »Zahltag« werden zu lassen. Daß in Salzburg die Mann- und Frauschaft von FP-Obmann Karl Schnell mit neuem Selbstbewußtsein auftritt, wird an den realen Verhältnissen - vorerst - wenig ändern.

Nur, genau das ist das eigentlich Besorgniserregende dieses Wahlganges: Das Desaster der Sozialdemokraten wird an der politischen Agonie, in der das Land seit Jahren liegt, wenig ändern. Wenn VP-Landeshauptmann Franz Schausberger in einer ersten Reaktion meinte, die Führungsrolle der FPÖ in Stadt und Land Salzburg sei das Problem der SPÖ, demonstriert er zwar angesichts kommender landespolitischer Wahlgänge verblüffende Zuversicht, im Kern freilich hat er recht.

Tatsächlich hat die SPÖ das Problem; da kann weder der taktische Wahlsieg 1995 noch die kosmetische Korrektur etwas ändern.

Ein Vergleich mit der DDR mag weit hergeholt erscheinen, dennoch erinnert Franz Vranitzkys spontane Verweigerung am Wahlabend - »... an der Politik nichts zu ändern...« - fatal an jenen Erich Honecker zugeschriebenen Spruch aus dem Jahr 1989, nach welchem »den Sozialismus in seinem Lauf« weder »Ochs noch Esel« aufhalten könne. Ende der 80er demonstrierten DDR-BürgerInnen für Reisefreiheit, indem sie weiße Wimpel an der Antenne ihres Trabi befestigten. In Österreich zeigen die sozialdemokratischen Kernschichten ihren Unmut mit blauen Kreuzerln. In der DDR wurde mit ZK-Plena und Staatsratssitzungen geantwortet. In Österreich einigen sich Vranitzky und Schüssel am Wahlabend darauf, daß sich die Sozialpartner »treffen« werden. In beiden Fällen wurden beziehungsweise werden die Ergebnisse der Beratungen dem Volk via »Neues Deutschland« beziehungsweise »Krone« und ORF mitgeteilt. Die SED-Spitzen verstanden in ihrer realsoziali-stischen Realitätsverweigerung unter Volksnähe eine Aussprache mit eigens augewählten FabriksarbeiterInnen. Der SPÖ-Vorsitzende meint auf den Vorhalt, er habe den Kontakt zur Basis verloren, er verbringe ohnehin die Hälfte seiner Zeit in Betrieben, auf Versammlungen etc... SPÖ und SED sind natürlich nicht gleichzusetzen, aber die Mechanismen der zwei Arbeiterparteien sind sich ähnlich.

Wenn Alexander Purger in den SN eine Parallele zu Kaiser Franz Joseph zieht, meint er dieselbe Haltung, die Stabilität mit morbider Stagnation verwechselt, nur bemüht Purger eben eine an-dere Epoche. Auch das hinkt, denn Vranitzky ist nur ein bißchen Franz Joseph, und Österreich ist eben nur ein bißchen DDR. Im Unterschied zu Österreich hatte das sozialistische Staaten-system nie eine interstaatliche Gegenmacht zugelassen, das mit dem Untergang der SED entstandene Machtvakuum konnte nur von außen gefüllt werden. Hierzulande wandert ein Teil der Macht ebenfalls ab und ging mit dem EU-Beitritt an die Brüsseler Zentralstellen. Für das Verbliebene bietet sich aber zwischen Boden- und Neusiedlersee eine sehr reale Alternative an: Die Freiheitlichen! Konnte sich die SPÖ noch 1995 bei den Nationalratswahlen mit der »Angst-vor-Haider«-Masche über die Runden bringen, so sinkt die Furcht offensichtlich in dem Maß, wie die So-zialdemokratie an sozialem und demokratischem Anstand verliert. Ihren vorläufigen Höhepunkt hat diese Entwicklung in der Werkvertragsregelung und der darauffolgenden Reparatur-Schi-märe gefunden. Selbst der altehrwürdige Kreditschutzverband von 1870 hat eine Verfassungsklage eingebracht. Wenn dann noch sozialpolitische Erklärungen für den von Gewerkschaft und Partei erfundenen Schwachsinn herhalten sollen, lachen wohl sämtliche Hühner von hier bis zum Fehringer. Bis sie blau werden.

Natürlich gibt es eine ganze Reihe berechtigter Einwände gegen die Ansicht, wonach eine weitere Stärkung der FPÖ wenig ändern würde, und Haider nichts »wesentlich anders« (Menasse) machen würde als die von der SP geführte Regierung. Die Verstrickung mit den Rechtsextremen gehört genauso zu diesen Einwänden wie das autoritäre Partei- und Staatskonzept Haiders oder auch ein Kulturverständnis, das in der mutwilligen Zerstörung von Kunstwerken durch Salzburgs FP-Gemeinderatsklubobmann Eduard Mainoni gipfelt. All das verblaßt aber offensichtlich zusehends vor der Enttäuschung über die Politik der Sozialdemokraten.

Wenn dann ein führender SPÖ-Funktionär aus Salzburg im Gespräch mit dem Autor dieser Zeilen vor allzu scharfer Kritik an seiner Partei warnt, »weil Euch (gemeint sind die Kulturschaffenden; Anm.) sonst die Bündnispartner abhanden kommen«, macht dies überdeutlich, in welchem Zustand sich die SPÖ befindet. Da wird sozialdemokratische Politik in ihr Gegenteil verkehrt, die politische Phantasie erschöpft sich in kurzfristiger Machterhaltung. Wer vertritt hier eigentlich wen? Benötigen nicht jene, die von uns in Vertretungsgremien entsandt werden wollen, unsere Zustimmung zu ihrer Politik, und nicht wir ihre zu unserer Existenz?

Angesichts des Verlustes alter Machtzentren - von der Konsumgenossenschaft über die Verstaatlichte bis zu den zerfallenden Vorfeldorganisationen und ohnmächtigen Gewerkschaften - bedarf es jedenfalls mehr als der ab und an diskutierten personellen Konsequenzen. Robert Menasse fordert das Engagement der kritischen Intelligenz ein: »Wir wären unduldsamer in unseren Reaktionen, konsequenter in unserer Kritik, radikaler in unserem Widerstand. Und ich frage mich, worauf da noch gewartet wird.« Hier liegt wohl auch für die SPÖ der springende Punkt. Dazu bedarf es als Vorleistung der Bereitschaft der führenden Sozialdemokraten, nicht nur - wie einst die SED - einer Reform von oben das Wort zu reden, sondern Veränderungen von unten und Kritik von »außen« zuzulassen. Wer sich heute überhaupt noch mit der SPÖ beschäftigt, kann schon eher als potentieller Partner gesehen werden denn als politischer Gegner. In Kärnten beispielsweise hat Michael Außerwinkler das in Ansätzen versucht, und die SPÖ in den Konfrontationen um das Ulrichsbergtreffen, die Wehrmachtsausstellung oder das Wahlalter eindeutig positioniert. Läßt die SPÖ in Stadt, Land und Bund solche Auseinandersetzungen, vor allem jene um die Zukunft sozialdemokratischer Politik nicht zu, droht zwar nicht das SED-Schicksal, doch das der englischen Labour oder der SPD sollte Warnung genug sein.