november-dezember 1996

Eckhart Falkensteiner

Salzburg brennt!!?

Oder war es doch nur ein Strohfeuer der kleinformatigen Phantasie?

»Schwere Krawalle in Salzburg« titelten Salzburger Zeitungen Ende September und berichteten ausführlich von Punks und Chaoten, von Hausbesetzung, fliegenden Steinen und Brandsätzen - und von einem vorbildhaften Polizeieinsatz.

Und ließen bei aller bunt bebilderten Kampf-Berichterstattung für viele die Frage im Raum stehen: Was ist da eigentlich passiert?

Nicht viel, ist man versucht zu sagen, wenn man sich die »Opferbilanz« ansieht: Sachschaden an zwei privaten PKWs, Beschädigungen (ca. 50.000,- Schilling) an Helmen, Schildern und Autos der Polizei. Und keine Verletzten. Eine »ganz normale Wirtshausrauferei« geht schnell einmal schlimmer aus.

Daß allerdings nicht mehr passiert ist, liegt weniger an der Besonnenheit der Punks, die da Steine und Molotowcocktails vom Dach warfen, als vielmehr an einer gehörigen Portion Glück und schlechtem Ziel. Und es liegt wohl auch an der Tatsache, daß das Großaufgebot der Polizei das Haus nicht stürmte, sondern zunächst einmal abwartete. Zuviel verlangt war aber scheinbar die Erwartung an die Einsatzkräfte, aktiv etwas zur Deeskalation beizutragen. Obwohl beispielsweise bekannt war, daß sich unter den »Besetzern« einige befanden, die ganz einfach von der Entwicklung der Ereignisse überrascht worden waren und das Haus aufgrund der Barrikaden nicht mehr verlassen konnten, wurde von Seiten der Polizei nie versucht, Gespräche mit den Leuten im Haus aufzunehmen.

Nach einigen Stunden kamen die Punks dann nach und nach freiwillig aus dem Haus heraus. Bei der an-schließenden »Erstürmung« des Hauses wurden 2 Obdachlose, die im Dachboden »wohnten«, aus dem Bett heraus verhaftet und mit 32 festgenommenen Punks - etwa zur Hälfte unter 19 Jahre - über Nacht in die Polizeidirektion gebracht.

Irreführend sind die Berichte, die den ganzen Vorfall als Hausbesetzung bezeichnen. Obdachlose und Punks (und obdachlose Punks) hatten seit Wochen und Monaten in dem leerstehenden Haus in der Schallmooser Hauptstraße gewohnt, ohne daß dies zu nennenswerten Konflikten oder Problemen geführt hätte. Für das letzte September-Wochenende hatten dann Punks aus Salzburg und anderen österreichischen Städten - nach deutschem Vorbild - »Chaos-Tage« in Salzburg ausgerufen. Zwei Tage lang Spaß haben, sich aufführen, in einer großen Gruppe nichts gefallen lassen - action hieß das Motto. Konflikte mit der Polizei waren vorprogrammiert. Für den Fall, daß nach irgendwelchen Aktionen in der Stadt die Polizei versuchen würde, Leute in dem Abbruchhaus - das natürlich auch als Quartier für die zugereisten Punks diente - zu verhaften, wurden Steine usw. zur »Verteidigung« vorbereitet. Daß dann - bevor sonst viel passiert war - die Situation um das Haus zum großen Showdown eskalierte, lag mit daran, daß der Gruppe der Punks das eigene Chaos zu unübersichtlich und chaotisch wurde. Zwei eher zufällig in der Nähe stehende Funkstreifen wurden von einigen Punks aus den Fenstern heraus mit Steinen beworfen und bevor der Großteil der Gruppe richtig mitgekriegt hatte, was da jetzt eigentlich passiert, war der Kampf um das Haus in vollem Gange.

Und draußen im Dunkel der Nacht, zwischen hektischen Blaulichtern, grellen Scheinwerfern und brennenden Benzinflaschen ging der Blick auf die Hintergründe schnell verloren. Die gedruckte Salzburger Öffentlichkeit hielt sich mit der Frage nach möglichen Ursachen und Auslösern für die Auseinandersetzung auch in den nächsten Tagen nicht lange auf. In dieser »Nacht der Gewalt«, wurde berichtet, verbreitete ein »wilder Haufen voller unberechenbarer Narren« einen »Hauch von internationalem Chaotentum« in Salzburg. Überlegungen, wie man derartige Vorfälle in Zukunft vermeiden könne, beschränkten sich auf ein kräftiges »Schleicht’s Euch!« an die zugereisten Punks von der kleinformatigen Lokalbeilage einer ehemaligen Salzburger Qualitätszeitung und auf den Beschluß, Fenster und Türen des Abbruchhauses zuzubetonieren.

Nun ist Beton vor leerstehenden Häusern natürlich kein besonders vielversprechendes Rezept zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit. Ebensowenig ist Beton in den Köpfen hilfreich bei dem Versuch, die Eskalation gesellschaftlicher Konflikte zu vermeiden.

Aber Landeshauptmann Schausberger hatte ja schon Stunden vor den Auseinandersetzungen bei einem Tag der offenen Tür in der Polizeidirektion gefordert: »Diese Außenseiter der Gesellschaft dürfen in Salzburg nicht Wurzeln schlagen.« Vielleicht hat er vor allem die Leute gemeint, die extra angereist waren, um hier die Konfrontation zu suchen. Jedenfalls aber hat er damit verblüffend genau geschildert, wie hier lebende Punks die Reaktion ihrer Salzburger Umgebung auf ihre bloße Existenz erleben:

Ausgrenzung im persönlichen und familiären Umfeld, Ausgrenzung auf Arbeits- und Wohnungsmarkt und in weiterer Folge der Versuch einer Ausgrenzung aus dem Salzburger Stadtbild. Öffentliche Treffpunkte von Punks wie auch von anderen Jugendlichen - gerade in der tourismusreservierten Innenstadt - sind ständig begleitet vom Ruf nach Ruhe und Ordnung, verstärkter Kontrolle und der durch unzählige Strafverfügungen unterstrichenen Belehrung, was alles öffentliches Ärgernis erregen könne.

Und wer an dieser Ausgrenzung nicht mitwirkt, macht sich auch selbst gleich verdächtig. So ist es sicher kein Zufall, daß das »Schnaitl-Music-Pub« in der Bergstraße - eines der wenigen Lokale in Salzburg, in dem Punks sich wohlfühlen, weil sie dort behandelt werden wie alle anderen Gäste auch - von Polizei und Presse fast zu einer Art Kommandozentrale der Chaos-Tage hochstilisiert wurde. Und das nur, weil es am Tag vor dem großen Knall vor dem Lokal - die meisten Beteiligten hatten das Schnaitl nicht einmal betreten - zu ersten kleineren Reibereien zwischen Punks und Polizei gekommen war.

Aus einer explosiven Mischung von persönlichen, tief prägenden Erfahrungen von Gewalt, zurückgestoßen werden und enttäuschten Sehnsüchten einerseits und der gesellschaftlichen Reaktion auf unangepaßtes Verhalten andererseits entsteht ein Lebensgefühl, das den Wunsch, endlich einmal nicht zu den Opfern zu gehören, nur zu verständlich macht: einmal stark sein, gemeinsam mit vielen, denen es genauso geht. Es denen allen mal so richtig zeigen: der Polizei, den Bürgern, der Stadt. Und sei es nur für zwei (Chaos-) Tage im Jahr. Aber auch diese Geschichte geht natürlich nicht gut aus. Verhaftungen, Strafverfahren und wachsender Druck durch Polizei und Öffentlichkeit, ausgelöst durch Angst und Unverständnis nach der gewalttätigen Eskalation, haben viele Punks dazu veranlaßt, die Stadt vorerst einmal zu verlassen.

Für manche mag das - siehe oben - aussehen wie eine Lösung. Sie werden noch oft erschrecken müssen. Sie werden noch viele Menschen vertreiben müssen. Wenn es nicht gelingt, sogenannte »Außenseiter« Wurzeln schlagen zu lassen. In dieser Stadt, in dieser Gesellschaft, in diesem Leben.