november-dezember 1996

Ursula Rotter

»Kein Bedarf?«

Zweiter Teil der kunstfehler-Recherche zur Behindertenfreundlichkeit der Stadt

Normalerweise läuft ein Date im allgemeinen so ab: Das Telefon klingelt, Zeit und Ort werden vereinbart, die Vorfreude ist enorm. Trotzdem stellt sich beim Besuch der verschiedensten kulturellen Genüße oft ein ungutes elitäres Gefühl ein. Dann nämlich, wenn man beobachten kann, wie sich behinderte Mitmenschen oft plagen müssen, um an den Ort des Geschehens zu gelangen. Wir denken nämlich noch allzu oft zu beschränkt. Ein klassisches Beispiel ist das neuerbaute Mozart-Wohnhaus. Zwar ist das Gebäude innen nach den neuesten Erkenntnissen umgebaut und auch für Menschen »mit besonderen Bedürfnissen« (die de facto so besonderes gar nicht sind) adaptiert worden, doch die Umgestaltung des Weges in das Haus hinein wurde aus baupolizeilichen und altstadtschützerischen Gründen nicht durchgeführt. Unternehmungslustige Rolli-FahrerInnen sind also auf hilfreiche und kräftige PassantInnen angewiesen. Von selbstbestimmtem Leben ist da keine Rede mehr. An der Kassa rechtfertigt die Dame das so: »Die kommen eh immer in Begleitung!« Warum wohl?

Ähnlich gelagert sind die Ausreden der meisten Kulturstätten. »Wir hatten eigentlich noch nie dieses Problem«, argumentieren Landestheater und Stadtkino unisono. Nona, aber die einfachste marktwirtschaftliche Regel vom Angebot, das die Nachfrage regelt, haben die Damen und Herren nicht drauf. Aber, wir wollen ja nicht ungerecht sein. Zumindest geben sich die Angestellten der nicht besonders behindertenfreundlich ausgebauten Kulturstätten ausgesprochen hilfsbereit: Rollis und ihre Besitzer-Innen werden über Stiegen getragen und so gut es eben geht versorgt. Vorausgesetzt nur, daß sich die kulturgie-rigen Damen und Herren vorher anmelden. Dann nämlich steht zusätzliches Personal bereit. In der Pause dort etwas zu trinken, ist allerdings nicht empfehlenswert - die Toiletten sind nämlich weder erreichbar, geschweige denn entsprechend adaptiert. Aber es wäre unfair nicht zu erwähnen, daß gerade im Theaterhaus an der Hummelstraße die Bemühungen, zumindest beim Seiteneingang eine Rampe zu errichten, bisher an der (noch immer nicht erfolgten) Sanierungstätigkeit der Stadtgemeinde Salzburg am Makartplatz und Umgebung gescheitert sind. Ein großes Plus erwerben sich die Theatermanager mit der Installation einer Hörverstärkeranlage. Demnächst können Schwerhörige dem Theatergeschehen via funkgesteuerter Kopfhörer wieder leichter und besser folgen. Ein ehrgeiziges Projekt, das hoffentlich bald viele Nachfolger findet.

Im Haus der Szene gibt man sich zerknirscht, verspricht aber mittels einer Rampe zumindest den Zugang ins Haus zu vereinfachen. Das im Haus untergebrachte Lokal wäre dann ebenso wie das Foyer und der Veranstaltungssaal ohne gröbere Probleme bzw. auch ohne Hilfe zu erreichen. Zusätzlich soll eine per Funk ausgelöste Glocke dennoch benötigte Hilfe schneller herbeieilen lassen und der Szene Stemmarbeiten ersparen. Am nicht vorhandenen Geld scheiterte bislang auch ein Umbau zur Errichtung einer Behindertentoilette. Denn die halsbrecherisch steile und enge Stiege verhindert selbst das Hinuntertragen.

Positiv zu erwähnen sind alle in den letzten Jahren errichteten bzw. umgebauten städtischen Einrichtungen. Sowohl im Rockhouse wie auch im Literaturhaus sind Behindertenparkplätze direkt vor den ebenerdig angelegten Eingängen zu finden. Der Veranstaltungssaal im Rockhouse ist ebenso wie das Klo und das Beisl problemlos zu erreichen. Etwas schwierig gestaltet sich nur die Erreichbarkeit der Büros. Zwar gibt es eine Klingel, die zu finden ist aber eher etwas für Insider. Also: Links neben der Außentür zum Veranstaltungssaal, knapp vor den Stufen zum Seminarraum, findet sich die Gegensprechanlage. Ein Teil der Büros, das Besprechungszimmer und die Proberäume sind über einen Lift zu erreichen. Die Proberäume sind übrigens auch für rollstuhlfahrende MusikerInnen wunderbar zugänglich, und eine Behindertentoilette erleichtert die nervöse Blase. Bühne und Künstlergarderoben sind über eine Rampe erreichbar. Im Literaturhaus Eizenbergerhof führt ein Lift zu den Veranstaltungsräumen und zum Cafe. In jedem Stockwerk findet sich eine Behindertentoilette. Der Eintritt ist hier wie im Rockhouse für Begleitpersonen (auf Verlangen) frei. Im Rahmen des Lesefestivals »freies lesen« finden integrative Veranstaltungen mit hörbehinderten Menschen statt. Regelmäßige Kooperationen von Literaturgruppen und Behinderteneinrichtungen begründeten unter anderem die »special poetics«, bei denen geistig Behinderte ihre literarischen Talente präsentieren.

Das Kulturgelände Nonntal leistete in Zusammenarbeit mit dem Mobilen Hilfsdienst Ende September mit dem Kabarett »Krüppel aus dem Sack« bissige Aufklärungsarbeit. Sehr zufrieden über die Ausstattung der ARGE zeigten sich die anwesenden Behinderten. Der breite, ebene Eingang und die behindertengerechte Toilette wurden von den MitarbeiterInnen des MoHi nachdrücklich erwähnt. Als »etwas unglücklich« bezeichnete Albert Lindner, Rollstuhlfahrer und MoHi-Angestellter, die Lösuung, die Toiletten im Beisl aufs Podest zu heben. Man könne aber leicht zu den Klos im Veranstaltungsareal gelangen, so Albert.

Filmfreaks sind am besten im Das Kino aufgehoben. Keine hinderlichen Stufen beim Eingang, eine Rampe zum großen Saal und ein (derzeit leider nicht gekennzeichnetes) Behindertenklo neben der Kassa. Komplizierter wird es allerdings bei Filmen, die im Studio gezeigt werden. Da müssen sich RollstuhlfahrerInnen auf die Muskelkraft Anwesender verlassen. Auch Vorträge oder Diskussionsrunden, die normalerweise im ersten Stock stattfinden, bedürfen einer gewissen Hilfsbereitschaft Umstehender. Der Einbau eines Liftes war, so erklärte uns Das Kino-Leiter Michael Bilic, aus technischen Gründen nicht möglich. Aus diesem Grund, und wegen der enormen Überteuerung des Umbaus, war das behindertenfreundliche Konzept Bilics nur bis zu einem gewissen Grad machbar. Die anderen Kinos sind gerade für Rolli-FahrerInnen wahre Stolperfallen. Entweder behindern Stufen den Eingang oder das Betreten der Lichtspielstätten kann nur über den Hintereingang erfolgen. Spezielle Toiletten sind in keinem kommerziellen Kino vorhanden.

Kultur findet ja nicht nur in eigens dafür gebauten Stätten statt. Gerade in Österreich gehört Essen und Trinken wesentlich zur Kultur dazu. Eines der Paradekaffeehäuser Salzburgs, das Cafe' Bazar, glänzt geradezu in seiner Behindertenfeindlichkeit. Es ist vor allem für RollstuhlfahrerInnen nahezu unmöglich, ohne Hilfe zu Kaffee und Kuchen zu gelangen. Und wie eine zu den ohnehin nicht adaptierten Klos führende Wendeltreppe ohne Lift bewältigt werden soll, tja, das steht in den Sternen. Daß es auch ganz anders gehen kann, zeigen vor allem die von amerikanischen Ketten geführten Innenstadt-Hotels. In der amerikanischen Verfassung ist das Recht auf Gleichbehandlung und Anti-Diskriminierung festgeschrieben, und keines dieser Hotels würde eine (sicher Millionen teure) Klage eines im Ausland weilenden, behinderten Amerikaners riskieren.

Natürlich sind nicht nur gehbehinderte Menschen in ihrer Mobilität in unserer »Weltkulturstadt« gehandicapt. Vor allem auch ältere, seh- und/oder hörbehinderte MitbürgerInnen sehen sich zu Recht benachteiligt. »Dialog im Dunkeln« nannte sich eine Installation der mittlerweile schwer geschmähten Kulturgesellschaft SPOT, die Sehenden die Schwierigkeiten, aber auch die Fähigkeiten Blinder vermitteln sollte. SPOT gibt es nicht mehr, die von der Stiftung Blindenanstalt Frankfurt »erfundene« Ausstellung hingegen reist mit unglaublichem Erfolg durch Österreich. Derzeit befindet sich die Ausstellung, in der es nichts zu sehen, aber viel zu erleben gibt, in Linz. Ausverkauft bis zum Ausstellungsende. Man sieht, Interesse und Sensibilität sind in unserer Gesellschaft vorhanden, trotzdem werden - gerade in Salzburg - die meisten Versuche, Behinderte in ihrer Selbstbestimmheit zu unterstützen, immer wieder abgeschmettert. Ein/e Behindertenbauftragte/r ist nicht genug. Es braucht gesetzliche, wahrscheinlich sogar verfassungsrechtliche Bestimmungen, um die Mobilität auch für gehandicapte Mitmenschen zu garantieren.