november-dezember 1996

Vitruvius
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Salzburg darf nicht Las Vegas werden

Das Corporate Design einer Stadt wird von ihrer architektonischen Gestalt geprägt. Salzburg entscheidet dennoch nicht nach dem Best-, sondern nach dem Billigstbieterprinzip

Es ist nichts weiter als eine Binsenweisheit, daß Städte heute ebenso einem Wettbewerbsdruck unterliegen wie andere Markenartikel. Salzburg redet sich daher seit geraumer Zeit ein, Kulturstadt - mit Betonung auf Kultur - zu sein. Der Festivalreigen, zeitlich im Frühjahr und Sommer, räumlich im Zentrum angesiedelt, scheint der größte Garant für dieses Selbstbild zu sein.

Das Image »Kulturstadt Salzburg« bleibt nach diesem Modell begrifflich, räumlich und zeitlich eingeschränkt. Zu Vieles findet darin nicht Platz. Es bedarf daher dringend einer Entgrenzung, um die Erneuerung als Grundbedingung jeglicher Kultur zu gewähren. Die Architektur spielt, mit kalkulierten Abstrichen, dabei eine Vorreiterrolle.

Corporate Design

Salzburg strebt zwar das Image Kulturstadt an, leistet sich aber Schnitzer, welche diese Botschaft beeinträchtigen. Aber wahrscheinlich wurde den Verantwortlichen bisher zu wenig vermittelt, daß Architektur, d.h. die geplante Gestaltung unserer Lebenswelt, ein wesentlicher Bestandteil unserer Kultur ist. Unlängst war im kunstfehler von der verjuxten Chance Müllnersteg die Rede. Mit dem Vorhaben Neubau Kongreßhaus wurde mittlerweile der nächste baukünstlerische Flop ins Gleis gestellt. Dabei verlangt die Stadt Salzburg von privaten Bauherren, daß sie sich der Qualitätskontrolle beim Bauen (durch Gremien wie SVK, Gestaltungsbeirat, Wettbewerbsjurien) stellen, um ausgerechnet bei kommunalen Bauvorhaben diese Regeln zu biegen. Die Stadt entscheidet nicht nach dem Best-, sondern nach dem Billigstbieterprinzip. Es ist nunmal so, daß das Corporate Design einer Stadt von ihrer architekto-nischen Gestalt geprägt wird. Da nützen keine frommen Marketing-Sprüche, wenn in der Realität von einem kulturbewußten Entscheiden wenig spürbar ist. Dabei müßte bloß ein wenig mehr - nämlich über die funktionale Erfüllung hinaus - der Wille zur Gestalt deutlich werden, um aus dem Alltag heraus die Sphäre der Kultur zu betreten. Natürlich ist es verwunderlich, daß solch elitärer Anspruch über ein alternatives Blatt Verbreitung finden muß, aber die boulevardisierte bürgerliche Öffentlichkeit kennt nur zwei Kategorien für das Thema Bauen: Stararchitektentum und Skandale. Beides läßt die Breite des Baugeschehens unter den Tisch fallen und erzeugt Distanz. Die Identifikation der Bewohner mit ihrer Stadt als gebauter Umwelt, in der sie mitgestalten und sich verwirklichen können, wird zudem abgeblockt.

Entleerung der Mitte

Die lokale Presse feiert in Wochenendbeilagen gerne vermeintliche Meisterwerke und ihre Schöpfer, selbst die Vorarlberger und die steirische Szene kommt regelmäßig zu Ehren. Daß in Salzburg aber in den letzten Jahren Richtungsweisendes entstand, wird erst zögerlich und eher mit Argwohn als purer Freude wahrgenommen. Im Hintergrund geht es um die symbolische Ordnung: Zentrum versus Peripherie, die sich durch das Wachstum der Stadt ganz zwangsläufig stellt. Die Mitte der Stadt wurde durch die Entwicklung der letzten Jahrzehnte immer leerer. Die Wohnbevölkerung ist abgewandert, und mit ihr gingen die Güter des täglichen Bedarfs. Heute bevölkern TagestouristInnen die monumentgewordene Altstadt und ihre Andenkenläden.

Weltkulturwerte

Der Altstadtkern wurde jüngst von der UNESCO zum Weltkulturerbe erhoben. Hinter dieser Wertschätzung lauert allerdings die Gefahr, daß das Zentrum noch weiter vom Umfeld entkoppelt, zusehends zum Fremdkörper wird. Dies ist zumal deswegen kritisch zu werten, weil Salzburg als Verzahnung mit dem gestalteten Landschaftsraum gesehen werden muß. Die Ausblendung von 96% der Stadtfläche aus dem ästhetischen Bewußtsein ist kulturell gesehen unhaltbar. Wie bedenklich weit fortgeschritten diese Entwicklung bereits ist, zeigt sich daran, daß man in Alt-Salzburg das Surrogat, die Täuschung, dem Original vorzieht. Das architektonische Erbe wird nicht durch geschichtsklitternde Nachbauten wie dem Wohnhaus der Mozarts gewürdigt. Selbst wenn es den Japanern gefällt und Tai-Ichi damit ein paar Po-lizzen mehr verkauft: Ein Weltkulturerbe kann nur originär oder nicht sein. Daß Disneyworld überall möglich ist, braucht man in Salzburg nicht zu beweisen.

Randkulturen

Es folgt daher, daß Salzburg von seinen Rändern her - und hier insbesonders im Norden zwischen dem Kapuzinerberg und dem Gürtel, der durch die Autobahn gezogen wird, neue Qualitäten erhält. Hier gibt es noch jene undefinierten Räume, die eine Offenheit erlauben, welche das Zentrum in seiner manifesten Starre schon längst nicht mehr gestattet. Dabei ist die formale Heterogenität der entstandenen Bauten wesentlich für den Stadtbegriff. Es bedeutet das Zusammenwachsen unterschiedlicher Ansätze, nicht die Anhäufung des Immergleichen.

So verwirklichte Wilhelm Holzbauer in seinen jüngsten Elaboraten in überreifer Altherrenmanier (Mozart-hof, SAFE-Verwaltungsgebäude) Bauvolumina, die andere in ihrem ge- samten Architektenleben nicht auf die Beine stellen. Allein der Mozarthof weist eine höhere Kubatur auf als die Naturwissenschaftliche Uni Freisaal, und angesichts des blauen »Vierschröters« der SAFE-Zentrale nimmt sich daneben das gelbe Parteihaus der ÖVP wie ein ranker Yuppie aus, dem allerdings die Orientierung vollkommen abhanden kam. Vom Norden schieben sich entlang der Vogelweiderstraße - wie riesige schuppenbesetzte Reptilien - die Zeilen der neuen Porsche-Verwaltung vor. Die von Eduard Wiedmann geplante Anlage wird die Erscheinungsweise dieses, bislang gleichsam hinter dem Bahnhof gelegenen, Viertels neu definieren. Trotzdem hätte man sich gewünscht, daß etwas von der Volkstümlichkeit eines Käfers oder der brillanten Schnittigkeit eines 911ers das Gebäude zu einer echten Trademark hätte werden lassen.

In einem Jahrzehnt wird Schallmoos ein neuer Stadtteil mit hohen urbanen Qualitäten sein. Wer in Salzburg studiert, hat in naher Zukunft wieder eher eine Chance, ein günstiges Zimmer zu finden, zumindest wenn es nach der Anzahl der vorliegenden Projekte für Studentenwohnheime geht. Empfohlen sei die gerade in Fertigstellung befindliche Anlage in der Röcklbrunnstraße von Fritz Lorenz. Drei Baukörper mit hellen, zur Sonne orientierten Zimmern gruppieren sich um einen zentralen Hof. Da sollte man gerade noch mal inskribieren können!

Neue Merkzeichen

Seit geraumer Zeit beeindrucken die Salzburger Stadtwerke mit Bauten, welche im Atelier der Schweizer Planer Betrix & Consolascio konzipiert werden. Das Management der Stadtwerke hat begriffen, was die Stadt noch zu lernen hat: Bauwerke sind Imageträger. Fachzeitschriften huldigen regelmäßig diese genialen Entwürfe, die Ehrungen häufen sich, und die Stadt Salzburg (immerhin ist sie zu 100% Aktionär) profitiert von dieser Weitsicht. Egal ob das Umspannwerk Mitte oder das Heizkraftwerk Nord, immer liegt die architektonische Qualität weit über dem Durchschnitt. Mit seinem skulpturalen, dreiseitigen Schornstein markiert das Heizkraftwerk Nord den Rand der Stadt Salzburg. Selbst jenen, die sie nur auf der Autobahn passieren, prägt sich dieses Merkzeichen ein. Wesentlich ist, daß solche Infrastrukturbauwerke nicht mehr nur als reine technische Anlagen aufgefaßt werden, deren Erscheinungsbild unbedeutend ist. Genau diese Haltung war es, welche triste Industrie- und Gewerbezonen wie öde Vororte entstehen ließ, die die Bewohner wie die Besucher abstoßen und das Bild der Stadt als trostlos Agglomeration erzeugten. Ihre Unwirtlichkeit bewirkte die Flucht aus den Städten in die Zersiedelung der Landschaft. Will man die Stadt als Lebensraum erhalten und erkennt man Urbanität als Lebensqualität, dann gibt es keine zu vernachlässigenden Orte oder Bauaufgaben mehr.

Für die Infrastruktur des Konsums gilt das gleiche wie für jene der Technik. Als negative Randerscheinungen apostrophiert, galten Einkaufszentren im Sperrfeuer der Ideologiekritik als Tentakel kapitalistischer Weltverschwörung, dem gewerbetreibenden Kleinbürgertum als Greißlerkiller und den metaphysischen Eiferern als Inbegriff der geistigen Verrohung der Menschheit, die sich bewußtlos dem sinnlosen Kommerz hingibt. Massimiliano Fuskas hat mit dem Europark der Trivialität des Warentausches, dem Glück mittels Kreditkarte, seine schillernd-aufregende Hülle verliehen. Nächtens, wenn sich seine Fassade im Wasserbecken spiegelt, die blauen Glasfassade-Elemente im Scheinwerferlicht gleißen und die rote »Welle« auf dem Dach aufbrandet, entfaltet es seine erotisch-suggestive Ausstrahlung. Diese Wunderkiste ist, vorläufig wenigstens, die definitive Apotheose des Konsums. Die Manager vom Himmelportcenter in Wals mußten das bereits erkennen und reagieren, aus dem Abseits, mit Ausbauwünschen und einer aggressiven Werbestrategie, um die ästhetische Rückständigkeit zu kompensieren.

Identifikation/Identität

Neben diesen Sonderformen entstanden im Wohnbau, abseits der gängig konzipierten Großbauvorhaben, einige höchst innovative Bauten und Projekte, die Wohnen als etwas mehr als Nutzraumbefriedung in 1-4-Zimmer-Dimension begreifen. Die Wohnanlage Loig (Halle 1), Lorenzens bürgerinitiativlich angefeindetes Projekt in Salzburg Süd, Rieders eigenwillige Interpretation in der Schopperstraße (daneben plant Spannberger für die Firma Myslik) sind nur wenige, willkürlich herausgegriffene Beispiele.

Es sind alles Projekte, die durchwegs von jungen SalzburgerInnen entworfen wurden und deren Fähigkeiten wie deren Integrität unterstreichen. Sie lösen damit einen bislang ungekannten kreativen Schub für die Stadt aus. Diese jungen ArchitektInnen könnten beispielgebend für andere in Salzburg sein: Man braucht nicht mehr weiß Gott wohin gehen, um Spannendes verwirklichen zu können, und man muß auch nicht weiß der Teufel welchen Vorbildern nacheifern, um Zeitgeschmackt zu beweisen. In dieser Generation ist damit eine neue, subjektive Identifikation mit der Stadt entstanden. Ihre Aussagen sind damit erstmals nicht formelhaft, nicht erdrückt vom Ballast des Allgemeinen. Die architektonische Qualität dieser Entwürfe - offen ist zum Teil noch ihre baukünstlerische Umsetzung - braucht jedenfalls keine Vergleiche zu scheuen.

Erschütternd ist hingegen, was in der einstigen Parklandschaft im Süden Salzburgs, im Aignertal, geschieht. Wer einmal durch die Ziegelstadelstraße schlenderte, dem brummt der Schädel vor der dreisten Einfalt, die dort hochgezogen wurde. Auf Kleinstparzellen (versteht sich, bei solchen Grundstück-Preisen) wird der Traum vom Schlößchen im Grünen zelebriert. Lauwarme Rudimente vergangener Herrschaftsarchitekturen prangen an den neureichen Häusern der Möchtegern-Patrizier. Es ist halt schwierig, Geld und Bildung zu besitzen. Ein umgebautes Haus in der Traunstraße (Radler/Wallmann) und ein anderes in der Nesselthalerstraße (Lechner/Lechner) sind der Gerechten zu wenig für dieses bauliche Sodo-mitentum.

Es zeigt sich, daß es mit der kulturellen Verantwortung der Planer, ansatzweise (wie bei den Stadtwerken) mit dem Willen der Produzenten, mit einigen hellen Köpfen in der Verwaltung und noch weniger derer in der Politik zu tun hat, wenn Salzburg seine kulturelle Identität auch außerhalb des Altstadtkernes entfaltet und nicht zu Las Vegas, zur Kofferraum-architektur entlang eines Strip, degeneriert. Bleibt der berechtigte Einwand jener Kritiker, die sagen, Identität ist eine Falle. Für die Zukunft bedeutet das, ein Programm der Offenheit für jene Stadtteile zu denken, die noch Frischluft besitzen, damit die Stadt nicht an sich selber erstickt.

In einer keineswegs kühnen Analogie könnte man den Satz aufstellen, daß sich das Verhältnis von Hoch- zu sogenannter Alternativkultur in jenem von Zentrum zu Peripherie spiegelt. Die städtebauliche und architektonische Aufwertung des Stadtrandes würde im Umkehrschluß die Rückkehr zu einem universalen, urbanen Kulturbegriff anzeigen.