märz 1997

Didi Neidhart
gehört

SUN RA The Singles (Evidence/Echo)

If history is his story, then my story is a mistery. (Sun Ra)

Es gibt selten Momente, wo Musiker ihr eigenes Schaffen derart genau beschreiben und dabei gleichzeitig jegliche Schubladisierung unmöglich machen. Wie sollte man denn auch einen Musiker kategorisieren, der gleichzeitig Free-Jazz, Hard-Bop, Swing, elektronische Freak Outs und obskure Space-Chants spielt und zusätzlich noch behauptet, er komme vom Saturn? Am besten natürlich gar nicht und vor allem nicht als spinnertes Spektakel zwischen Weltraumzirkus und Pharaonen-Hokus Pokus, wie es die weiße, bei Sun Ra nur Bahnhof verstehende Jazzkritik des öfteren gemacht hat. »Weiße Clowns« nannte dann auch der Jazzkritiker LeRoi Jones jene Kritiker und setzte dagegen: »Sun Ras Musik ist der präziseste Ausdruck uralter schwarzer Existenz heute.« So verwundert nicht, daß Sun Ra mit seinen Konzepten einer schwarzen AlieNation, der Afronautic und der »black secret technologies« zu einem der maßgeblichsten Einflüsse für Funk, Dub, HipHop, Techno und Drum & Bass wurde.

Mit der 2CD-Box »The Singles« ist nun aber endlich eines der obskursten Sun Ra-Kapitel veröffentlich worden. Drei Jahre Arbeit hat die Zusammenstellung der 26 Singles gedauert, die auf Sun Ras eigenem Saturn Label zwischen 1954 und 1982 produziert und eigentlich nur bei Live-Gigs verkauft wurden. Herausgekommen ist dabei eine der besten und wichtigsten Jazz-Veröffentlichungen der letzten Jahre. Besonders Sun Ras frühe Singles bringen Facetten ins Spiel, die selbst hartgesottene Fans nur vom Hörensagen kannten. So begleiteten »Sun Ra And His Outer Space Band« in den 50ern »beautiful girls«, Schnulzensänger, Komiker und Vocalgruppen, spielten eine wilde Mischung aus Jazz, Blues, Rhythm & Blues und Swing und hatten dabei alles andere als Berührungsängste mit Popmusik. »Jazz-as-pop-dance-music-that-could-also-be-art« heißt es dazu im 36seitigen Booklet. So sind es vorallem die Pop-Singles, die Sun Ra mit diversen DooWop-Gruppen in den 50ern aufnahm, bei denen einem Hören und Sehen vergeht. Zum Beispiel bizarre Weihnachtssongs (!) mit »The Qualities«, Latin/Exotica-beeinflußter Geister-DooWop mit »The Cosmic Rays« (die Sun Ra schon damals »For there is a world where things aren’t what they seem« singen ließ) oder die herzergreifende Romanze »Teenager’s Letters Of Promises« mit Juanita Rogers & Lynn Hollings, die mit ihren exzessiv übersteuerten Space-Echos mindesten 20 Jahre in die Zukunft weist. Den absoluten Höhepunkt stellt aber die Zusammenarbeit mit dem »Space-Age-Vocalist« Yochannan dar. Dieser »Screamin’-Jay-Hawkins-on-acid« wurde für Sun Ra auch zum ersten Botschafter seiner intergalaktischen Visionen. Dirty Hard Rockin’Jump Jive-Nummern wie »The Sun One«, »The Sun Man Speaks«, »Message To Earthman« sind nicht nur grenzwahnsinniger und polternder Außer-Rand-und-Band-High Energy-Rhythm & Blues mit krytischen Texten, sie klingen auch so, als kämen sie direkt von Outta Space oder aus einem vorbeifliegenden UFO. Das macht sie auch zu interessanten Blue-Prints für Nummern, die Sun Ra später mit seinem Arkestra aufnahm. Man höre sich nur die verdrehte Calypso/ New Orleans-Rhythm & Blues-Mischung »Great Balls Of Fire« oder die ultra-lauten, wilden Space-Chants »Rocket #9«, »Saturn Moon«, »Love In Outer Space« an, die noch dazu in ihrer Rauheit selbst diverse Sixties-Rockgrößen als Lercherlschas erscheinen lassen.

Also, ihr Erdlinge - zugreifen, und nicht vergessen »Space Is The Place«!