märz 1997

Helmuth Hollerweger
gelesen

Derek Jarman Auf eigene Gefahr.

Vermächtnis eines Heiligen. PVS Verleger, Wien 1996, 194 Seiten, 26 Abb., ATS 200.-

»Vermächtnis eines Heiligen« nennt der britische Filmemacher, Maler und Schriftsteller Derek Jarman, der im Februar 1994 an den Folgen von AIDS gestorben ist, seine zwei Jahre zuvor veröffentlichte Autobiographie im Untertitel. Eine Selbst-Bezeichnung, die großspurig klingt, welche ihm aber rechtmäßig am 22. September von schwulen Nonnen des weltweiten Ordens der »Sisters of Perpetual Indulgence« feierlich verliehen wurde: »In Anerkennung seiner Filme und Bücher, seines Engagements für die Anliegen lesbischer und schwuler Menschen und weil ‘seine Nase so sexy ist’«. Jarman, der damit zum »ersten schwulen Heiligen in Kent seit Thomas von Canterbury, der 1170 von seinem Liebhaber ermordet wurde«, avancierte, trug während dieser Zeremonie das glitzernde Kleid seiner Edward II.-Filmfigur.

Solche Wertschätzung wurde Jarman Zeit seines Lebens nur selten entgegengebracht. Als Homo-sexueller im England der letzten vier Jahrzehnte leben, das bedeutete vielmehr: verbale Hetze, gesellschaftliche Ausgrenzung, körperliche Gewalt und Benachteiligung in allen Bereichen. Homosexualität galt als eindeutig psychopathischer Zustand, den man durch Medikamente, Schocktherapie und Psychoanalyse kurieren kann. So konnte man etwa im »Evening Chronicle« noch 1965 folgende Methode zur Behandlung der Homosexualität lesen: »Der Homosexuelle sitzt auf einem Stuhl in einem verdunkelten Raum. Vor ihm befindet sich eine Leinwand. Auf der Leinwand erscheint das Bild eines gutgebauten männlichen Models. Sekunden später durchzuckt ein Elektroschock den Körper des Zusehers. Sobald die Wirkung nachläßt, wird das Bild des Mannes durch das einer attraktiven Frau ersetzt. Das wird mehrmals wiederholt. So wird das Bild des Mannes mit einem unangenehmen Gefühl, das der Frau mit einem angenehmen Gefühl besetzt.«

»Auf eigene Gefahr« entwirft in episodenhaften persönlichen Erinnerungen, aufschlußreichen Interviews und Original-Dokumenten der menschenverachtenden britischen Presse eine aufwühlende Sitten- und Mentalitätsgeschichte dieser Jahre - vom »cruisen« in den Londoner Parks und Bars der trotz »Swinging London«-Mythos doch relativ restriktiven 60er Jahre über die Gründung der »Gay Liberation Front« in den »glücklichen« 70er Jahren bis hin zu den tragischen Veränderungen, die zu Beginn der 80er Jahre ein Virus namens HIV mit sich brachte: »Was in einem anderen Jahrzehnt ein Gang zum Hautarzt war, war jetzt der Gang zum Leichenbestatter.«

Derek Jarman erweist sich in seiner mitreißenden Autobiographie als sensibler und aktiver Zeuge »einer traurigen Zeit«, der er trotz seines bereits verlöschenden Lebens nicht resigniert gegenüberstand: »Ich liebe« ist am Ende dieses Buches zu lesen.