märz 1997

Didi Neidhart

Pop-Politics

»kunstfehler«-Gespräch mit den Herausgebern von »Mainstream der Minderheiten« Tom Holert und Mark Terkessidis

kunstfehler: Warum ausgerechnet sowas Ambivalentes wie Pop und nicht etwas Konkretes wie Politik und Ökonomie?

Mark Terkessidis: Ich glaube nicht, daß Pop ambivalent, Politik und Ökonomie unambivalent sind. Man weiß von Lukács, daß der Roman eine wichtige Funktion bei der Bildung bürgerlicher Subjektivität in der Moderne hatte. Diese Subjektivität ist aber die Form, in der der Kapitalismus gelebt wird. Die Untersuchung des Romans ist also immens wichtig für die kritische Analyse der Gesellschaft. Ebenso verhält es sich mit Pop. Ökonomie ist sicher die strukturelle Dominante in der gesellschaftlichen Entwicklung, und Kapitalismuskritik ist gerade heute wichtiger denn je. Aber nicht alle gesellschaftlichen Phänomene sind dadurch zu verstehen. Pop ist ein Feld, in dem sich Widersprüche verdichten wie kaum sonstwo, und wo zunächst jeder mitreden darf. Z.B. HipHop: Wo sonst können Leute aus Ghettos sich so äußern und werden auch noch als Diskursteilnehmer ernst genommen? Es stellt sich natürlich die Frage, wie diese Diskursteilnahme von der »ersten Welt« rezipiert wird. Aber weiße Hörer sind plötzlich mit einer Welt konfrontiert, die sie zwingt, sich damit auseinanderzusetzen, und die ihre bürgerliche Mittelstandswelt zumindest verstört. Zudem hat HipHop den Marginalisierten in aller Welt eine neue Artikulationsform zur Verfügung gestellt.

Nach der ersten Lektüre könnte man durchaus von einem gewissen Katzenjammer bezüglich der politischen Potentiale von Pop sprechen. Ist die Pop-Linke gescheitert, weil Bündnisse mit Polit-Linken wie die Wohlfahrtsausschüsse nicht funktioniert haben?

Mark Terkessidis: Den Katzenjammer kann man auch positiv sehen. Offenbar bringt Pop Diskurse hervor, die in der Lage sind, das eigene Terrain in Frage zu stellen. Zu den politischen Potentialen behaupten wir ja, daß Pop im Konnex mit anderen sozialen Bewegungen tatsächlich eine gesellschaftsverändernde Kraft hatte. Daß die Veränderungen im Rahmen des Kapita- lismus zur Ausbildung von neuen Machtmechanismen führten, kann aber nicht über stattgefundene Veränderungen hinwegtäuschen. Pop hat Netzwerke und Mikroentwicklungen geschaffen, die an einer »Umwälzung des Alltagslebens« weiterstricken - alternative Provinzclubs, die zwischen Gigs und Faschobekämpfung operieren, Technoclubs, wo über Bedingungen diskutiert wird, in denen sich Frauen wohler fühlen können. Ich denke nicht, daß die Poplinke und die Zusammenarbeit mit der Polit-Linken gescheitert ist. Immerhin wurden ein funktionierendes Analyseinstrumentarium geschaffen und eine Umorientierung angeregt, bei der sich Pop und Ökonomie nicht mehr ausschließen.

Ihr charakterisiert die aktuelle Situation mit sehr schnellen Umschichtungs- und Rekodierungsprozessen zwischen Mainstream und Subkulturen. Pop hat sich von einem an den Rändern der Disziplinargesellschaft angesiedeltem Widerstandsmedium ins Zentrum der Kontrollgesellschaft bewegt. Besteht ein Hauptproblem nicht darin, daß sich die Kontrollgesellschaft durch Flexibilität und Mobilität definiert und direkte Oppositionsmodelle dadurch vom Mainstream sofort als Marketingstrategie übernommen werden?

Mark Terkessidis: Wir gehen einmal davon aus, daß Pop die Welt verändert hat und fragen, wie gelingt es Teilen von Pop mit den selbstinduzierten Veränderungen umzugehen. Daher kamen wir als Antithese zur Kontrollgesellschaft auf das Unkontrollierbare bei HipHop-Acts wie Ol’ Dirty Bastard oder Busta Rhymes. Tom hat ja dieses Beispiel aus London von der »Reclaim The Streets«-Organisation gebracht, die Unfälle fingiert, worauf ein Soundsystem ausgepackt wird, tausend Leute herbeiströmen und eine Party stattfindet. Das ist eine Aktionsform, die auf den neuen Machttypus reagiert. Diese Leute haben jetzt auch zusammen mit den Gewerkschaften protestiert.

Der Begriff »Kontrollgesellschaft« stammt ja vom französischen Philosophen Gilles Deleuze. Ausgehend von Foucaults Begriff der »Disziplinargesellschaft«, die sich - verkürzt - durch Disziplinierung der Körper, Abhängigkeit der Individuen vom Staat definiert, ist für Deleuze der aktuelle Machttypus durch die Kontrolle der Kommunikation gekennzeichnet. Der Staat wird zum privatistischen Unternehmen bar jeder sozialen Verantwortung, was die Individuen zum »freien Unternehmertum« zwingt, wollen sie was zum Fressen haben. Als mögliche Taktiken dagegen meint Deleuze: »Das Wichtigste wird vielleicht sein, leere Zwischenräume der Nicht-Kommunikation zu schaffen, störende Unterbrechungen, um der Kontrolle zu entgehen.« Bei den Computerhackern hat man gesehen, wie schnell man damit ins System integriert werden kann. Diese »leeren Zwischenräume« sind jedoch immer noch jene Orte, an denen sich Pop der Instrumentalisierung entziehen kann.

Tom Holert: Die »leeren Zwischenräume der Nicht-Kommunikation« sind ja nicht stabil, sondern in permanenter Veränderung begriffene Möglichkeitsformen. Das fixierende Moment des Schreibens darüber macht sich natürlich permanent verdächtig, diese »leeren Zwischenräume« zu füllen. Wenn man das Ideal der Nicht-Versprachlichung, der A-Signifikanz gegen die sprachliche Kommunikation ausspielt, vertritt man aber ein unrealistisches Konzept, da Pop von Textproduktionen ebensowenig zu trennen ist wie von sozialen Praxen. Als PopkritikerIn arbeitet man natürlich künftigen Kontrollen zu. Aber ob es sich dabei um eine einseitige Instrumentalisierung handelt, läßt sich bezweifeln. Die Rede von der Instrumentalisierung, der Integration in das System ist irreführend geworden. Vom aktiven Zugriff der Unterhaltungsindustrie auf eine passive bis kollaborative Pop-Avantgarde zu sprechen, verkennt den Umstand, daß diese Avantgarde ihrerseits aktiv zu den kontrollgesellschaftlichen Verhältnissen beiträgt. Statt Vereinnahmung herrscht heute Austausch und Wechselwirkung vor. Die Vereinbarungen über den erfolgversprechenden Widerstand gegen den Mainstream sind jedoch nicht außer Kraft gesetzt. Das entsprechende Modell kann aber nicht das Festhalten an einem Informations-/Distinktions-Vorsprung gegenüber der Kulturindustrie sein. Zudem verbreitet sich Popkultur auch über die Kanäle des Mainstream, indem der Mainstream instrumentalisiert wird, um den Stimmen von Minderheiten Gehör zu verschaffen. Für das Verhältnis der Ambivalenz dieses Prozesses ist eine Analyse mit den Mitteln der Kulturindustriethese hilfreich.

Es werden bei Euch auch Adorno/ Horkheimer als wieder gangbare Möglichkeiten, die Funktionen der Ware Popmusik in der postmodernen Ökonomie zu analysieren, genannt.

Tom Holert: In der Pop-Theorie existiert schon lange eine Tradition linken Denkens, die die kritische Theorie für die Gegebenheiten von Pop überarbeitet und jetzt eben um Konzepte wie »Kontrollgesellschaft« erweitert und modifiziert. Man wird nicht darum herumkommen, die Rede von den »leeren Zwischenräumen der Nicht-Kommunikation« an eine verbindliche Praxis zu knüpfen.

Das Gespräch führte Didi Neidhart