april 1997

Mario Jandrokovic
geschaut

Stich mir in die Schulter, Kleines! Eine kleine Wildstyle & Tattoo-Andacht

Nachdem sich noch kurz zuvor sturzbesoffene Maturanten in Ecken des abgewrackten Kongreßhauses an pubertierenden DebütantInnen zu vergehen versucht hatten, ging es bei der diesjährigen »Wildstyle & Tattoo-Messe« gleich so richtig zur Sache. Unbedarfte Anwesende wurden bei der »Lack- und Ledershow« auf die Bühne gezerrt, gefesselt und ausgepeitscht von zugleich leicht und streng bekleideten Vamps, die für das bißchen ungelenkes Hüftwackeln »extra aus Übersee eingeflogen« worden waren. Aus demselben Städtchen am oberbayrischen Chiemsee hatte man wahrscheinlich auch die original Rothäute importiert, die das Publikum für die nachfolgende Dessous-Show heißtanzten. Die Tattoo- und Piercingmeister leisteten ganze Arbeit und wurden dafür mit reichlich Kundschaft entlohnt. Die restlichen Acessoires des wilden Lebens - harter Wandschmuck für Metaller-Kinderzimmer, lustige Bierbauchhüllen für Oktoberfest-Abonnenten und keltische Wunderwässerchen gegen Dackellähmung - verbreiteten die Aura des Bischofshofener Kirtags; auch das sich hart gebärdende Hintergrundgeschwurbel von Guns’n’Roses und Judas Priest fügte sich nahtlos in dieses Ambiente ein. Eines gelang der Veranstaltung allenfalls: der Kundschaft - und wenn auch nur auf Oberarm oder Schulterblatt - das Gefühl zu vermitteln, hart, wild und frei zu sein, eben frei nach dem Motto: »Stech ich mir ein Edelweiß, gelt ich im Büro als heiß.«