april 1997

Gudrun Seidenauer

»Bist du verrückt, sagte Thomas Bernhard...«

Die Rauriser Literaturtage (2.-6. April) und ein verlorener Preis

Die erste Fahrt nach Rauris ist selbst für StadtsalzburgerInnen ein Weg ins »Entrische«- wenn sich nach Bischofshofen und St.Johann die im Schwerverkehr vibrierende B 311 mehr und mehr verengt, bis sich die endlich abzweigende Straße noch gut zehn Kilometer in scharfen Serpentinen innergebirgwärts windet.

Durchaus vorstellbar, wie bizarr das für fünf Tage zum Literaturdorf mutierte Rauris manch einer/m der deutschen AutorInnen erscheint, die hier zu Gast sind. Zwischen hingerissenem Wiedereintauchen in die Märchenlandschaftsträume der Kindheit und heller Panik - angesichts der schier über einem zusammenstürzenden Felswände (so Uwe Johnson) - soll schon alles an Symp-tomen aufgetreten sein.

Bei den Rauriser Literaturtagen treffen die zutiefst urbane Literaturszene und eine 3000 Einwohner starke, nicht gerade einen Verkehrsknotenpunkt bildende Pinzgauer Gemeinde aufeinander. Dies geht und ging nicht immer ohne Reibungspunkte ab. Bei soviel räumlicher Nähe und bar jeder Fluchtmöglichkeit ergeben sich nicht nur zwischen AutorInnen, Verlegern, Pressemenschen Tuchfühlung und Gespräch über alles, jedes und Literatur, sondern auch zwischen Einheimischen und KünstlerInnen: Flogen ab und an auch die gegenseitigen Vorurteile hurtig quer durch die Wirtshausstuben. Unterschiedlichste Lebensmodelle, die für kurze Zeit hier vorzufinden sind. Spektakuläres, gar Skandalöses gehört jedoch zu einem Gutteil der Vergangenheit an. Die Reaktionen etwa auf Franz Innerhofers »Schöne Tage« von 1975 und Norbert Gstreins »Einer« von 1989, beides prämierte Texte zum Thema Landleben, zeigen paradigmatisch den veränderten Spielraum für kritische Töne. Man ist generell offener geworden. Und hat erkannt, daß auch SchriftstellerInnen und Anhang Gästebetten und Lokale füllen - und en passant ein wenig flüchtigen Glanz ins Leben bzw. ins Image zaubern. Und daß auch scharfe Dichter-Worte zwar Spuren ins Denken graben, aber beileibe keine soliden Machtverhältnisse zum Tanzen bringen können. Niemand braucht daher die Literatur zu fürchten, weder in Rauris noch sonstwo.

Dennoch sind viele kostbare Begegnungen und Momente sich öffnenden Bewußtseins auf ganz spezielle Weise so nur unter den »Rauriser Bedingungen« möglich, die Britta Steinwendter seit 1990 mit integrativem Bemühen und großem menschlichen Einsatz gestaltet.

1971 hatte der Journalist und Schriftsteller Erwin Gimmelsberger die mit Hilfe vieler Literaturbegeisterter zu einem der österrichischen Top-Literaturevents gewordenen Literaturtage gegründet. In 27 Jahren haben über 200 AutorInnen hier gelesen, darunter die hochkarätigsten VertreterInnen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur - Aichinger, Bernhard, Mayröcker, Enzensberger und viele andere. Studentische Arbeitskreise, Szenisches, Interviews und Musik weichen die starre AutorIn-Publikum-Linie auf.

Einen alljährlichen Höhepunkt bildet die Vergabe des Rauriser Literaturpreises, womit ein Prosadebüt aus dem deutschen Sprachraum ausgezeichnet wird. Auch dem mainstream fernstehende AutorInnen aus kleinen Verlagen kommen hier immer wieder zum Zug - und viele der PreisträgerInnen sind zu relevanten Namen der literarischen Gegenwart geworden - Köhlmeier, Henisch, Herta Müller u.v.a.

Für viele Junge ist Rauris der erste Schritt in die literarische Öffentlichkeit, die erste offizielle Anerkennung in Form des mit 50.000.- ÖS dotierten Rauriser Förderungspreises, der für einen unveröffentlichten Prosatext vergeben wird. (Übrigens: Auch der künstlerische Leiter der ARGE Wilfried Steiner ist Rauriser Förderungspreisträger, ebenso Birgit Feusthuber, langjährige kunstfehler-Mitarbeiterin, kunstfehler-Kolumnist Ludwig Laher sowie die Autorin dieses Beitrags.)

Heuer konnte dieser Preis »aufgrund mangelnder Qualität der Einsendungen« erstmals nicht vergeben werden, so die erstaunliche offizielle Mitteilung. Brita Steinwendtner stellt dazu im kunstfehler-Gespräch richtig: Keine der Kinder- bzw. Jugendliteratureinreichungen habe eine preiswürdige Qualität erreicht - sehr wohl aber einige Beiträge, die allerdings nicht der genrespezifischen Ausschreibung entsprochen hätten - keine Kindertexte. Schade, daß Steinwendtners Idee, mit einer genaueren Vorgabe die Flexibilität junger AutorInnen anzuregen, dieses Jahr nicht aufging. Mit dem prämierten Text vom Vorjahr, Birgit Feusthubers »Geheimsache«, war zum Thema »alpenländischer Kurzkrimi« ein origineller Beitrag geliefert worden - wobei die Genregrenzen sicher nicht strikt eingehalten wurden.

Die themen- oder genrespezifische Einengung birgt freilich den heuer eingetretenen Risikofall in sich - schade um eine der ohnehin raren Chancen für junge AutorInnen, die mit interessanten, aber leider nicht »kindgerechten« Texten aufwarteten. Die Kulturstadt Salzburg schafft es ohnehin, tatsächlich keinen einzigen Literaturpreis, weder für Kindertexte, Bestseller oder was auch immer Geschriebenes bereitzustellen. Sind AutorInnen für die städtischen Kulturverantwortlichen etwa womöglich so etwas Exotisches wie IndianerInnen des wilden Westens und demgemäß nur tot gut?

Doch zurück nach Rauris: Heuer stehen Literatur und Musik im Mittelpunkt, ein Anlaß, vielleicht auch eingefleischte Nichtleser, aber Musikfreaks zu einem Blick aufs Programm und ab 2.April in den Pinzgau zu locken.

»Bist du verrückt«, sagte

Thomas Bernhard zu Erwin Gimmelsberger 1970, als ihm dieser von seinem Plan erzählte, Literaturtage gründen zu wollen.