april 1997

Gerald Gröchenig

»Bürgermeister im Dreierpack verbraucht«

Im Mai feiert das Kulturgelände Geburtstag. Die letzten zehn Jahre im Telegrammstil

Als ich 1977 nach Salzburg kam, gabs im Sommer die »Szene der Jugend« und sonst »Das Kino«. Ich schleppe einen halben Stock vom Humboldtheim in die Achternbusch-Retrospektive und eine Zeitlang meidet man meine Filmempfehlungen, weil der Herbert in »Servus Bayern« von hinten einen Eisbären bespringt. Heimfeste, Jazzkneipen, dann das »Gegenlicht«, Medienproduktionsstätte und Alternativbeisl. Wir diskutieren, ob wir die Kassa vor oder hinter der Budel stehenlassen.

Das erste Open-Air ist laut ÖVP nicht salzburggerecht. Der Rainberg bietet sich als Haus für alles das an, wofür der Platz fehlt, und den wollen wir. Beim Jugendgespräch nach »Züri brännt« sitzen die Politiker im Kino und fürchten sich. Beda Percht springt beim Gespräch mit Landeshauptmann Haslauer zweimal über den Tisch - er muß aufs Klo - und wird deshalb beinah des Landes verwiesen. Vor den Festspielen rufen die Journalisten an und fragen, was man so zur Eröffnung erwarten dürfe. Festspielempfang mit gleichzeitiger Bettlerdemo, Bürgermeister Reschen schreibt auf einen Zettel, daß wir innerhalb einer Woche alles bekommen, was wir wollen (in welchem Museum hängt eigentlich der Wisch?). Der Rainberg wird's nicht, aber die alte HTL-Werkstätte im Nonntal.

Dann kommt der Umbau. Gerhard Buchleitner hat eine Leitung gestemmt, Josef Reschen eine Mauer verputzt und Wilfried Haslauer eine Kiste Bier spendiert. Die Mauer steht noch, die Stromkabel liegen auch noch in der Leitung, das Bier ist schon längst in seinen Wasserkreislauf rückgeführt. Alles wurde viel kleiner als benötigt und vieles nicht bedacht: Bei Lesungen haben die Musiker in den Proberäumen Pause, weil die gemeinsame Entlüftung nicht nur die Luft transportiert (auch heute noch).

Eindrücke aus zehn Jahren Programm:

• Henry Rollins mit Milchdrink meditierend in einer Ecke. Und dann das T-Shirt ausgezogen und 2 Stunden »Godfather« des Hardcore.

• Kurt Ostbahn unplugged, mit Band, Wein und Fernet. Aus Platzmangel kann man nur applaudieren, wenn auch der Nachbar seine Hände hebt.

• Hubertus »Hasenfuß« Zorrell sucht seinen kleinen Jungen und 100 Kinder leben mit. Die Magdalena trinkt neben ihm im Beisl ihren Kakao, zaghafte Fragen, erste Gespräche über Theater, Hubertus redet und lacht, sein Foto mit dem Gruß drauf hängt noch heute über ihrem Bett.

• Howe Gelb von Giant Sand im Stiegl Rausch, die anderen Musiker geben auf, weil er sichs während den Stücken immer anders überlegt als geprobt. Er philosophiert allein auf der Gitarre weiter, und keiner, der bleibt, bereuts.

• Die Bedlam Rovers: zwei Geigerinnen in Trance auf der Bühne, im Publikum wird darüber gestritten, wer sich zuerst verliebt hat.

• »Open Stage« im Winter: Vermummte Gestalten in schwarzen Mänteln und Schnee am Kopf nacheinander den Saal betretend, und dann: Mantel ausgezogen, Schnee vom Haar gebeutelt, Bier geholt, Instrument ausgepackt und mitgespielt. Manchmal bis weit nach Mitternacht.

• H.C. Artmann, Broadlahn, Karl Ferdinand Kratzl, ...

Beim Golfkrieg sitzen RockmusikerInnen, TänzerInnen und WissenschaftlerInnen gemeinsam in einer Diskussion über die Rolle der Medien. Betroffen ist man sich immer sehr nah. Nach Oberwart spenden die ARGE Mitglieder über öS 250.000.- und damit mehr Geld als eine große Wochenzeitung österreichweit auftreibt.

Und dann die Feste. 10 Jahre Arge Nonntal, fast jedes Jahr Scheiblingseder: Kein Konzert mehr, sondern eine Generalversammlung der Fortschrittlichen im fortschreitenden Alter. Man sollte für seinen fünfzigsten Geburtstag rechtzeitig reservieren, da dürfts mit den Terminen eng werden. Doch nicht nur Scheiblingseder feiern: Dritte Welt, Anti Apartheid, ÖIE, Nicaragua, Amnesty, Kriegsdienstverweigerer, Psychologen, Musiker, Schwule und Lesben, Literaten, ...

Die Proberäume immer ausgebucht, und wir sind ziemlich stolz, wenn Editta Braun dem »Standard« eine Seite wert ist.

Das Beisl als Ort des Widerstands - kannst Du der Küche des Franz Vierthaler »widerstehen«? - Immer wieder klein beigegeben. Philosphieren über die Kunst des Kochens bei der Durchreiche zur Küche.

Bürgermeister, Landeshauptleute und Minister im Dreierpack verbraucht, die ersten Kinder aus der Krabbelstube im Haus hören heute wahrscheinlich Top DJs bei »Liquid Planet« oder geben sich beim »Heimspiel« die Bands von morgen.

Zweimal hat das Kulturgelände die Gründung von Kulturgewerkschaften mitinitiiert: Dachverband Salzburger Kulturstätten und IG Kultur Österreich. Kulturpolitisch handeln, und gerade deshalb auf jeden Schlag gefaßt sein: Kampagnen von Krone oder F, Anfragen in Parlament, Landtag und Gemeinderat. Budgetkürzungen, Sparprogramme.

Wahrlich, 10 aufregende Jahre.

10 Jahre Kulturgelände im Mai unter anderen mit

Scheiblingseder

Frantic

Sabina Hank

Editta Braun Company

Dacia Maraini

Beverly Blankenship

Bigi Fischer

Angelika Welzl

Ingomar von Kieseritzky

Robert Gernhardt

Kakilambe

Laroque Dance Company

M.C. Superscum

Dream Hunter

Extra Combo

Tini Kainrath

Doretta Carter u.v.a.

Sabotage

u. v. a.