april 1997

Didi Neidhart

Ene, Mene, Gene, Muh!

Zum Gentechnik-Volksbegehren vom 7. bis 14. April 1997

Gerade rechtzeitig zur medialen Aufbereitung des Themas Gentechnologie im Vorfeld des österreichischen Gentechnik-Volksbegehrens sind sie hereingeplatzt - das (wissenschaftlich richtig) geklonte Schaf Dolly und die (halb bis viertel richtig) geklonten Affen, Hasen, Schweine, Ziegen und Bullen. Zur Abrundung des dabei nur zu gerne bemühten Frankensteinszenarios geisterten dann auch noch »versehentlich« geklonte Embryos durch die Tagespresse. Glaubt man den Gentechnik-BefürworterInnen und ihren Lobbys, so werden diese Experimente vor allem zum Wohle der Menschheit unternommen (Rohstoffproduktion für Tierversuche im Labor bzw. Produktion von transgenen Tieren als lebende Apotheken für Menschen). Einwände, es könnte doch auch zu humanbiologischen Versuchen in diese Richtung kommen, werden dabei in der Regel mit den Argumenten Moral, Ethik, gesetzliche Bestimmungen in das Reich der Science Fiction verbannt. Gleichzeitig wird jedoch gerade dieser Themenkomplex massivst forciert, lenkt er doch massenwirksam von bereits real existierenden Auswirkungen einer auf Gentechnik setzenden Politik ab. Diesbezüglich greift auch das von Umwelt-, Bauern-, Tierschutz- und Kirchenorganisationen initiierte Gentechnik-Volksbegehren zu kurz. Denn bei genauerer Betrachtung richten sich die Forderungen »kein Essen aus dem Genlabor«, »keine Freisetzung genmanipulierter Organismen«, »kein Patent auf Leben« nicht gegen den Gesamtkomplex Gentechnologie an sich, sondern (nur) gegen »gefährliche Fehlentwicklungen« und deren »unkontrollierbare« Anwendung. Die bestehenden Kapitalverhältnisse und die durch sie determinierten gesellschaftspolitischen Interessen in Sachen Gentechnologie werden dabei unhinterfragt akzeptiert, was schließlich auch bei einem Erfolg des Volksbegehrens (mehr als 100.000 Unterschriften) zu nicht mehr als einem Regulativ und Gentech-Light-Argumentationslinien seitens der Produzenten führen wird.

Zudem bedeutet Gentechnologie auch Reproduktionstechnologie, und die wird seit Jahren nicht nur in der Tier- und Pflanzenwelt angewandt. Dazu gehören künstliche Befruchtungsmethoden ebenso wie die prädiktive Diagnostik zur Untersuchung der genetischen Eigenschaften von Föten bezüglich möglicher Erbkrankheiten und Behinderungen. Was hier vordergründig als Gesundheitskontrolle erscheinen mag, bedeutet aber auch wirtschaftlich begründete Selektion »abnormalen« Lebens (= kein Warenwert als Arbeitskraft für den kapitalistischen Verwertungsprozeß) zur Senkung später einmal anfallender Pflege- und Sozial-Kosten, d.h. staatlich sanktionierte Abtreibung auf Basis einer Kosten/Nutzen-Rechnung. Eine ähnliche Funktion erfüllen auch Gentests bei Erwachsenen für Gen-Datenbanken, die zum Einsatz kommen, wenn es um Versicherungssummen für Pensionskassen und Lebensversicherungen geht, die dann je nach »genetisch« absehbarer Lebenserwartung kalkuliert und/oder verweigert werden. Dieser Logik entspricht auch eine Bevölkerungspolitik, die »Kinderkriegen« (d.h. »Menschenproduktion«) vor allem für das konservative Ideal-Modell der mittelständischen, weißen, heterosexuellen Familie vorsieht. Diese ideologisch ausgerichtete Bevölkerungspolitik wurde schon 1985 auf dem ersten Kongress »Frauen gegen Gentechnik und Reproduktionstechnologie« als »Technopatriarchat« beschrieben, das sich durch »rassistische Selektions-, kapitalistische Verwertungs-, sexistische Objektivierungslogik« definiert, dabei »die weißen Mittelklassefrauen als erwünschte Gebärerinnen, die armen, farbigen Frauen als unerwünschte« betrachtet und auf der einen Seite (Europa, USA) Abtreibungsverbote verhängt, auf der anderen Seite (sogenannte Dritte Welt) rigorose Bevölkerungskontrolle betreibt. Dadurch kann man nicht nur möglichen »Umvolkungen« durch MigrantInnen schon in deren Heimländern vorbeugen. Auch die Argumentationskette »Je mehr Menschen, desto mehr Armut, ergo je weniger Menschen, desto weniger Armut, desto weniger Entwicklungshilfeausgaben, die sich wirtschaftlich eh nicht rentieren« läßt sich somit bestens exekutieren. Ähnlich verhält es sich übrigens auch bei der Entwicklung neuer Medikamente. Nach letzten WHO-Untersuchungen entwickelt die Pharmaindustrie immer noch lieber Diätpillen für die finanzkräftigen Kapitalmärkte Europa, USA, Japan, anstatt Impfstoffe für den finanzschwachen Trikont.

Gentechnologie macht somit nicht nur eugenische Selektionskriterien wieder diskursfähig (»Wollen Sie sich wirklich mit einem behinderten Kind belasten?«), sondern fungiert auch als idealer Rettungsanker für den sich arg in der Krise befindlichen Kapitalismus. Gentechnologie bedeutet hier ganz klassisch die Schaffung neuer Märkte durch die Schaffung neuer Bedürfnisse. Diese Bedürfnisse orientieren sich dabei weder an medizinischen Notwendigkeiten bzw. komplexeren Zusammenhängen (vgl. die Fixierung der AIDS-Forschung auf den »Killer-Virus HIV« bei großzügiger Nichtbeachtung alternativer »multiple cause«-Theorien und Ergebnisse), sondern an Technisierung und Profit-erwartungen. Man denke nur an das Operationsfeld Gentherapie, wo man durch die Veränderung der DNA Krankheiten verhindert bzw. heilen will. Trotz empirisch belegter Einwände (nur bei 2% aller Krankheiten überhaupt sinnvoll, bis jetzt noch kein Nachweis einer Heilung, die als Vektoren eingeschleusten Viren können sowohl durch das Immunsytem unwirksam gemacht werden wie auch in andere, gesunde Zellen gelangen und diese schädigen; die Grundannahme der Humangenetik, daß die DNA alle Lebensfunktionen steuert und determiniert, blendet soziale, psychische und mentale Faktoren, die ihrerseits auf die DNA einwirken können, ebenso aus wie springende Gene, Retroviren, Regulatorgene, etc.), wird hier ständig die Vision vollgesunder (Volks-)Körper propagiert und prognostiziert (leistbar natürlich nur für die Besitzer von Körpern, bei denen es sich auszahlt). Auch die Mär von der »objektiven Wissenschaft« verpufft spätestens dann, wenn man bedenkt, daß die Industrie zu den maßgeblichen Finanzgebern der Forschung gehört. Das bedeutet, nicht der kühne Forscher hat die Entscheidungskraft über seine Forschungsprojekte, sondern die Industrie. Wodurch auch die ideologische Ausrichtung der Ergebnisse mitbestimmt wird. Oder wundert sich wirklich noch jemand, warum es immer so viele billig herzustellende, aber immer wieder teuer zu verkaufende Medikamente gegen schon ausgebrochene Krankheiten anstatt teuer herzustellende aber nur einmal anzuwendende Medikamente zur Prävention von Krankheiten gibt? Auch Gesundheit ist im Kapitalismus eine Ware, die ihren Wert und ihren Preis hat.

Mit der handschriftlichen Unterstützung des Gentechnik-Volksbegehrens allein ist es demnach nicht getan. Denn, so die deutsche Initiativgruppe »geGEN- für eine gentechnikfreie Landwirtschaft«: »Maxime der Gentechnikforschung ist nicht die Verbesserung der Nahrungsmittelqualität, sondern die Optimierung des industriellen Anbaus, der Verarbeitung und Vermarktung von landwirtschaftlichen Produkten. Hauptforschungsziel ist die Entwicklung von herbiszidresistenten Pflanzen, die Unkrautvernichter in großen Mengen überleben.« Dazu paßt auch, daß in den letzten Jahren ein Großteil der Saatgutbranche durch transnationale Konzerne der Petro-, Agro- und Pharmachemie aufgekauft wurde. »Damit kann das Saatgut mit zugehöriger Chemie als Paket verkauft werden.« (geGen)

So gesehen wird bei einer Ökologie ohne Ökonomiekritik selten mehr herausschauen als eine »Rustical Food«-Abteilung in den Supermärkten.

Buchtip:

BüroBert, minimal club, Susanne Schultz (Hrsg.): geld.beat.synthetik. Abwerten bio/technologischer Annahmen (= Copyshop 2), Edition ID-Archiv 1996