april 1997

Mario Jandrokovic

Reservat im altstädtischen Geschäfts-Erlebnispark

Unspektakulär und ohne große Skandale wurde dem Schnaitl-Pub in der Bergstraße das Kulturprogramm abgedreht: Ein Lokalaugenschein

Für die Salzburg heute-Reporterin Renate L. hat sich der Schwenk von kulinarischer Hochglanzkultur zu jener mit der Vorsilbe »Sub« doch recht beschwerlich, weil überaus langwierig, gestaltet. Zwar machte sich der Besitzer des Central-Kinos vor der Kamera seinem Zorn darüber Luft, daß die vor Wind und Wetter schützende Betonlaube beim Schuhgeschäft, das auf der gegenüberliegenden Seite der Linzergasse liegt, seit gut zwei Jahren zu einem beliebten Treffpunkt für süffelnde Punks samt Schäfermischling-Anhang geworden ist, was ja in Anbetracht einiger schnorrender, schmutzender und bisweilen auch stänkernder Elemente unter ihnen auch durchaus verständlich sein mag. Doch partout blieben an diesem Samstagabend die geschäftsstörenden Veranschaulichungsobjekte bis in spätere Stunden aus. Daß der kleine Fernseh-Exkurs in die Welt sozialer Problemzonen dennoch von Erfolg gekrönt war, davon konnte man sich Montags darauf bei Salzburg heute anschaulich überzeugen. Schließlich wurden die telegensten Exemplare der jungen Outlaws in Szene gesetzt, die bei der Verlautbarung, sie scheißen auf ihre Eltern, auch den voyeuristischen Blick auf zerrüttete Familienverhältnisse zuließen. Das sage wohl alles, meinte der Central-Kino-Betreiber Tage nach der Sendung, räumte aber wohl ein, daß doch nicht alle, die sich die untere Linzergasse für ihre Sit-Ins auserkoren haben, über denselben Kamm zu scheren seien. Die Fernsehinterviews mit jenen Jugendlichen, die dort nichts weiter als einen Ort der Zusammenkunft gefunden haben, waren offenbar nicht weiter geeignet für mediale Verwertung.

Nach Kapitelplatz, Hanuschplatz und Mirabellplatz ist die untere Linzergasse gerade in der warmen Jahreszeit zu einem jener Brennpunkte in der Stadt geworden, an dem durch die eingangs beschriebenen Personen oder auch die Obdachlosen vom Kapuzinerberg zwischen den schmucken Fassaden sich auf unschöne Weise soziale Abgründe auftun. Die geschäftstreibenden Anrainer der Gasse, die mit der kontinuierlich wachsenden Zahl der großangelegten Einkaufsparadiese am Stadtrand hart um Attraktivität, das heißt Marktanteile buhlen, orten dringenden Handlungsbedarf. Einen Punkt, an dem für manche Geschäftsleute wie etwa den Kinobetreiber der Hebel zur Lösung der Probleme anzusetzen sei, bildet dabei das Schnaitl-Musikpub in der Bergstraße. Die Gaststätte hat sich über die Jahre als Treffpunkt für eine vornehmlich junge Klientel bewährt und wurde auch schon von LR Gerhard Buchleitner als ein ausgesprochen jugendfreundliches Lokal anerkennend hervorgehoben, mit besonders günstigen antialkoholischen Getränken und auch einem Nichtraucherraum. Vor allem ist es aber die Musikauswahl, die ins Schnaitl lockt, und nicht zuletzt sind dort eben auch jene Jugendlichen willkommen, die alleinig schon aufgrund ihres Outfits in den Etablissements für die Schönen und Kreditwürdigen entlang der Salzach nicht so gerne gesehen werden.

Auch das Gastpersonal in der Bergstraße spürte innerhalb der letzten Jahre, daß die Zahl der problematischen Personen, die sich in diesem Viertel aufhalten, beständig anstieg, und so sah man sich selbst im »offenen Haus« Schnaitl des öfteren gezwungen, Lokalverbote zu erteilen. Es ist umso seltsamer, wenn versucht wird, das Pub dann für ausnahmslos alle Fälle nächtlicher Ruhestörung, angepinkelter Wandnischen und sonstiger Ärgernisse im näheren Umkreis zur Verantwortung zu ziehen. Nicht zuletzt werden in diesen Fällen seltsame Kurzschlüsse in Stilkunde wirksam: als seien alle Jugendlichen, deren bunte Haare und Lederjacken nicht dem von Tele-Clubbing propagierten Konsens an gepflegter Ausgeflipptheit entsprechen, potentielle Gefahrenquellen für die gesellschaftliche Ordnung. Besonders offensichtlich wurde dies während der »Chaostage« im September letzten Jahres, als das Schnaitl von den vereinigten Kleinformaten Salzburgs zur vermeintlichen Schaltzentrale randalierender Punks hochgespielt wurde. Anekdote am Rande: »Wo sind denn die Punks?«, fragten zwei Kripo-Beamte an jenem Samstagabend, als der Konflikt zwischen Jugendlichen und Polizei andernorts eskalierte, einen Schnaitl-Kellner. In diesem Fall trat die Exekutive allerdings ausgesprochen diskret in Erscheinung. Seit Frühsommer 1996 häuften sich nämlich razziaähnliche Einsätze, in manchen Fällen fuhren gleich vier Einsatzfahrzeuge beim Pub vor. Abermals und abermals wurde die Konzession überprüft oder kontrolliert, ob Sperrstunde und Jugenschutzgesetz eingehalten werden; die Exekutive fand, wie auch bei einer groß angelegten Drogenrazzia, letztendlich keinen Grund zur Beanstandung, doch nahm sie bisweilen zumindest noch die Personalien aller Anwesenden auf. Hofrat Schweiger, der nach Salzburg gekommen ist, um als Polizeidirektor Transparenz und eisernen Besen walten zu lassen, sieht diese Vorgangsweise als Präventionsarbeit »im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten«: nach dem Rechten schauen, vor allem aber gesehen werden. Daß die Polizei an einem Abend, als sie massiv im Schnaitl auftrat, der Sperrstunden-übertretung eines Gastgartens am nahegelegenen Kai mit ausgesprochener Kulanz begegnete, begründet der Polizeidirektor damit, daß hier »höherrangige Ziele« zu verfolgen seien. Diese höherrangigen Ziele scheinen sich nicht zuletzt ab jenem Zeitpunkt herauskristallisiert zu haben, als sich Bürgermeister Dechant der Causa Schnaitl annahm. Zuvor war Vizebürgermeister Pa-dutsch stets um einen Dialog zwischen dem Pub und dessen Gegnern bemüht. An einer Aussprache zeigten bisher offenbar weder die Geschäftsleute noch der transparente Polizeipräsident und auch nicht jener Schuldirektor im Andräviertel, der im Pub die Wurzel allen Übels an seiner Schule wittert, besonderes Interesse.

Gerade indem man wirtschaftliche Interessen wahrt, soll auch Lebensqualität im historischen Stadtbereich gewährleistet werden. Dies ist auch ein zentrales Anliegen des Vereins Rechte Altstadt; gegründet wurde diese Interessensgemeinschaft vor fünfzehn Jahren, als die Linzergasse zum Rotlichtbezirk zu verkommen drohte. Obmann Werner Salmen, Apotheker in der Linzergasse, sieht die neuerliche Gefahr, daß das Viertel zum Slum werde, nicht zuletzt wegen der hohen Mieten, die die Innenstadt aussterben lassen. Die eigentliche Käuferschicht vor Ort seien, so ergaben Erhebungen des Vereins, die 25- bis 35jährigen, doch die würden, so Salmen, vom Angebot gar nicht angesprochen. Zur Zeit versucht sich das Zentrum vornehmlich als kundenfreundlicher Erlebnispark zu etablieren und wehrt sich gegen Gefahrenquellen wie die im Stadtbild sich immer deutlicher abzeichnenden sozialen Probleme oder die Konkurrenz an der Peripherie - vom Europark bis zum geplanten Multiplex-Kino - auch schon mit Pflastersteinen, die allerdings geschmackvoll zur fünften Fassade gelegt werden. Offensichtlich ist einfach undenkbar, daß das Schnaitl in diesem polierten Szenario als sozialer, kultureller und auch wirtschaftlicher Knotenpunkt des Stadtlebens wahrgenommen wird.

Seit im letzten Sommer der Geschäftsführer und Programmleiter im Pub, Wolf Arrer, von der Brauereileitung entlassen und das gesamte Kulturprogramm stillgelegt wurde, häuften sich die Anzeichen, daß in einer allgemeinen stillen, kaum spektakulären Übereinkunft zwischen Wirtschaftstreibenden, Politik und Exekutive das Schnaitl langsam, aber sicher »gestorben« wird. Zu Beginn dieses Jahres schien es jedoch, daß das Lokal an seine Tradition als wichtige Bühne für lokale und internationale Bands in der Mozartstadt und Forum für junge bildende KünstlerInnen wieder anknüpfen würde. »A Subtle Plague« aus San Francisco, die hier Anfang Jänner ihre hi-energy good vibes zum besten gaben, bezeichneten das Lokal gar als »coolsten Club in ganz Europa«. Nach dem Auftritt der bosnischen Rock-Performance-Truppe »Bezbrizni Rupert« gegen Ende des Monats wurde das Programm jedoch von der Brauereileitung wieder eingestellt und außerdem sämtliche Baraushilfen und inzwischen zwei Angestellte entlassen. Der Brauereibesitzer wird kaum diesen attraktiven Standort räumen, und so wird es das Schnaitl-Pub wohl auch weiter geben; in welcher Form, läßt sich allerdings nicht sagen, dafür waren die bisherigen Maßnahmen des Oberösterreichischen Bierbrauers, mit denen er ein funktionierendes, eingespieltes und enthusiastisches Team demontierte, allzu unberechenbar und - ganz in Sparpaketmanier - selbst jenseits der Logik des Marktes. Mit Sicherheit sind jedoch bis auf weiteres jene Aktivitäten unterbunden, die in Salzburgs schwerfällig-institutionalisierten Kult-urleben einmalig waren: Unter den drastisch verschärften Arbeitsbedingungen wird sich sicherlich niemand mehr der Kulturarbeit willen unentgeltlich selbst ausbeuten wie bisher.