april 1997

Peter Truschner
schön und gut

Mahlzeit!

Der kunstfehler-Feinschmecker auf seiner monatlichen Tour

1. Ist Essen überall und zu jeder Zeit angebracht? Oder ist dies allein schon die Frage eines zitronensaftsauren Beuschel-Ethikers, der es sein Lebtag nicht zu einer Auster gebracht hat? Sicher: Wer - womöglich nach der Arbeit - zu einem Kindermißbrauchsaustellungsvernissagebüffet eilt, ist allein deshalb schon so verdammt korrekt, daß ihn das Ausgestellte gar nicht sonderlich zu deprimieren braucht, und er das Lachs/Schinken/Käsebrötchen ruhig als kulinarisches Farbtüpfelchen neben den Zeichnungen mißbrauchter Mädchen plazieren darf. Der kunstfehler-Feinschmecker war verblüfft. Wie selten noch in seinem Leben stand ihm der Sinn nicht nach lukullischen Genüssen, während, nach obligat schüchternem Beginn, die Horde um ihn herum zu mampfen und zu glucksen begann. Des Rätsels Lösung offenbarte sich in der Rede des Landesvaterstellvertreters: Das Publikum war überwiegend »vom Fach«. Was den Feinschmecker natürlich sofort an das berühmte Bärentaler Hühnerbrühengleichnis denken ließ: Erst der, der selbst schon etwas abgebrüht ist, kann seine Brühe, egal wo und zu welchem Anlaß, genießen. (Der kunstfehler-Feinschmecker vergibt zwei erbrochene Hauben.)

2. In einer Galerie hängt man Objekte an die Wand. Aber wie in der Speisekammer ist es ein Unterschied, ob dort ausgezehrte Rindslenden oder saftige Fasane hängen. Als der Feinschmecker die Galerie, von der hier die Rede ist, besuchte, fand er einen lauen Schmarren vor, der von offenbar unzufriedenem, aber vergnügtem Küchenpersonal an die Wände geklatscht worden war. Während also die Hauptspeise völlig mißraten war, war es Dessertchef Arthur Zgubic gelungen, den totalen Verriß durch eine zoologische Leistung ersten Ranges zu verhindern. Indem er an der Decke über den mit einwandfreiem Vernissage-Mischfutter gefüllten Trögen Spiegel anbringen ließ, gelang ihm der eindeutige Beweis, daß es Lebewesen gibt, die beim Essen die Gesichtsmuskulatur nicht in Anspruch nehmen müssen und so ihr Party-Dauergrinsen beibehalten können. (Aufgrund dieser Garnierung läßt es der Feinschmecker bei einer halben verschimmelten Haube bewenden.)