mai 1997

Gudrun Seidenauer
zu gast

»Jenseits der Gewißheit« Theater-Abenteuer im Kopf von Bo Görazon und Anders Karlqvist

Ein unauffälliges Möbelstück, das sich mit einem Handgriff vom Vortragspult in einen Grabstein, in eine Theke, in einen Rechner verwandelt. - Bilder von Escher, die unseren Blick auf die Dinge in eine unbehagliche Vieldeutigkeit zwängen - da hilft nur noch die Philosophie, deren Zweck, so Wittgenstein, in aller Schlichtheit »nichts als die logische Klärung der Gedanken« sei.

Zwei der klügsten Köpfe des 20. Jahrhunderts diskutieren ihre Ansichten in der ganzen schillernden Intensität ihrer konträren Persönlichkeiten. »Jenseits aller Gewißheit« faßt die Begegnungen der imposanten Außenseiter Ludwig Wittgenstein und Alan Turing zusammen - teils historisch, teils in fiktiven Rückblenden von einem Ort »außerhalb der Geschichte« aus.

Nicht nur für PhilosophInnen war die fulminante Inszenierung des Innsbrucker Kellertheaters ein geistiges Kulinarium erster Güte. Die schwedischen Mathematiker Görazon und Karlqvist erweisen sich als kongeniale Nach-Erfinder des Disputs zwischen dem Wiener Sprachphilosophen, Uni-Lehrer in Cambridge und Dorfschullehrer mit Hang zur Askese Wittgenstein und dem Wegbereiter der modernen Informationsgesellschaf Alan Turing, der mit der Idee seiner »Weltmaschine« theoretische Basics für den Computer schuf. Kernfrage des Disputs der beiden: »Erfinden« die Naturwissenschaften erst die Welt - oder bringen sie unantastbare Wahrheiten zum Vorschein?

Unter der Regie von Fabian Kametz entfachen Johannes Nikolussi (Wittgenstein) und Erich Meraner (Turing), nebst Erzählerin Kathrin Bene und den »Big Daddies« Chur-chill und Bertrand Russell (Michael Arnold), ihr Leuchtfeuer des Geistes und lassen Leidenschaftlichkeit - und Leidensfähigkeit greifbar werden; unvermeidliche Begleiterscheinungen zweier Denker-Leben abseits des Mainstreams. Theater-Bilder, sparsam und präzise gesetzt, von geradezu Wittgensteinschem Streben nach Klarheit, machten Lust auf Philosophie und Denken, jenseits aller Gewißheit - und gewiß jenseits jeden staubigen Schulbucharomas.