mai 1997

Mario Jandrokovic

The Invisible Men

Das Crooklyn Dub Consortium: Sounds of a displaced culture

Innerhalb von zweieinhalb Jahren hat Label WordSound nicht bloß noch ungehörte Verknüpfungen zwischen Dub, Hip Hop, Jungle gezogen und den Sampler dabei zum Melting Pot umfunktioniert. Ihre Musik ist voll von Falltüren, die sich stets dann öffnen, wenn man sich auf sicherem, überschaubaren und benennbaren Terrain befindet. Bei ihrem Konzert in der ARGE verwischten WordSound I Powa, das sind Spectre, Quaballah Steppers und Dr. Israel, nicht nur die klaren Grenzen zwischen den Formationen, sondern auch jene zwischen den klar definierten Präsentationsformen »Bandauftritt« und »DJ-Act«. Mario Jandrokovic und Dee Dee Neidhart traf das Brooklyner Dub-Konsortium, dessen geistiges Territorium sich über die Mitglieder vor Ort auch auf Jamaica, Frankreich, den Iran und Sri Lanka erstreckt.

Wieweit hat Eure Musik mit dem Prinzip von Displaced Culture zu tun?

• SKIZ FERNANDO (Spectre): Wir respektieren individuelle Kulturen, aber die Leute müssen ebenso begreifen, daß sie mehr gemeinsam haben, als sie annehmen. New York ist ja auch nicht der große Melting Pot. Es ist eher so, daß man sich mit Leuten abgibt, die anders sind, weil man muß. Der Rassismus ist eines der größten Probleme, und Amerika ist damit nie zurechtgekommen. Dabei hätte es eine Gesellschaft sein sollen, wo sich jeder um den anderen schert.

• PROFESSOR SHEHAB (Quaballah Steppers): Der Gedanke, daß es abgeschottete Kulturen ohne jegliche Fremdeinflüsse geben soll, hat mehr mit Ideologie als mit Realität zu tun. Der Westen reduziert etwa den Islam jetzt nur auf seine fundamentalistischen Ausprägungen und läßt die emanzipatorischer Bewegungen innerhalb des Islam außer acht. In der sogenannten Alten Welt findest Du die facettenreichsten Kulturen immer dort, wo sich Okzident und Orient begegneten. Das gilt sowohl für die Wissenschaft als auch für die Kunst und die Philosophie. In diese Richtung arbeiten wir auch bei unseren Projekten. Nimm nur die aktuelle CD von »Ebn E Sync«. Eine Grundlage dafür ist der Begriff »Synchronizität«, den ich in Robert Anton Wilsons Buch »Cosmic Trigger« gefunden habe. C.G. Jung meint damit Verbindungen und bedeutungsvolle Zufälle, die unter dem Gesetz von Ursache und Wirkung keinen Sinn ergeben und auf verborgene Variablen bzw. nichtörtliche Informationssysteme hinweisen.

Eine Art Nomadologie?

• PROFESSOR SHEHAB: So könnte man es nennen. Wir sind ja auch Nomaden, die halt nur zufällig in Brooklyn wohnen. Natürlich stehen wir auch alle auf Sachen wie Roots-Reggae, dafür haben wir das Projekt Roots Control. Mit allen anderen Projekten reißen wir diese Wurzel dann immer wieder aus und verstreuen sie in alle Himmelsrichtungen. Bei »Ebn E Sync« und auch schon bei »Qabbalah Steppers« arbeiten wir mit dem Begriff der Synchronizität in dem Sinn, daß wir z.B. metrischen Gemeinsamkeiten von indischen Tabla-Rhythmen, Sufi-Gesängen und aktuellen Drum’n’Bass-Grooves nachgehen. Das hat schon zu den er-staunlichsten Ergebnissen geführt. Wir unterlegen ja nicht einfach orientalische Samples mit modernen Pop-rhythmen. Uns geht es um die Darstellung eines Dialogs, den es eigentlich schon immer gab. Die Metrik der afro-amerikanischen Popmusik etwa geht sowieso auf afrikanische Traditionen zurück. Es ist auch nicht weiter verwunderlich, daß sich hier mehr oder weniger geheime Verbindungen auftun - Quellen, in denen verschiedene Stränge zusammenfließen, die dann zu anderen Quellen führen. Ein Hip Hop-Breakbeat kann mich zu marokkanischen Hirtengesängen führen, ein ägyptisches Hochzeitslied zu Drum’n’Bass.

Ist das jene Taktik, die man kryptisch als »Black Secret Technology« bezeichnet und als deren Urvater man Sun Ra ansieht?

• SKIZ FERNANDO: Das ist nur ein Teilaspekt davon. Unsere Vorfahren sind so mannigfaltig und lebten in so unterschiedlichen Gegenden, daß wir nie darauf kommen würden, so etwas wie ein WordSound-Stammesgebiet zu definieren. We’re a displaced culture. Das sehen wir gar nicht als Makel an, sondern als ungeheure Kraftquelle. Du bist dadurch nicht lokalisierbar. Deshalb arbeiten wir auch lieber mit Sounds und legen gerne falsche Fährten. Wenn du glaubst, du kannst uns über das ägyptische Totenbuch knacken, weil auf dem Cover Pyramiden abgebildet sind, dann sagen wir: Sorry, aber eigentlich geht es um Voodoo und kabbalistische Zahlenmystik. WordSound bedeutet ja auch, Sounds wie Wörter zu gebrauchen.

Kann man das mit den afrikanischen Talking Drums vergleichen, die ja auch in der jüngeren Popmusik bei HipHop-Acts wie Public Enemy oder Drum’n’Bass-Künstlern wie A Guy Called Gerald von einiger Bedeutung sind?

• SKIZ FERNANDO: Du kannst einen Track rein als Musik konsumieren und etwa dazu tanzen, du kannst aber auch die Sprache, die dieser Track spricht, entschlüsseln. Wenn du direkt Worte verwendest, kann man dich auch viel besser festnageln. Du bist identifizierbar, sichtbar. Dem Abstrakten kannst du dich nur bis zu einem gewissen Grad nähern. Wenn du dann glaubst, du kannst es angreifen und benennen, ist es schon wieder an einem anderen Ort, hat Form, Aussehen und die Sprache geändert. Du siehst nur Schatten, aber das Ding an sich bleibt unsichtbar. Wir wollen unsichtbar sein, denn schließlich mußt du in Amerika sehr vorsichtig sein damit, was du sagst. Wir sind nicht jener Typus Leute, die ihre Politik am Ärmel tragen. We are kind of subliminal people. Wenn du wie Malcolm X dein Gesicht zeigst und sagtst: Wir müssen revoltieren, werden sie dich sofort abservieren, während George Clinton mit seinem P-Funk genial ist, weil er so sublim ist und dabei trotzdem die Botschaft »Denk nach« transportiert.

• DR. ISRAEL: Interessanterweise wurde Malcom X ja erst nach seiner Rückkehr aus Mekka als richtige Bedrohung für das US-Establishment wahrgenommen. Vorher konnte man ihn und seine Bewegung als »schwarz« und »anti-white« eingrenzen und somit leicht kontrollieren. Nun vertrat er aber die Meinung, daß spirituelle Erfahrungen und ein damit einhergehendes politisches Handeln unabhängig von Hautfarbe und Herkunft sind, und das ist das letzte, was dir das Establishment durchgehen läßt. Auch die Todesschwadrone, die sie den Black-Panther-Leuten ge-schickt haben, hängen damit zusammen. Die Riesengefahr, die die Black Panther darstellten, bestand ja nicht nur darin, daß sie militante Schwarze waren, sondern vor allem darin, daß sie ein Untergrundnetzwerk mit anderen gesellschaftskritischen Gruppen und revolutionären Bewegungen aufbauten, wo es egal war, wie du aussahst und woher du kamst. Wenn du das richtige Bewußtsein hattest, konntest du mitmachen.

Hängen die vielen verschiedenen Psyeudonyme, die ihr verwendet auch mit dieser Taktik des Unsichtbarwerdens zusammen?

• SKIZ FERNANDO: Wir haben so viele Ideen, so viele verschiedene Einflüsse und Stile. Da interessiert es uns auch nicht, nur ein fix umrissenes Ding zu tun. Es geht eher darum, eine Art Mythologie zu begründen, anstatt einfach Rockstars zu werden. Die Person dahinter ist nicht wichtig. Es geht um erfundene Charaktere, die dann gewisse Ideen transportieren.

Die sogenannte Dubnology ist eines eurer Hauptbetätigungsfelder. Resultiert das nur aus einem Fantum für Dub-Reggae oder geht es nicht vielmehr um die Ideologie des Dub - den ewigen Remix, das Verschwinden der Musiker hinter Hall- und Echo-Effekten, die Suche nach den immer tieferen Baßtönen.

• DR. ISRAEL: Beides. In Jamaica gibt es ja sowas wie Urheberrecht nicht. Also kann ich mir problemlos ein Masterband mit der Instrumentalspur besorgen, darüber einen eigenen Text singen, die Musik bearbeiten, wie ich will, und sofort veröffentlichen. Dadurch bleiben auch die Rhythmen konstant im Fluß. Wir wissen live manchmal nicht, wer gerade was spielt. Bin ich es oder ein anderer? Darum geht es uns auch. Wer kann schon sagen, er besitze das absolute Copyright auf einen Rhythmus oder einen Sound? Niemand.