mai 1997

Harald Friedl

Kunst ist stark!

Was Kunst leisten kann und was nicht. Über Picasso, Ostbahn Kurti, Jelinek, Haslinger und ... einen x-beliebigen Fleischhauer

»Falter« Redakteurin Doris Knecht fordert im »kunstfehler«, KünstlerInnen, vor allem die Promis, müßten sich mehr in das politische Geschehen der Republik einmischen. Dabei be-wertet sie die Verantwortung und die Möglichkeiten der Kunst überund ignoriert das von KünstlerInnen Geleistete.

»Gedichte muß man so schreiben, daß sie, wenn man sie durchs Fenster wirft, die Fensterscheibe zerschlagen.« (Daniil Charms)

Am Beispiel von Picasso: Kunst ist nicht nur »Guernica«, sondern auch »Cafe a Royal«, nicht nur der Aufschrei gegen das Grauen des Krieges, sondern auch das Aufbrechen konventioneller Ordnungsprinzipien bei der Wahrnehmung eines Gebäudes.

Wie unverschlüsselt sich Kunst der Realität bedienen mag: Sie ist eine Transformation subjektiv wahrgenommener Wirklichkeit in Geschichten, Bildern, Metaphern, die von jenen, die sich auf diese Kunst einlassen, als relevant auch für ihr Leben gefühlt und erkannt werden kann. Marcel Proust hat dieses Phänomen so beschrieben: »Es wäre ungenau zu sagen, daß ich (beim Schreiben, Anm.) an meine Leser dachte. Denn sie würden meiner Meinung nach nicht meine Leser sein, sondern die Leser ihrer selbst, da mein Buch nur etwas wie ein Vergrößerungsglas sein würde (...), durch das ich ihnen ermöglichen würde, in sich selbst zu lesen.«

Das ist keine frühe Prophetie »neuer Innerlichkeit«. Proust definiert das Wesen und Potential von Kunst schlechthin. Wie KünstlerInnen die Transformation der Realität leisten, darin liegt ihre besondere Qualität. Was sie transformieren, Krieg, eine Kaffeehausfassade, ein Liebesglück, einen gesellschaftlichen Mißstand, darin liegt ihre erste Entscheidung.

Kunst ist eine Auseinandersetzung mit der Welt. Darin kann Auseinandersetzung mit politischen Verhältnisse eingeschlossen sein. Gute Kunst ist immer ein Durchbrechen von Grenzen und ein Erschließen neuer Möglichkeiten. Von Möglichkeiten der Vorstellungswelt, auch einer politischen, von Möglichkeiten der ästhetischen Gestaltung.

Da mag man als politisch bewußter Mensch mit entsprechenden inhaltlichen Erwartungen beklagen, daß politisches Geschehen zu selten primärer Gegenstand von Kunstwerken ist. Aber warum sollte es Gegenstand der Kunst im besonderen sein? Weil es eine politische Verantwortung der Kunst gibt, die höher als die anderer Arbeitsgebiete wäre?

Und warum sollte den Stellungnahmen von KünstlerInnen außerordentliches Gewicht im gesellschaftlichen Diskurs zukommen?

Auf meine Frage, was sie für eine wesentliche Voraussetzung für die Schaffung von Kunst halte, antwortete Elfriede Jelinek: »Keine allzuhohe Intelligenz«. Intelligenz und Analysefähigkeit werden zu Unrecht oft gleichgesetzt. Analysefähigkeit ist keine Voraussetzung für künstlerisches Schaffen. Sie kann damit einhergehen und tut es auch bei vielen. Hervorragende Kunst kommt von Menschen, die sich nie als Intellektuelle bezeichnen würden.

Josef Haslinger beschreibt ein Erlebnis an einer ausländischen Universität: Während Haslingers Vortrag schlief ein Mann im Auditorium. Mitten in der anschließenden Diskussion erwachte er und fragte unvermittelt und laut: »Warum soll die politische Meinung von Schriftstellern interessanter sein als die von Metzgern?« Danach schlief er weiter. Haslingers Kommentar: »In den USA würde man auf eine solche Frage spontan antworten: »That's a good question.« Mich brachte sie aus dem Konzept.« Verständlich! Aber die Frage ist trotzdem gut.

Kunst ist nicht appellativ. Aber sie kann subversiv sein. Sie kann sensibilisieren, sie kann Bewußtsein schärfen bei jenen, die sich darauf einlassen. Daher ist Kunst wirksam, wenn sie um individuelle Freiheit kämpft, um die Befreiung von verinnerlichten Konventionen.

In diesem Sinne war der Rock 'n' Roll schon politisch, als er textlich noch nichts zu sagen hatte, die Leute aber entgegen allen Konventionen tanzen lehrte. Im Ring mit politischen Strukturen aber war Kunst fast in jedem Fall ein Fliegengewicht.

Es gibt sie zuhauf, die politischen KünstlerInnen. Darunter besonders viele Frauen, die etwa ihre Positionierung in unserer Gesellschaft über ihre Kunst thematisieren (es ist auffällig, daß in der Vorbereitungsgruppe für das Frauenvolksbegehren etliche Künstlerinnen mitarbeiteten, in der Öffentlichkeit aber ausschließlich Journalistinnen und eine Ex-Politikerin gehandelt wurden). Ihre politische Überzeugung ist in jeder Faser ihres mehr oder weniger verbreiteten Werks fühlbar.

Viele KünstlerInnen agieren politisch in einem unmittelbaren Sinn. Man findet ihre Kommentare im »Standard«, im »Presse-Spektrum«, auf »Ö 1«, im »Profil«. Warum sie nicht in millionenfach rezipierten Medien vorkommen, dafür kann man nicht nur die Macht- und Interessensverhältnisse der Medienlandschaft und ihrer Machthaber verantwortlich machen. Das liegt auch an der Unvereinbarkeit von künstlerischer Komplexität einerseits und der den großen Massenmedien wesenhaften Geschwindigkeit und Kürze. Vielleicht ist das Diktat von Geschwindigkeit und Kürze eine Frage, deren politische Dimension noch voll auszuloten ist (Philosophen wie Paul Virilio und Peter Sloterdijk haben damit begonnen). In der Praxis steht ihnen die Kunst ohnehin entgegen, weil sie Zeit erfordert und sich Zeit läßt.

Unzählige öffentliche Auftritte werden gratis auf Benefizveranstaltungen geboten.

KünstlerInnen begeben sich in die Problembereiche selbst und arbeiten mit: Ostbahn Kurti, Josef Haderer, Marianne Gruber, Peter Paul Wipplinger, Wilhelm Kaufmann, Ernst Hinterberger ... um nur einige zu nennen.

Vielleicht spricht aus der immer wieder erhobenen Klage, daß die Kunst zu wenig politisch agiere, auch der überzogene Anspruch aus den 60er Jahren, nach dem die Kunst eine Speerspitze im Kampf um gesellschaftliche Veränderung sein müsse. Und nach 30 Jahren Tatenreichtum müssen wir mitansehen, wie sich manche der bekämpften Mißstände sogar vertiefen. Aber das ist ein Problem der Linken insgesamt und nicht der Kunst im Spezielle.

Kunst ist ihrer Zeit nicht voraus (bahnbrechend waren im Rückblick auf unser Jahrhundert eher die Philosophie, die Mathematik, die Psychoanalyse, die Teilchenphysik). Kunst ist Ausdruck eines verfeinerten Nervensystems in der Wahrnehmung kultureller Mechanismen. Ihre Freiheit und ihr Potential liegen darin, unkonventionell darauf zu reagieren. Sie ist ein Spiegel, der nicht abbildet, sondern auseinandernimmt und neu zusammensetzt. Wichtig ist die Trefflichkeit des Bildes, wie tief die Reflexion geht, welche Dimensionen sie in Beziehung setzt. Dadurch, daß sie dies leistet, mag der Anschein einer Vorreiterrolle entstehen, den sie aber nicht hat und nie hatte.

Der Anspruch der Bedeutung der Kunst wird nicht nur von außen an sie herangetragen, sondern von Künstlern und Künstlerinnen genährt, die sich selbst gerne mit dem Nimbus der Außergewöhlichkeit umgeben. Die beständig auf die Sonderstellung der Kunst pochen und wenn sie Kunst sagen, sich selbst meinen. In dieser Individualismusfalle quälen sich zu viele letzte Mohikaner, zu viele mit dem falschen Bewußtsein, einer bedrohten Spezies anzugehören.

Das ist kein Einstimmen in den Kanon der IgnorantInnen und Kunstfeinde (mit diesen muß ich mich im Zuge meiner Arbeit selbst genug herumschlagen). Es ist der Versuch einer Versachlichung. Weil ich der Überzeugung bin, daß die Kunst dieses Pochen auf ihre Sonderstellung gar nicht nötig hat und wenn sie es trotzdem fortsetzt, ihre eigene Unsicherheit ritualisiert.

Kunst ist stark. Aber sie ist nicht mächtig. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Daß sie nicht mächtig ist, sollte man ihr weder zum Vorwurf machen noch sollte es das Selbstwertgefühl untergraben.

Kunst ist stark. Aber sie ist nicht mächtig. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Daß sie nicht mächtig ist, sollte man ihr weder zum Vorwurf machen, noch sollte es das Selbstwertgefühl untergraben.