mai 1997

Mario Jandrokovic

Der öffentliche Raum - Public Space

Ein ambitioniertes Projekt wird zwei Jahre lang fünf Salzburger Kulturinstitutionen und wohl auch die Öffentlichkeit auf Trab halten

Es verspricht eine spannende Suche zu werden - mit ungewissem Ausgang, jedoch voll der Erlebnis- und Erkenntnismomente -, auf die sich fünf Salzburger Kulturinstitutionen und ein stetig wachsendes Umfeld ab diesem Monat für die nächsten zwei Jahre begeben werden. Galerie Fotohof, Galerie 5020, Initiative Architektur, Internationale Sommerakademie für Bildende Kunst und Salzburger Kunstverein führen gemeinsam das ambitionierte Projekt »Der öffentliche Raum - Public Space« durch, das einerseits Fragen des urbanen (im architektonischen wie auch sozialen Sinne) Raums eingehend behandeln, andererseits jedoch auch Aufgaben, Perspektiven und Visionen von Kunst im Bezug auf Öffentlichkeit durchleuchten wird. Dabei werden auch die fünf beteiligten Institutionen, die ur- sprünglich mit einer Biennale für zeitgenössisches Kunstschaffen eine recht übliche Form gewählt hätten, sich mit »Öffentlichkeit« auseinanderzusetzen, ihre Rolle in derselbigen neu überdenken und womöglich auch verändern.

In der ersten Phase soll der ominöse Begriff, um den sich das Projekt dreht, näher umzirkelt und auf einen zeitgemäßen Diskussionsstand gebracht werden. Dazu dient erst einmal die fünfteilige Vortragsreihe, die am 6. Mai mit Susanne Neuburger, Kuratorin am Museum Moderner Kunst in Wien, in der Galerie 5020 startet. An dieser illustren Runde von ReferentInnen sind etwa auch Michael Sorkin, Architekt und Autor von Schlüsselwerken zu Urbanistik (27. 5. im Fotohof) oder Cathy Skene und Christoph Schäfer beteiligt (3. 6. im Kunstverein); die beiden binden im Hamburger Stadtteil St. Pauli bei ihrem Projekt »Parc Fiction« die AnwohnerInnen in die aktive Gestaltung der eigenen urbanen Lebenswelt ein. Die Vorträge finden ab Ende Juli im Rahmen der Sommerakademie am Institut für Gesellschaftswissenschaften ihre Fortsetzung, etwa mit Lynne Cooke (25.7.) oder Jo Anna Isaak, die eine Vorlesung über »The Garbage Girls« (18.8.) hält. Außerdem führt die New Yorker Künstlerin Agnes Denes bei der Sommerakademie eine Meisterklasse zum Thema. Vom Fotohof wird eine Datenbank im Internet erstellt, von der ein breites Spektrum an damit in Zusammenhang stehenden Texten und Informationen abrufbar ist.

Innerhalb der zweiten Phase - ab Frühjahr 1998 - werden dann einerseits reguläre Ausstellungen zum Thema in den Räumlichkeiten der beteiligten Institutionen geboten, anderer- seits sind KünstlerInnen zu Projekten im öffentlichen Raum eingeladen. Keine geschmäcklerischen Behübschungen in Denkmalmanier sind hier geplant, sondern eine sensible Auseinandersetzung mit dem sozialen und architektonischen Raum und den darin eingeschriebenen symbolischen Ordnungen. Die geplanten Orte dafür - etwa Europark, Ignaz-Harrer-Straße oder Bahnhofsvorplatz - bedeuten eine ziemliche Herausforderung: als recht prosaische Umschlagplätze im öffentlichen Raum, die nicht a priori von jenem Kulturanspruch getragen werden, den der herausgeputzte, den geschützten Repräsentationsräumen der Kunst daher nicht unähnliche Altstadtbereich für sich reklamiert. Die Projekte wird man daher wohl auch daran messen, ob sie tatsächlich ihren Ambitionen einer Intervention gerecht werden, ob die gesetzten Zeichen also die angepeilte neue Öffentlichkeit anzusprechen vermögen. Noch ehe dieses Projekt überhaupt angelaufen ist, habe es schon bei Politikern, insbesondere dem Bürgermeister, »ein anderes Sprechen über öffentlichen Raum und Kunst bewirkt«, stellt Hildegund Amanshauser, Direktorin des Kunstvereins, fest. Offenbar verlangt dieses Thema einen überlegteren und behutsameren Umgang ab, nachdem es nunmehr im Licht besagter Öffentlichkeit steht.

Die Herangehensweisen der Theorie einerseits, in der vermehrt die urbanistische Seite des Gegenstands angepeilt wird, und der künstlerischen Praxis andererseits lassen wohl gerade aufgrund der grundlegenden Widersprüche einen spannenden und konstruktiven Dialog erhoffen. Klar sei allerdings, daß keinesfalls kuratierend vorgegangen werde, so Barbara Wally, Leiterin der Sommerakademie. KünstlerInnen sollen autochtone Arbeiten schaffen und nicht als Handlanger dienen, die lediglich ein in sich abgeschlossenes Konzept illustrativ ausdekorieren. Doch auch darüber hinaus ist es ein äußerst kniffliges Unterfangen, Kunst mit öffentlichem Raum zu verknüpfen und dabei mehr zu sein als bloß ein Schlaghäubchen der Ästhetisierung auf jenem Kuchen, der gemäß den herrschenden Machtverhältnissen und ihren symbolischen Ordnung schon klar aufgeteilt ist. Gängige Strategien, den Kunstbegriff mit all seinen Erweiterungen aus seiner geschützten und darin auch neutralen Umgebung gleichsam in den Alltag transzendieren zu lassen, führen nur allzu leicht in die Scheinöffentlichkeit. Die Versuche etwa, Vernissagen in Raves umzuwandeln, hinterlassen generell einen schalen Beigeschmack, selbst bei der nachdrücklichen augenzwinkernden Beteuerung, daß der - eh schon wissen - hinfällige Kunstbegriff dabei sowieso nur strategisch eingesetzt werde.

Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich nicht zuletzt daraus, daß dieser öffentliche, urbane Raum, der künstlerisch besetzt werden will, sich zunehmend der Wahrnehmung als umreißbare, erlebbare Größe entzieht. Gerade die Innenstadt ist nicht mehr denn ein Sammelsurium jener Embleme, die man zum Weltkulturerbe deklariert, um sie dann in angemessener Weise - mit einer Dienstleistung der Werbebranche - abzufeiern. Urbanität droht hierbei tatsächlich zunehmend jenen Transitraum und Markt-Platz zu meinen, der mit Marmor- böden und Messingklinken die eigene Bedeutsamkeit einfordert. Es bleibe dahingestellt, ob Kunst mit Nachdruck den Spuren des verlorenen öffentlichen Raums nachgehen oder sich eher vor einer beherrschenden Omnipräsenz des Öffentlichen schützen soll. Öffentlichkeit meint ja nicht zuletzt auch jenen schnell kolportierten und sich ebenso schnell vervielfältigenden Allgemeinkonsens, der von Rädelsführern zu Emotionspaketen geschnürt wird, ob es sich nun um die Gefahr der »Überfremdung« handelt, um die hohen Telefonrechnungen von Kulturinstitutionen oder um Bauprojekte der Altstadt, die deren Immunität gegen die Zeit aufzuheben drohen. Öffentlichkeit ist darüber hinaus auch jenes waltende Prinzip, das Kunstzeitschriften im allgemeinen nunmal so aussehen läßt wie Vogue für Acryl auf Leinwand. Wenn man im Willen zur Partizipation an der ominösen großen Öffentlichkeit etwa die vielgepriesenen Neuen Medien bloß als Tentakel des eigenen Status quo nutzt, wird man nur allzu leicht als Trittbrettfahrer mitgeschliffen.

Soweit Kunst beitragen kann zur Neudefinition und Besetzung des öffentlichen Raums, erfordert der veränderte Kontext mit Sicherheit auch eine veränderte Definition dessen, was als gute, in diesem Sinne schlichtweg geeignete Kunst anzusehen ist. Der Schritt in eine erweiterte Öffentlichkeit könne sicherlich nicht getan werden, wenn Fachleute von sich a priori behaupten, was die Lehener Bevölkerung vor Ort für Kunst brauche, meint dazu Hildegund Amanshauser.

So mochte auch die Intervention von Anton Thuswaldner, bei der er das Mozartdenkmal mit Einkaufswagen verstellte, bei zahlreichen Kunstgourmets Nasenrümpfen als gar simple und durchsichtige Idee hervorgerufen haben, sie hatte jedoch zumindest allgemeine Anteilnahme und lebhaft geführte Kontroversen zur Folge. Die OrganisatorInnen dieses vielversprechenden Projekts haben sich nicht zuletzt die Aufgabe gestellt, die ihnen geläufigen Bahnen des Kunstdiskurses zu verlassen und jenes, was sie im Neuland vorfinden, auf stimmige Art und Weise in ihr Konzept einzubinden. Möge dieses Kunststück der Öffnung gelingen!