mai 1997

Romana Klär
titel

Männer gegen Männergewalt

Schutz den Opfern (oder) Hilfe den Tätern

Nach Kindermißbrauch-Krimis von Belgien bis Thalgau war die Stimmung gut im Lande: Daß die professionell konzipierte Öffentlichkeitskampagne gegen »Gewalt in der Familie« wohl zufällig zum richtigen Zeitpunkt anlief, konnte ihr und (vielleicht auch) den Opfern nicht schaden. Die Leute waren auf Schreckensmeldungen programmiert. Das Thema paßte gut zwischen die alltäglichen Crime-Berichte in den Tageszeitungen. Breite Aufmerksamkeit war von Anfang an gesichert.

Auch in Salzburg sollte familiäre Gewalt, wie sie sich seit Jahr und Tag hinter verschlossenen Türen abspielt, nicht länger unter den Teppich gekehrt werden. Seit Dezember vergangenen Jahres rufen Stadt und Land gemeinsam mit den dazugehörigen Frauenbüros die Bevölkerung zur Zivilcourage auf. »Mischen Sie sich ein!«, lautet die plakatierte Botschaft, die nebst Mutter, Schwester oder Freundin auch die Nachbarin von drangsalierten Frauen zur Intervention ermutigen will. Durch die provokannten Sujets der Plakate (Sprüche wie: »Zuerst hab ich sie in die Rippen tretn, dann hat's aber kuscht. Kriegt eh kaner mit«, kombiniert mit Täterfotos á la Kronen Zeitung) sollte Dummheit vor Augen geführt und Männern klar gemacht werden, daß Gewalt innerhalb der eigenen vier Wände eine verächtliche Straftat ist.

Sich mit den Männern solidarisieren. Die Tat verurteilen

Mit den Männern, die diese Straftaten begehen, sollte man(n) sich solidarisieren. Ihnen und damit auch den Opfern könnte geholfen werden, wenn die Täter bereit sind, die Verantwortung für ihr Tun zu übernehmen. Weitere Gewalt wäre durch individuelle Täterarbeit zu verhindern. Denn prügelnde Männer suchen sich immer neue Opfer. Wenn es eine Frau - durch welche Unterstützung auch immer - geschafft hat, sich aus den ökonomischen und psychischen Abhängigkeiten ihres Peinigers zu befreien, lauern sie bereits auf die nächste »Partnerin«, die bald darauf ein ähnliches Martyrium wie ihre Vorgängerin zu erwarten hat.

Diese Gedanken brachte beim Auf-takt der Anti-Gewalt-Kampagne Joachim Lempert, Leiter der Beratungsstelle »Männer gegen Männergewalt« (MgM Hamburg) zur Sprache und beeindruckte damit nicht nur die anwesenden Sozial- bzw. Frauenpolitiker Gerhard Buchleitner und Heinz Schaden (beide SPÖ).

»Wir solidarisieren uns mit den Männern und verurteilen ihre Tat«, lautet Lemperts Arbeitsauftrag. Schlagende Männer, die sich »einsichtig« zeigen, daß die immer wiederholte physische Gewalt gegenüber Frau und Kind nicht die erwartete Lösung ihrer Probleme nach sich zieht, und deren »Leidensdruck« (weil Frau oder Freundin das Weite suchen wollte/konnte bzw. das schlechte Gewissen an des Mannes Nerven zehrt) zu groß wird, können sich in Hamburg etwa ein Jahr lang anonym, einzeln und in der Gruppe therapieren lassen. Etwa 500 Gewalttäter aller Alters- und Berufsgruppen kommen pro Jahr zur Beratung. Der erstaunliche Erfolg: Nur 10 Prozent von ihnen werden - laut Täterbefragung - rückfällig.

Nach einer Reise nach Hamburg stand Buchleitners und Schadens Entschluß fest: Auch in Salzburg sollte ein Mann gegen Männergewalt arbeiten, auch hierzulande müsse das Augenmerk stärker auf die Täter gelenkt werden, um der familiären Gewalt Herr zu werden. Immerhin lebt jede fünfte Frau in Österreich in einer gewaltsamen Beziehung. Rund 50.000 Frauen sind das pro Bundesland. Jeder und jede zweite weiß übrigens von diesen gewaltsamen Übergriffen im Freundes- und Bekanntenkreis.

Falscher Zugang und keinerlei Kontrolle

Schuldbewußtsein und Bereitschaft zur Therapie sind freilich die Voraussetzung bei MgM. Aber schon darin spiegelt sich die Unzulänglichkeit des Hamburger Modells, meinen Mitarbeiterinnen von Frauenhilfseinrichtungen. »Wenige Täter bringen Einsicht auf«, sagt Veronika Verzetnitsch vom Salzburger Frauenhaus. Ein gesellschaftspolitischer Ansatz, der Gewalt an ihrer Wurzel - der ungleichen Machtverteilung - packe, fehle beim Hamburger Modell außerdem gänzlich.

Was die ambitionierten Politiker mit ihrem Ansinnen jetzt ernten, reicht von Verwunderung bis hin zu Empö-rung.

Weder jene, die seit Jahren Frauen mit Gewalterfahrung betreuen und sich seit längerem auch den Fragen stellen, inwieweit Strafe und/oder Therapie für Täter (im Sinne von Opferschutz) sinnvoll ist, noch die wenigen Salzburger, die präventiv gegen Männer-Gewalt arbeiten, sind mit dem Import des Hamburger Modells ohne ergänzende Maßnahmen (Kontrolle, ob Sicherheit der mißhandelten Frauen tatsächlich gewährleistet ist; Bewußtseinsänderung durch Verhaltenstraining der Männer; umfassende Jungenarbeit; Beratung im Vorfeld von Gewaltausbrüchen u.a.m.) sowie den gleichzeitigen Ausbau der Opferbetreuung einverstanden.

Neben Zorn und Verwirrung, die sich bei Frauen- und Männerinitiativen nach der Ankündigung, eine Einzeltätermänner-therapierende Stelle zu installieren, breit machten, entfachten Fragen, die für die Praktikerinnen aus der frauenspezifischen Sozialarbeit schon beantwortet schienen: Wie muß Täterarbeit aussehen, um dem Opferschutz Priorität einzuräumen? Wer sind die ExpertInnen und wie können Männer innerhalb der patriarchalen Strukturen gegen Gewalt (im umfassenden Sinne) agieren? Die Behandlung »individueller Männer-Krisen« greife auf jeden Fall zu kurz, sind Veronika Verzetnitsch und Renée Mader (Frauentreffpunkt) überzugt.

Das von den Frauenorganisationen favorisierte Projekt, das nach Inkrafttreten des Wegweiserechts gewaltsamer Männer aus der gemeinsamen Wohnung (seit 1. Mai 1997) notwendigerweise auch Täterarbeit beinhaltet, ist das der »Interventionsstelle«- einer Drehscheibe zwischen Polizei, Gericht und Betroffenen. Sie bleibt wegen der Ablöse von Innenminister Casper Einem (der die Finanzierung versprochen hatte) durch Karl Schlögl bis auf weiteres nur in Aussicht gestellt. Doch gerade diese »Drehscheibe« könnte der Gewalt in der Familie entgegenwirken. Wesentliche Punkte des Duluther Modells - Erfahrungen der Kleinstadt Duluth in Minnesota, USA - sollten dabei beachtet werden, schlagen die Expertinnen vor: Strafe und verpflichtendes Training (statt Therapie) lautet dabei das Motto - das bedeutet: Festnahme, gerichtliche Verfügung zum Schutz der Frau, strafrechtliche Verfolgung und Konfrontation der Täter mit ihrem Verhalten. Nicht nur Männer sollten bei diesem »sozialen Lernen« mitwirken. Das Prinzip der Arbeit mit Opfern von Gewalt (Frauen helfen Frauen u.a. weil massive Vertrauensverluste gegen-über Männern vorangegangen sind) sei hier nicht anwendbar. Gewalttätige Männer sollten in diesem Trainingskurs erleben, daß auch Frauen Autorität haben und daß die TrainerInnen sich einig sind in der Ablehnung von Gewalt.

Sozialarbeiterinnen, Psychologinnen und Juristinnen, die täglich mit (physischen, psychischen und strukturellen) Formen und Folgen von Gewalt an Frauen und Kindern konfrontiert sind, quälen aber noch andere Fragen: Wer wird die Einzelthera-pien von MgM bezahlen und wird das nicht auf Kosten der Arbeit mit Frauen geschehen? Auch wenn - wie die beiden SP-Politiker sagen - die Ausbildung des künftigen MgM-Mannes aller Wahrscheinlichkeit nach über EU-Gelder finanzierbar wäre, muß für die laufenden Aufwendungen das »Sozialbudget« angezapft werden. Dabei fehlt es bei der Versorgung der Opfer an allen Ecken: So ist im Salzburger Frauenhaus Platz für nur 13 Frauen und deren Kinder (vom Europarat wird pro 10.000 EinwohnerInnen ein Frauenhausplatz empfohlen. Das wären für Salzburg 51). Im vergangenen Jahr konnten 76 Frauen im Salzburger Frauenhaus aufgenommen werden. 53mal mußten Frauen wegen Platzmangels abgewiesen werden. Der Eröffnung des neuen Hauses im Pinzgau sieht man nicht zuletzt deshalb schon sehnsüchtig entgegen.

Mehr als Einzeltherapie

Aber auch Männer, die sich gegen Gewalt formieren, fühlen sich durch die MgM-Idee vor den Kopf gestoßen. Ingo Bieringer, Mitarbeiter im Friedensbüro, wo Gewaltprävention unter anderem bei (außer)schulischer Jungenarbeit schon lange praktiziert wird, war über den Buchleitner-/Schaden-Vorschlag mehr als überrascht, gebe es doch in Salzburg bereits seit längerem zahlreiche Vorschläge, wie eine Männerberatungsstelle funktionieren könnte. Zusammen mit Pädagogen, Psychologen und einem Juristen hat Bieringer kürzlich den Verein »Unabhängige Männerberatung« gegründet. In diesem Rahmen könnte das MgM-Modell durchaus einen Teil der Gewaltprävention darstellen. Denn derweilen sei noch nicht ganz klar, wo die in Hamburg Auszubildenden angesiedelt werden sollte. Der »Außergerichtliche Tatausgleich«, ein Subverein der Bewährungshilfe, liegt derweilen gut im Rennen. Schon am 15. Mai wird Koryphäe Lempert hier zu Gast sein und die Bedenken vieler KritikerInnen vielleicht zerstreuen können.

Die Initiatoren der »Unabhängigen Männerberatung« wünschen sich - und das haben sie mit Anton Wintersteller von der Katholischen Männerbewegung gemeinsam - eine offene Beratungsstelle, wie sie zum Beispiel in Innsbruck, Wien oder München bereits existiert.

Der unmittelbaren Arbeit mit Gewalttätern sollten themenzentrierte Männergruppen (Sexualität, Trennung, Männer-Bilder u.a.m.) angeschlossen sein.

»Wir müssen uns mit anderen psychosozialen Einrichtungen vernetzen und mehr zusammenarbeiten«, betont Wintersteller, denn eine emanzipatorische Männerbewegung stecke hierzulande noch in den Kinderschuhen.

Bei aller Verunsicherung wurde eines in den vergangenen Wochen deutlich: Die Bedürfnisse und Vorstellungen der PraktikerInnen/ExpertInnen vor Ort müssen - im Sinne einer (sozial)demokratischen Politik - wieder in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt werden. Auch wenn dann Gerhard Buchleitner und Heinz Schaden auf einen öffentlichkeitswirksamen Coup verzichten müßten.