juni 1997

Mario Jandrokovic
zu gast

Wolfram Kastner oder: Das unsichtbare öffentliche Ärgernis

Die ARGE ist um ein wenig Kulturerbe reicher geworden. Wolfram Kastner hat ein unsichtbares Denkmal geschaffen, indem er einen Text von Thomas Bernhard in einer »ungenehmigten Grabungsaktion«, wie es so schön im einschlägigen Exekutive-Jargon heißt, bei strömendem Regen auf dem Kultur-Gelände eingebuddelt hat. Diese »Errichtung« eines Denkmals operierte, wie auch die anderen Aktionen Wolfram Kastners, mit recht leisen und diskreten kleinen Gesten, und doch ziehen seine Arbeiten beständig dick aufgetragene Empörtheit nach sich.

In Salzburg erregte der Künstler »öffentliches Ärgernis«, als er vor zweieinhalb Jahren am Kommunalfriedhof die Kranzschleife zu Ehren der Waffen-SS durchschnitt und zum Ausstellungsgegenstand erhob (der kunstfehler berichtete). Zu Allerheiligen letzten Jahres hatte er sich gemeinsam mit sechs weiteren Personen der »Behinderung und Störung einer Gedenkfeier« schuldig gemacht, wie es im Polizeibericht hieß: Kastner und seine Freunde hatten am Kommunalfriedhof bei der traditionellen feierlichen Kranzniederlegung von Veteranen der Waffen-SS Schilder mit der Aufschrift »Wir ehren die Deserteure« umgehängt. Dies war »als ein besonders rücksichtsloses und ungerechtfertigtes Agieren zu verifizieren«, wurde dazu in der blumig-objektiven Amts-Prosa aus der Schreibwerkstatt der Polizeidirektion angemerkt. Wolfram Kastner berichtete am Abend der besagten »unerlaubten Grabungsaktion« in der ARGE von den denkwürdigen Ereignissen des 1. November 1996, so wie sie in den Dokumenten der Amtsstuben aufgezeichnet wurden: »Um eine Eskalation der Situation hintanzuhalten, wurde vorerst die Beobachtungsaktion eingehalten«, hernach legten die Zivilbeamten ihre »Polizeierkennungsjacken mit dem Aufdruck POLIZEI« an, »um eindeutig als Polizeibeamte erkennbar zu sein«, daraufhin wurde die »Einstellungsaufforderung«, und schließlich das »Straferkenntnis ausgesprochen«. Abgesehen vom hinderlichen »Blitzlichtgewitter« des »deutschen Medienmitarbeiters« (dessen »Einschüchterungsversuche blieben allerdings nur Versuche«) gab es keine Zwischenfälle. Zu einem späteren Zeitpunkt folgte dann die »Anzeigenerstattungsverständigung«.

Diese hochgeschraubten wie ungelenken sprachlichen Pirouetten aus Amtsstuben boten sich zur kabarettistischen Weiterverwertung einfach an, und Wolfram Kastner sparte auch nicht gerade mit dem Lustig-Gestus der Kleinkunst. Er wolle jedoch keineswegs irgendwelche kleinen Beamten der Lächerlichkeit preisgeben, betonte der Künstler. Er nahm jedoch eine Sprache unter die Lupe, die die Autorität des Objektiven ausstrahlen möchte - die Sprache der Herrschaft, die sich am unteren Ende der Hierarchiepyramide mit unfreiwilliger Komik selbst entlarvt. Und wenn im Polizeibericht festgestellt wird, daß es eine Provokation der »Öffentlichkeit« sei, jene Salzburger zu ehren, die erschossen worden sind, da sie aus Gewissensgründen die »Pflichterfüllung« bei der SS verweigert hatten, wirft dies ein ziemlich seltsames Licht auf »Öffentlichkeit«, wie sie von der örtlichen Exekutive verstanden wird.

Wolfram Kastner wird nächste Allerheiligen zeitig eine unsichtbare Kundgebung und die Errichtung eines unsichtbaren Denkmals bei der Polizei anmelden. Bleibt abzuwarten, wie sehr sich besagte Öffentlichkeit auch durch Unsichtbares bedrängt fühlen wird.