juni 1997

Gerald Gröchenig

Festival der Regionen Vol. 3

Oberösterreich gegen den Trend zum Event

Das Festival der Regionen setzt 1997 wieder einmal künstlerische und kulturelle Meilensteine, bietet 10 Tage lang »Entdeckungsreisen zu Alltagswundern« und kommt dabei ohne Eintrittskarten, Beginnzeiten oder herkömmlichen Kulturkonsum aus.

Vom 14. bis zum 24. August wird das heuer zum dritten Mal stattfindende »Festival der Regionen« dauern. An die 10 Millionen Schilling werden die kulturellen Aktivitäten und Kunstabenteuer kosten, die während dieses Zeitraums an über 500 Schauplätzen in ganz Oberösterreich stattfinden. Und trotzdem: Was auf den ersten Blick bombastisch ausschaut, erweist sich als Rückzug von einer möglichen Event-Hascherei zu sensiblen Experimenten, bei denen ein Publikum zu Entdeckungsreisen eingeladen und mit all seinen Sinnen gefordert wird.

Das erste Festival 1993 - es findet alternierend zu den Landesausstellungen statt - stand unter dem Motto »Das Fremde« und war noch eher ein Versuchsballon. 1995 hieß das Generalthema »Heiße Heimat«. Mit den dazu realisierten über 100 Veranstaltungen, darunter Großveranstaltungen wie »Unsichtbare Städte«, einer Landschaftsinszenierung am Attersee oder »Die Achse des Ofens«, einer Zeitreise in der VOEST, konnte die Festivalleitung zwar die gesteckten Ziele erreichen, sah aber auch deutlich, wo die Grenzen der Veranstaltungskultur liegen. Den Trend zum großen Spektakel wollte man nicht mitmachen, der Rückzug öffnete allerdings neue Dimensionen.

Zum Generalthema wurde diesmal »Kunst.Über.Leben« gewählt. An die 100 Projektideen wurden von heimischen und internationalen Künstlern dazu geboren, 25 letztendlich von einer international besetzten Jury für die Realisierung ausgewählt. Gefragt waren unkonventionelle Ideen, regionale Bezüge aber auch überregionale Bedeutung, die Überwindung von Grenzen wie ein besonderes Augenmerk auf die Kunstvermittlung. Aufgrund des Generalthemas haben sehr viele Künstler ihre Kunstprojekte nahe am Alltag der Menschen, an der sozialen Interaktion angesiedelt. Kunst fließt in den Alltag ein bzw. der Alltag in die Kunst.

Da gibt es z.B. die Eröffnungsaktion »UNSICHTBARES OBERÖSTERREICH«. Bei dieser »dezentralen« Eröffnung wird an 500 Schauplätzen in Oberösterreich unsichtbares Theater geboten, Aktionen, die sich in den Alltag einbinden, überraschen, irritieren. Theatermacher im ganzen Land werden schon jetzt in Workshops darauf vorbereitet. Radio Oberösterreich hält den ganzen Tag seine Leitungen für Beobachtungen offen, alle Ober-österreichrinnen und Oberösterreicher sind im Rahmen eines Suchspiels aufgefordert, ihre Entdeckungen zu melden. Darunter werden sicher auch ganz normale Ereignisse des Alltags sein, gar nie als künstlerische Aktion gedacht.

Beim Projekt »FEST(D)ES KLATSCHEN« geht es ums Klatschen oder ähnliche Formen der Körperpercussion. Internationale und regionale Gruppen der Körpermusik zwischen »Ausseer Pascher« und »Flamenco Viva« begegnen sich an allen möglichen und unmöglichen Orten und Räumen, beziehen dort ihre Zuhörer spontan in das Geschehen ein.

Einen weiteren Schwerpunkt bieten Projekte des Mitlebens. Veranstaltungen herkömmlichen Zuschnitts - man geht zu einer bestimmten Uhrzeit wohin, kauft sich Eintrittskarten, konsumiert und genießt - gibt es während der zehn Tage (mit zwei Ausnahmen) nicht mehr. Beim Projekt »MUSIK FÜR EINEN KIRCHENRAUM« soll das Erlebnis vermittelt werden, das man hat, wenn man sich kleinen Kirchen oder Kapellen nähert, aus deren geöffneter Tür Musik dringt. Das interessierte Publikum bekommt einen Wanderführer, auf dem die Kapellen eingezeichnet sind, und einen groben Zeitraster, wie. z.B. »vor Einbruch der Dunkelheit«. Das Erlebnis muß man dann selbst entdecken. Daß es sich bei der Musik um neue Kompositionen nach alten Kirchenliedern handelt, die in einer Kooperation zwischen dem Musiker Max Nagl und der Diözese Linz geschaffen wurde, gehört zu den Spezifika, die dieses Festival seit Jahren prägen: Man verbindet Tradition und Avantgarde, erreicht ein breites Publikum, schafft regionale Identität wie auch Offenheit für Neues.

Ein Großteil der Projekte ist interaktiv, das Publikum ist Bestandteil, wird miteinbezogen. »TONGA - EXPEDITION TOTES GEBIRGE« heißt die sechstägige Überquerung des Toten Gebirges mit dem Volk der Tonga. Das Publikum kann nur eines: mitgehen. Und dabei konfrontiert werden mit Trommeln, Karstlandschaft, Saum-pfaden, Bergführern, Antilopenhörnern, Gesang, Feuer, mit der spirituellen Kraft, den Menschen, den Zeremonien und der Tonkunst der Tonga aus Zimbabwe. Die Idee dazu stammt von der Stadtwerkstadt Linz sowie den Volksmusikanten der »Sunnseitn«.

Bei den »TISCH-TRANSAKTIONEN« der Linzer Künstlergruppe »Die Fabrikanten« werden Oberösterreicher eingeladen, ihre Küchen- bzw. Eßtische zu tauschen, ein reales Netzwerk an Kommunikationsinseln zu errichten. Gastfreundschaft wird erlebbar gemacht, indem man sich auf auf das Spiel und neue Bekanntschaften einläßt.

Ein analoges Netzwerk dazu entsteht im Internet, wobei alle Festivalprojekte miteinander vernetzt werden. Auf einer Web-page sind dann allgemeine Informationen wie auch spezifisches Hintergrundmaterial abrufbar.

»AUT.ARC« ist natürlich wieder ein eigenes Festivalprojekt, versteht sich als künstlerischer und sozialer Versuch im Zeitalter medialer Vernetzung, besteht aus Server, mobilem Bürobus sowie drei AUT.ARC Koffern (Laptop, GSM Handy, Digitalkamera, Modem) und wandelt ein früher fixes Festivalbüro in eine mobile und flexible Struktur um. Selbst die Reise der TONGA wird so im Netz zu verfolgen sein.

Noch zwei Beispiele:

In »METAMORPHOSEN« wird aus Schuberts Winterreise ein Überlebenskampf von Musik und Stimme im Niemandsland zwischen zwei Autobahnstreifen. Ort: Westautobahn, Stadteinfahrt; Zeit: 14. August, zur Stoßzeit.

In »MODERNE ANDACHTSPUNKTE« tauchen angeregt durch den »Licht-bradlmontag« in der Innenstadt von Bad Ischl Gesichter von älteren BewohnerInnen auf. Von Bäumen herab, aus Auslagen heraus, am Bahnhofsschalter, im Kurpark, Bilder, die mit-schauen, mit-warten, mit-beobachten.

Dies ist nur eine kleine Auswahl aus den vielen Angeboten zu Entdeckungsreisen.

Da das Publikum einen Großteil der Veranstaltungen erst suchen und sich erarbeiten muß, wird das diesjährige Programmheft auch als Reiseführer gestaltet sein: Routen werden zu den »Alltagswundern« zusammengestellt, man benötigt dann über genügend Zeit und Muße, diese zu finden und zu erleben. Und auch damit wird wieder ein Festivalziel erreicht: gegen den Trend des Weg- und Drüberschauens einer schnellebigen Zeit werden die Augen geöffnet fürs Suchen und Staunen.

Wegen der Ballung von Kulturveranstaltungen gegen Ende September und nicht zuletzt wegen der oberösterreichischen Landtagswahl wurde der Zeitpunkt heuer auf August vorverlegt. Landeshauptmann Pühringer, in dessen Zeit als Kulturlandesrat die Gründung des Festivals fiel, ließ es sich auch diesmal nicht nehmen, bei der Präsentation des Programms dabei zu sein. Es gab wieder die von ihm bereits gewohnten Bekenntnisse zur Förderung von Innovation und Experimenten - in der öberösterreichischen ÖVP ticken die Uhren da wohl anders. Für einen ÖVP-Landeshauptmann in Wahlzeiten scheint auch seine Aussage erstaunlich, daß es durchaus legitim sei, wenn ein derart grenzüberschreitendes Festival auch an die Grenzen des Kunstbegriffs geht. Wann hat man das zum letzten Mal in Salzburg gehört, und vor allem von wem?

Daß derartige Experimente gerade in Oberösterreich möglich sind, hat viele Gründe: Da ist zuerst einmal eine vielschichtige Kunst- und Kultur-szene mit über 60 Kulturinitiativen und -vereinen. Daraus kommen dann zweitens Personen hervor, die die kritische Reflexion dieser Kulturarbeit immer wieder in neue, zukunftsweisende Ideen umsetzen.

Da ist weiterhin der bereits angesprochene politische Rückhalt. Der Kulturkampf der oberösterreichischen F-Partei gegen die Kulturinitiativen (darunter auch das Festival der Regionen) war der brutalste im ganzen Bundesgebiet. Die anderen Parteien ließen sich davon nicht beeindrucken, in Österreich - mit Verlaub - ein halbes Wunder.

Da ist auch maßgeblich ein ORF- Intendant Leopoldseder mitverantwortlich, der bei Aktivitäten wie »Ars Electronica« oder »Festival der Regionen« führend dabei ist, den Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Mediums ernst nimmt und die regionalen Radio- und Fernsehprogramme in hierorts kaum vorstellbarem Ausmaß in den Dienst der kulturellen Experimente stellt.

Da spielt dann natürlich auch die Atmosphäre eines Kulturlandes und dessen Hauptstadt Linz mit, beide nicht durch einen »Hochkultur-Klotz« am Weiterschreiten und vor allem Weiterdenken gehindert. Man vergleiche bitte, was unseren Stadtvätern um 7,8 Millionen zum Thema »Weltkulturerbe« einfällt, und man wird sehr zornig ob der ignorant vergebenen Möglichkeiten.