juni 1997

Verena Fabris

Wanderer zwischen zwei Welten

MigrantInnen der zweiten Generation

Wer aus seiner Heimat freiwillig oder unfreiwillig für eine bestimmte Zeit oder für immer auswandert, muß sich in der Fremde eine neue Existenzgrundlage schaffen. Dieser Prozeß ist mit zahlreichen Spannungen verbunden und die »Anpassung« an die fremde Welt oft leid- und schmerzvoll.

Die Kinder der ArbeitsmigrantInnen der ersten Generation - die sogenannte zweite Generation-, die in Österreich geboren wurden oder im Kleinkindalter nach Österreich »nachgeholt« wurden, stehen besonderen Problemfeldern gegenüber. Während die Eltern ihre Sozialisierung, in der auch die kulturelle Identität geprägt wird, im Heimatland erfahren haben, kommen ihre Kinder spätestens mit dem Schuleintritt mit der österreichischen Kultur in näheren Kontakt. Der überwiegende Teil der Elterngeneration kompensiert die oft unerträgliche Situation in der Fremde mit dem Traum einer späteren Rückkehr in die Heimat. Nur ein Drittel ihrer Kinder sieht jedoch die Auswanderung in das Herkunftsland der Eltern als eine vorstellbare Zukunftsperspektive.

1991 lebten in der Stadt Salzburg 23.332 haupt- und nebengemeldete Personen ausländischer Herkunft, was einem Prozentsatz von 13,7 % entsprach. Der Großteil davon stammt aus den traditionellen Herkunftsländern der ArbeitsmigrantInnen Jugoslawien (52% ) und Türkei (13 %), gefolgt von westlichen Industriestaaten (überwiegend deutsche StaatsbürgerInnen) und Personen aus sogenannten »Dritte Welt«-Ländern.

Konfliktfeld Schuleintritt

Die Kinder der ArbeitsmigrantInnen nicht-deutscher Muttersprache leben in der Stadt Salzburg - in erster Linie aufgrund fehlender und zu teurer Kindergartenplätze - meist bis zu ihrem Schuleintritt in einem sprachlichen Ghetto.

In den öffentlichen Volksschulen der Stadt Salzburg war in den letzen vier Jahren im Durchschnitt jedes vierte Kind fremdsprachig (1996/97. 22,7 %), wobei es sich dabei zum Großteil um Kinder der zweiten und teilweise schon der dritten Generation handelt, da es insbesondere seit Beendigung des Kriegs in Jugoslawien und der restriktiven Asyl- und Ausländergesetzgebung kaum mehr Kinder gibt, die zu einem späteren Zeitpunkt als dem vorgesehenen schulpflichtigen Alter »quereinsteigen«.

In der 1.-4. Schulstufe der Allgemeinen Sonderschule (ASO) ist in den letzten vier Jahren der Prozentsatz fremdsprachiger Kinder kontinuierlich auf 45,3 % im Schuljahr 1996/97 angestiegen. Das »Abschieben« von Kindern nicht-deutscher Muttersprache in die Sonderschule hat verschiedene Ursachen. Hinreichend bekannt ist etwa, daß der Begriff der Lernbehinderung, der für den sonderpädagogischen Bedarf ausschlaggebend ist, auf österreichische Kinder abgestimmt ist und kulturspezifische Kenntnisse sowie die Beherrschung der deutschen Sprache voraussetzt. »Das muß man wissen, daß das Kind ja nicht dumm ist, sondern eben aus einem winzigen Ort kommt, keinen Kindergarten besuchte...« spricht eine Salzburger Volksschullehrerin eigene Vorurteile an.

Speziell auf die Situation Salzburg bezogen fällt auf, daß der Anteil ausländischer Kinder in der ASO vor allem seit der Möglichkeit der Integration von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in das Regelschulwesen der Volksschule im Jahr 1993/94 überproportional ansteigt. Der Schluß liegt nahe, daß österreichische Kinder bevorzugt in der Integration betreut werden, während ausländische Kinder eher in die ASO »abgeschoben« werden .

Konfliktfeld Identitätsfindung

Migrantenjugendliche bewegen sich zwischen zwei Polen, zwischen der Welt ihrer Eltern und der Welt der österreichischen Gesellschaft, in der sie leben. »Ich lebe in Österreich in zwei Welten. Zu Hause lebe ich in einer anderen Welt als in der Schule oder auf der Universität. Ich habe Angst, aus dem Familienkreis, Freundeskreis meiner Eltern ausgestoßen zu werden.« formuliert es eine junge Kurdin.

In der Zeit der Identitätsfindung ist es für die zweite Generation von Migrant-Innen von Bedeutung, eine Verbindung zwischen den beiden Polen zu finden und Spannungen, die durch die Ein- und Ausstiege von einer Welt zur anderen entstehen, aufzulösen. Dies ist eines der Hauptunterscheidungsmerkmale von in- und ausländischen Jugendlichen. Inländische Jugendliche haben es in dieser Zeit vor allem mit der Distanzierung vom Elternhaus zu tun. Ausländische Jugendliche erkennen, daß sie auch von der Gesellschaft nicht akzeptiert werden und müssen sich also auch von dieser distanzieren. Migrantenjugendliche lernen, sich in beiden Welten zurechtzufinden und ihre Rollen entsprechend zu spielen. Durch die Auseinandersetzung mit den zwei Wertsystemen lernen sie eine spezifische Umgangsweise mit beiden Welten. Sie nehmen eine Vermittler- oder Dolmetscherfunktion ein.

In Zeiten eines schmerzlich spürbaren Rechtsruckes der Gesellschaft wird es immer notwendiger, Strategien zu einem friedlichen Miteinander zu finden. Die zweite Generation ist dabei, sich einen Platz in unserer Gesellschaft zu erobern.