juni 1997

Mario Jandrokovic

Planet Punk Attacks

Anmerkungen zu den nicht stattgefundenen »Salzburger Chaostagen«

»Nuke ‘em! Nuke ‘em!«, meint der oberste Militär in Tim Burtons Science Fiction-Film »Mars Attacks«, angesprochen auf seine Vorgehensweise gegenüber den kleinen giftgrünen Männchen vom roten Planeten. Glaubt man den kleineren und größeren Formaten, so ist Salzburg heuer zu Pfingsten durch eine ähnlich effiziente Methode vor dem Schlimmsten bewahrt worden. Immerhin ist es zu den angeblich europaweit beworbenen »Salzburger Chaostagen«, von denen man - wie ein zufälliger Lokalaugenschein bestätigte - nicht einmal im einschlägig bekannten Berlin-Kreuzberg etwas wußte, nicht gekommen.

Eigentlich war an dem denkwürdigen Wochenende gar nichts los. Es kurvten bloß zahllose Kombibusse durch die Mozartstadt, vollbesetzt mit Organen, deren Gürtel voller Survival-Geräte selbst den modischsten Punks, wären welche dagewesen, die Show gestohlen hätten. Massive Einsätze gab es, kein Wunder bei der Hitze, dann zumeist nur bei Eisständen oder in Gastgärten. Nicht zuletzt hatte auch das herrliche Badewetter die Innenstadt leergefegt und ließ bloß die operettenhafte Atmosphäre historischer Zentren aus den vergangenen Tagen Mittelosteuropas zurück - schon deshalb, weil die prägendsten Gestalten, die sich im Stadtbild herumtrieben, die in Uniform waren. Mit der Zeit eines schon bröckelnden real existierenden Sozialismus hatte die Salzachmetropole aber noch mehr gemein: Die panische Generalmobilmachung gegen den ominösen inneren Feind erinnerte nicht von ungefähr an die demonstrativen Muskelspiele von Staatsgewalt, die beispielsweise das slowenische Ljubljana, wo es vor gut zwei Jahrzehnten jede Menge Punks gab, längst schon hinter sich gebracht hat.

Innerhalb der städtischen Sperrzone konnte man die meisten »Punker« im Lepi antreffen; außer verbotenen Kopfsprüngen von Beckenrand war aber nichts mit Randale. Jenes Häufchen von etwa 30 Bunthaarigen, das es (womöglich per »Luftbrücke«) in die Voralpenfestung geschafft hatte, gab sich, ganz korrekt in Badehosen, in der Glasenbachklamm Schwimm- und Pfadfinderfreuden hin, beobachtet aus dem Hubschrauber (!) vom Argusauge des Gesetzes. Auch andere SchülerInnen schlugen dort ihre Zelte auf, um von einem diensthabenden Organ gefragt zu werden: »Gibt's da welche von euch mit roten Haaren?« Zu Pfingsten war es verdammt problematisch, als Teil einer Jugendbewegung identifiziert zu werden, fand man sich doch alleinig »aufgrund des Aussehens« allzu leicht gemeinsam mit der Exekutive im rechtsfreien Raum. So konnte etwa ein in Salzburg lebender Zivildiener am Montag nicht zur Arbeit kommen, da er als potentieller Gewalttäter der Stadt verwiesen wurde. Die Kronen Zeitung verkündigte triumphierend: »375 Punker angehalten, 225 abgeschoben, 35 kurzfristig in Haft, vier landeten in Untersuchungshaft«; während sie Tage zuvor feststellte: »Salzburg ist eine Festung!«. Da stellt sich schon die Frage, ob dabei nicht einfach Salzburger Jugendliche aus der Stadt geschmissen wurden.

Dabei konnte man sehr gut beobachten, was in Politikern, der Exekutive und vor allem den SalzbürgerInnen so alles drinnensteckt, wenn das Halali zur allgemeinen Mobilmachung gegen gesellschaftliche Fremdkörper ertönt: Mit Eisenstangen bewaffnete Geschäftsbesitzer verschanzten sich hinter ihren verbarrikadierten Auslagen, Jugenderinnerungen auffrischende Pensionisten bewachten Häuserblöcke, und man entblödete sich sogar, das aus ernsteren Szenarien bekannte Wort »Luftbrücke« zu strapazieren. Und die im Vorfeld heftigst betriebene kleinformatige Lokalteil-Kriegsberichterstattung brachte in ihrer Verzweiflung sogar Gerüchte wie »Punker planten Attentat auf das Festspielhaus« als Untertitel. Fast mochte man annehmen, daß schlußendlich die Freude über den ausgebliebenen »Punker-Terror« (Kronen Zeitung) nur eine halbe Freude war.

In rührenden Szenen beklatschten Eingeborene die wackeren Beamten, die der potentiellen Gefahr trotzten: Salzburg als Helden-Platz. Wieso Tausendschaften von »Chaoten« tatsächlich in das Städtchen ohne nennenswerte Punk-Szene einfallen sollten, hat offenbar niemand so recht gefragt. Wahrscheinlich hatte ein V-Mann bei seiner teilnehmenden Beobachtung spät nächtens von Punks beim zweiten Doppler diese organisatorische Stammtisch-Heldentat aufgeschnappt. Und daß ein durchaus lustiges Flugblatt, das dank Karl »Mag-sein-daß-es-soziale-Ursachen-gibt« Schnell und der F überhaupt erst Verbreitung fand, auf dermaßen breiter Front tatsächlich wortwörtlich genommen und als Ansporn zur Generalmobilmachung gelesen wurde, zeigte höchstens, wie sich eine Gesellschaft vor der eigenen Jugend als einer potentiellen Bedrohung aus dem Inneren in die Hose macht. Selbst im Kleinen blieb da von Recht auf und Respekt vor Differenz, die beim letztjährigen European Art Forum immer wieder floskelhaft beschworen wurden, nicht viel über.

Landesrat Schnell konnte jedenfalls seinen Phantasien von »Verschwörung« und »Abschieben« freien Lauf lassen. »Skinheads, Punker und anderes lichtscheues Gesindel« dienten gleichsam als toleranzschwellenauslotendes Versuchsfeld für Law & Order-Politik und den nächsten »Ausländer«-Wahlkampf, als er in bester Sheriff von Nottingham-Manier »Einreiseverbot«, »Kennzeichnung durch einen Stempel im Paß«, »europaweite Registrierung«, »Sperre als Sozialhilfeempfänger« sowie für »alle staatlichen Universitäten und Ausbildungsstätten« und die »Bereitstellung von Schnellrichtern« forderte. Als sich dann bei seiner Pressekonferenz im Café Bazar Omis von Nebenan und potentielle Bürgerwehrmänner blendend mit den potentiellen GewalttäterInnen mit ihren Landfriedensbrecherfrisuren verstanden, brachte der Mann mit der schneeweißen Weste seine Gesinnung schnell auf niedrigere Touren.

Im großen und ganzen schienen die »Chaostage« spurlos vorüberzugehen und wirkten ein wenig wie ein äußerst gelungenes Projekt von Kunst im öffentlichen Raum. Zielführend war das polizeiliche Großmanöver jedoch allenfalls, besteht jetzt doch die einzigartige Möglichkeit, die Rechte Altstadt und andere neuralgische öffentliche Jugendtreffpunkte entgültig von störenden Elementen zu säubern. Dies kündigte auch der am Abend des Pfingstsamstag über die Bergstraße wachende Zivilbeamte Rudl B. (Name von Redaktion geändert) an. Und das Schnaitl, das die Punks herangezüchtet habe, müsse zusperren, meinte der Polizist, dem auch die in den letzten Tagen oftmals vernommene Idee vom Arbeitslager durchaus sympathisch erschien. Am 20.5. erklärte das mobile Einsatzkommando das Schnaitl kurzerhand zur Sperrzone und belegte harmlose BesucherInnen - etwa aufgrund einer blonden Strähne oder weil man ihnen die ausländische Herkunft eindeutig ansah - mit Lokalverbot (!) und distanzierte sich in seiner Vorgangsweise auch nicht ganz von der Gewalt. Die Jagdsaison ist eröffnet, auf daß die geschmackvollen neuen Straßenpflaster (»Fünfte Fassade«), für die man in den nächsten Jahren insgesamt rund 500 Millionen Schilling aufzubringen gedenkt, ja schön sauber und sicher bleiben. Bäh!