juni 1997

Ursula Rotter

Moderne Sklaven

Leiharbeit ist umstritten. Dennoch plant das AMS den Einstieg in diesen »Markt«

Die täglichen Nachrichten verkünden es unerbittlich: Der Arbeitsmarkt bricht zusammen, Billig-Lohn-Jobs nehmen überhand, die soziale Absicherung ist so schlecht wie nie zuvor - vor allem für Frauen und ältere ArbeitnehmerInnen. Da ist, so scheint's, jeder Ausweg aus der Misere recht. Und der Fluchtweg aus der Einbahnstraße »Sozialfall« hat ja auch einen klingenden Namen: »Arbeitsüberlassung« nennt sich so vornehm (und gesetzlich verankert), was andere schlichtweg als »moderne Form der Sklaverei« bezeichnen. Nämlich Leiharbeit.

Das »Arbeitsüberlassungsgesetz« (AÜG) ist noch relativ jung. Erst 1988 konnte sich der Nationalrat zu diesem einschneidenden Schnitt entschließen. Der massive Widerstand gegen das AÜG, der die Jahre davor geprägt hatte (selbst die wert-konservative »Presse« war der Meinung, Leiharbeit müsse verboten bleiben), war unter dem Druck des konjunkturellen Aufschwungs (und der Krise, in der die damals-noch-Sozialisten steckten) verschwunden. Arbeitsplätze allüberall, hoffte man.

Tja, natürlich wurden damals auch Arbeitsplätze geschaffen, zumeist allerdings Kurz- und Kürzestzeitjobs, vor allem am Hilfsarbeitssektor. Auf den wollen wir uns hier beschränken, denn ein/e vife/r FacharbeiterIn hat zumeist bessere Karten. Betrachtet man den Werdegang einer durchschnittlichen Hilfskraft, so ergibt sich folgendes Bild: Vor allem »stigmatisierte« Personengruppen, Rand- und Problemgruppen des Arbeitsmarktes, also Haftentlassene, ältere Arbeitslose und Frauen und Männer ohne Ausbildung, treten in Leiharbeitsverhältnisse ein. Konkret heißt das, sie bewerben sich aufgrund einer Anzeige in irgendeinem Medium als Hilfskraft. Und zwar bei einer »Personalbereitstellungsfirma«, wie beispielsweise ADIA, Manpower oder BC-Industriemontagen (ja, genau die, mit ihrem »Born to be wild«-Werbespot), um nur einige der derzeit 19 Firmen zu nennen, die im Bundesland Salzburg Arbeitskräfte »überlassen« (Zahl: Stichtagserhebung 1996).

Und jetzt beginnt die Situation etwas kompliziert zu werden: Die Leihfirma tritt die Arbeitskraft gegen Bezahlung an eine Beschäftigerfirma ab. Man bzw. frau, inzwischen zur »Ware Mensch« degradiert, verpflichtet sich, der Beschäftigerfirma Folge zu leisten. Arbeits- und sozialrechtlich bleibt er/sie aber der Leihfirma zugeordnet. Die Beschäftigerfirma ist lediglich verpflichtet, sich um den unmittelbaren Schutz am Arbeitsplatz zu kümmern. Ziemlich verfahren also, denn bei eventuell auftretenden Problemen hat der/die »HilfshacklerIn« plötzlich zwei Chef-Etagen.

Zudem nutzen Leih- wie Beschäftigerfirmen die unklare Situation weidlich aus. Die AK-Studie »Menschenmarkt - zur Praxis der Leiharbeit in Salzburg« beschreibt verschiedenste Mißstände, die die ProjektmitarbeiterInnen zum Teil am eigenen Leib erfahren mußten, als sie, ganz in Wallraff-Manier, für Leihfirmen arbeiteten. So wird ein Fall geschildert, in dem die MitarbeiterInnen nicht eimal den Stundenzettel sehen konnten, da diese direkt von der Beschäftiger- zur Leihfirma wanderte. Fehler in der Registrierung der Arbeitszeit wurden dadurch erst nach Auszahlung des Lohnes offensichtlich. Zu einem Zeitpunkt also, wo es kaum mehr möglich war, die tatsächlich geleistete Arbeitszeit zu beweisen - schlimmer noch, Widerstand wurde bestraft:»(...) daun kriag i in Lohnzettl, paßt wieder net. Ruaf i aun, sog, (...) do stimmt wos net. Hams ma 14 Tog obzogn.«

Aber auch mit der Versicherungspflicht nehmen es manche Leihfirmen nicht so ganz genau. ArbeiterInnen über das Wochenende oder Feiertage von der Sozialversicherung abzumelden ist durchaus üblich. Immerhin spart sich die Leihfirma so einige Kosten. Auch andere Schlupflöcher im System werden von den Leihfirmen genutzt. So wird vom Abwälzen der Stehzeiten auf die Krankenkassen berichtet: Die ArbeitnehmerInnen werden bei momentaner Nicht-Beschäftigung in den Krankenstand geschickt und somit die anfallenden Kosten auf die Krankenkasse abgewälzt. Erst bei Beginn der nächsten »Feuerwehraktion«, wie manche Überlasserfirmen ihr Arbeitsgebiet auch definieren, werden die Versicherungskosten wieder übernommen.

Es gibt aber auch Fälle, wo Stehzeiten einfach gar nicht bezahlt wurden und erst durch AK oder ÖGB gerichtlich erstritten werden mußten. Aber selbst bei Bezahlung der Stehzeiten werden die Arbeitskräfte schikaniert. Vier mal pro Tag, so will es ein »Merkblatt für Arbeitnehmer«, müssen die Arbeitskräfte persönlich mit einer »Bereitschaftskarte« im Büro aufkreuzen. Anrufen genügt nicht. Bei Nicht-Befolgung dieser Auflagen droht die sofortige Entlassung. Daß die Löhne knapp am Rand des Kollektiv-Vertrages liegen, für Frauen bisweilen sogar noch darunter - »den Gesetzen des Marktes entsprechend«, so ein Filial-Leiter einer Personalüberlasserfirma - kann man sich ohnehin vorstellen. Am bezeichnendsten ist vermutlich die Dauer der Arbeitsverhältnisse; 50 Prozent aller Frauen und Männer beendeten ihren Job nach spätesten 10 Tagen.

Bei all diesen Mißständen ist es nicht verwunderlich, daß Leihfirmen allgemein mit einem schlechten Ruf zu kämpfen haben. Die AutorInnen der AK-Studie gingen sogar soweit zu fordern, Leiharbeit wieder zu verbieten, da das Arbeitsüberlassungsgesetz »keine ausreichende Grundlage für einen konsequenten Schutz der LeiharbeiterInnen bietet. Es wird umgangen, ausgehöhlt und mißbraucht.«

Interessanterweise tauchen aber in regelmäßigen Abständen Projekte auf, die Leiharbeit vorsehen. So stellte das Land eine erkleckliche Summe bereit, mit der die Soziale Arbeit Ges.m.b.H. (SAG) eine Leasingfirma betreiben sollte. Grundidee: Ältere Langzeitarbeitslose sollten - auf diesem Umweg - wieder in den Arbeitsalltag eingegliedert werden. Dieses Projekt ist aber nicht zustande gekommen, da die zuständige Fachabteilung des Landes dagegen war und einen negativen Bescheid erteilte. Warum? Nun, man folgte der richtigen These von SAG-Geschäftsführer Markus Gstach, daß es »wenig Sinn macht, Menschen, die ohnehin bereits durch die Langzeitarbeitslosigkeit psychisch geschädigt sind, dem freien Markt und seinen Mechanismen auszusetzen.«

Das Arbeitsmarktservice (AMS) sieht das offenbar anders. Dort plant man derzeit eine solche Leasingfirma, ganz speziell für die Vermittlung älterer Langzeitarbeitsloser. Nur Arbeitslose des AMS sollen an Firmen vermittelt werden. Diese zahlen lediglich einen Tagsatz. Wie die Verträge dazu konkret aussehen sollen, weiß man allerdings noch nicht. Ende Mai, also nach Redaktions-Schluß dieses kunstfehlers, dürften im Landes-Direktorium die richtungsweisenden Beschlüsse fallen. Damit das Wiedereingliederungsprojekt, so ein hoffnungsfroher AMS-Mitarbeiter, »in der zweiten Jahreshälfte« starten kann. Auf die Frage, ob die Arbeitslosen mit so einem Modell nicht leicht erpreßbar werden, reagiert man entrüstet. Selbstverständlich würden nach Job-Ende die Arbeitslosen-Bezüge wieder ausbezahlt. Und von Sanktionierungsmaßnahmen wie der Streichung des Arbeitslosengeldes bei Ablehnung einer angebotenen Leiharbeit will man schon gar nichts wissen.

Ganz im Gegenteil: Voll Optimismus sieht man im AMS die ehemaligen Langzeitarbeitslosen tatkräftig zu ihrem neuen Brötchengeber schreiten - und fix dort bleiben.