juni 1997

Thomas Neuhold
kommentar

Privatisierung der Not

Das Sozialressort von LHStv. Gerhard Buchleitner (SPÖ) will per interner Weisung durchsetzen, daß künftig vor Auszahlung der offenen Sozialhilfe an in Not Geratene auch deren Kinder zur Unterstützung verpflichtet werden; nötigenfalls mittels Gerichtsbeschluß. Das mag auf den ersten Blick durchaus sympathisch erscheinen. Es ist nur menschlich, daß die Nachkommen ihre Eltern entsprechend den eigenen Möglichkeiten finanziell unterstützen. Es ist auch nicht einzusehen, daß Eltern eines Primararztes oder Bankdirektors auf die Sozialhilfe angewiesen sein sollen, da sie vom Kind keinen Groschen erhalten.

Primär soll die Aktion aber wohl helfen, das Sozialbudget mit einer Überwälzung von Kosten auf die Familien zu entlasten. Dazu müssen die Grenzen aber so weit hinuntergefahren werden, daß auch Durchschnittsverdienende herangezogen werden können. »Bankdirektoren« gibt es einfach zu wenige und sie kommen selten aus ärmlichen Verhältnissen. Bei einigen Familien dürften - nicht zuletzt durch die Nichteinrechnung von Schulden oder durch die immensen Kosten von Kinderbetreuungsplätzen - die finanziellen Auswirkungen dramatisch sein.

Neben den unmittelbaren ökonomischen Folgen dokumentiert der Erlaß, mit welcher Brutalität das Buchleitner-Ressort bereit ist, die Kosten der Not zu privatisieren. Die soziale Verantwortung wird vorerst auf die Nachkommen übertragen. Gesellschaftliche Realität ist freilich auch, daß sich die Familienverbände zusehends auflösen. Viele Kinder werden es darauf ankommen lassen, daß ihre Eltern den Unterhalt bei Gericht einfordern. Schon jetzt scheuen viele Anspruchsberechtigte den aus ihrer Sicht schmachvollen Gang zum Sozialamt. Die Hürde, die eigenen Kinder auf Unterhalt zu klagen, ist wohl noch höher. Die Alten bleiben letztlich über oder sie werden auf einen teuren Heimplatz abgeschoben, für den per Gesetz ihre Kinder keinen Beitrag leisten müssen.