juni 1997

Thomas Neuhold

Soziale Sippenhaftung

Zur Entlastung des Sozialbudgets sollen künftig Kinder ihre in Not geratenen Eltern finanzieren

Als im Jänner 1996 den LeiterInnen der sechs Salzburger Bezirks-Sozialämter eine interne Weisung des Sozialressorts der Landesregierung auf den Tisch flatterte, trauten die BeamtInnen ihren Augen nicht: »Unterhaltspflicht von Kindern gegenüber Eltern(teilen)...« lautet der vielversprechende Titel des Geheimpapieres aus dem Ressort von LHStv. Gerhard Buchleitner (SPÖ), das für eine schlichte Vollzugsanordnung ungewöhnlich ausführlich argumentiert, so, als ob man annahm, erst die eigenen BeamtInnen von der Rechtmäßigkeit des Vorhabens überzeugen zu müssen.

Vorsichtshalber beginnt der Erlaß mit dem Amtscode 3/01-41.635/408-1995 gleich einmal bei einem der Eckpfeiler des österreichischen Rechtssystemes, beim Allgemeinen Bürger- lichen Gesetzbuch (ABGB): »Gemäß § 143 ABGB schuldet das Kind seinen Eltern und Großeltern unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse den Unterhalt, soweit der Unterhaltsberechtigte nicht imstande ist, sich selbst zu erhalten, und sofern er seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind nicht gröblichst vernachlässigt hat.« Das Salzburger Sozialhilfegesetz (SSHG) wiederum folgt im § 7 auch diesem Gedanken des ABGB und legt fest, daß Sozialhilfe nicht zu gewähren ist, »soweit andere Personen oder Einrichtungen auf Grund gesetzlicher, statutarischer oder vertraglicher Regelung Hilfe leisten.« In diesem Fall eben Kinder, die laut ABGB verpflichtet wären, ihre Eltern zu erhalten.

Bis Anfang 1996 wurde diese Bestimmung nur in bezug auf die EhegattInnen, die geschieden Ex-PartnerInnen und die Eltern potentieller Sozialhilfeempfänger angewandt. Nach dem Erlaß aus dem Ressort Buchleitner soll nun das Gesetz auch bei den Kindern von Hilfesuchenden greifen: »Bei der Ermittlung der Hilfsbedürftigkeit Sozialhilfeanträge einbringender Personen hat die zitierte Bestimmung bei Vorhandensein verpflichteter Nachkommen Berücksichtigung zu finden...«. Allerdings nur im Bereich der offenen Sozialhilfe. Das SSHG legt nämlich eindeutig fest: »Der Kostenersatz im Rahmen der Sozialhilfe entfällt für Kinder gegenüber in Alten-, Pflegeheimen und Pflegestationen untergebrachten Eltern« (§ 44).

22 Prozent des Nettoeinkommens

Nachdem auch die Bestimmung im ABGB zu den zahlreichen kaum exekutierten Rechtsnormen gehört, fehlen entsprechende gerichtliche Entscheidungen. Von einer über Richtwertsätze klar geregelten Staffelung wie etwa bei Unterhaltsverpflichtungen von Müttern und/oder Vätern gegenüber ihrem Nachwuchs ist schon gar keine Rede. Also hat sich die BeamtInnenschaft des Landes ein kompliziertes Rechenmodell zusammengeschustert. Dabei werden dem Familieneinkommen die Wohnungskosten, Unterhaltsverpflichtungen gegenüber eigenen Kindern und der zweifache Sozialhiferichtsatz (der einfache liegt derzeit bei knapp 4.800 Schilling) gegenübergestellt. Kraftfahrzeuge oder allfällige Kreditraten werden nicht eingerechnet. Verschuldete können da ziemlich schnell ziemlich alt aussehen.

Die Ergebnisse solcher beamteter Zahlenspiele haben’s dann in sich: Demnach müßte beispielsweise der einzige Sohn - bei mehreren Kindern wird die Belastung entsprechend deren Einkommen anteilig aufgeteilt - eines/einer AntragstellerIn mit einem Nettoeinkommen von 16.000 Schilling, einer Ehegattin mit 15.000 Schilling monatlich, relativ geringen Wohnungskosten und zwei gemeinsamen Kindern für seine in Not geratene Mutter oder den Vater monatlich 22 Prozent des Einkommens also rund 3.500 Schilling berappen. Bei einem Nettoeinkommen von 25.000 Schilling, einem einkommenslosen Partner und einem Kind beträgt die monatliche Unterhaltsleistung des Sohnes/ der Tochter an Mutter oder Vater über 3.800 Schilling.

Eltern klagen Kinder

Die sechs Sozialämter - bei den fünf Bezirkshauptmannschaften und beim Magistrat der Landeshauptstadt - schwiegen und schweigen zwar nach außen beharrlich, legten aber vorerst die interne Weisung auf Eis. Sie versuchen seit eineinhalb Jahren, amtsintern die Vollzugsanordnung zu kippen. Schon jetzt sei man mit der aufwendigen Überprüfung der Unterhaltsansprüche eines/r SozialhilfeantragstellerIn gegenüber GattInnen, ge- schiedenen PartnerInnen und den Eltern am Rande der Kapazität, wird argumentiert. Die soziale Sippenhaftung mit ihrem komplizierten Berechnungssystem sei nicht vollziehbar, es fehle an Personal, selbst die notwendige EDV sei nicht vorhanden. Vor allem aber würden die Ämter immer weiter in die Rolle einer Behörde gedrängt, die ausschließlich ermittelt. Eine Aufgabe, für die sie nicht gerüstet seien. Letztlich seien die Gerichte für die Unterhaltsberechnung und die Durchsetzung dieser zuständig, meinen die Sozialhilfe-VollzugsbeamtInnen.

Auf jeden Fall gerichtsanhängig wird die Sache aber, wenn Söhne und Töchter nicht zahlen. Nach Meinung des Sozialressorts müßten dann die Sozialämter die Hilfesuchenden zu Gericht schicken, damit diese ihre Kinder auf Unterhalt klagen. Ein Ablauf, der nicht sehr wahrscheinlich scheint, ist doch für viele Anspruchsberechtigte schon der Gang zum Sozialamt eine enorme psychische Überwindung. Dann erst die eigenen Kinder klagen...?

Einige erste Tests geben jenen BeamtInnen recht, die von »Sozialhilfevermeidung« sprechen und glauben, daß sich viele Notleidende dann eben nicht mehr ans Sozialamt wenden. Im Pongau beispielsweise hat eine Pensionistin und Mutter von drei Kindern um Sozialhilfe angesucht. Die Berechnung laut dem Erlaß von 1996 hat ergeben, daß die Frau ausschließlich von ihren drei Kindern zu erhalten sei. Die Berufung der Söhne gegen diesen Bescheid wurde vom Unabhängigen Verwaltungssenat abgeschmettert. Zwei Monate später hat die alte Frau von sich aus auf alle Sozialhilfeansprüche verzichtet. Ob sie von ihren Kindern überhaupt einen Groschen sieht, ist ebensowenig geklärt wie die Frage, ob sie im Fall des Falles ihre Kinder auf Unterhalt klagen würde.