jänner-februar 2000

Didi Neidhart
titel

Militante Vernunft Now!

Wie eine Politisierung der Kulturpolitik zur Politisierung der Politkultur führen könnte

So paradox es auch erscheinen mag, dass ein Wort wie »Gemütlichkeit« ausgerechnet durch Arnold Schwarzenegger in den Us-amerikanischen Wortschatz eingeführt wurde, so fassungs- und planlos stehen viele vor der Tatsache, dass die Termination dieses begrifflichen Österreichklischees scheinbar einzig und allein von Haider und der FPÖ bewerkstelligt wird. Wie ist es möglich, dass die Demontage dieses harmoniegeilen »I Am From Austria«-Gemütlichkeitsgedudels einer autoritären Rechtsaußenpartei überlassen wird und nicht von anderer Seite (etwa den Grünen oder das, was als linker Stutzflügel in der SPÖ noch übrig ist) aus demokratiepolitischen Überlegungen unternommen wird?

Diese Fragen sowie Analysen, warum es speziell in Österreich so ist wie es ist, und welche (kultur-) politischen Strategien dagegen zu entwickeln wären. bilden auch den Kern des aktuellen Sammelbandes »Das Ende des Josephinismus. Zur Politisierung der österreichischen Kulturpolitik« (edition selene 1999) des in Wien lebenden Philosophen und Autors (u.a. Kulturrisse) Oliver Marchart.

Äußerst pointiert und mitunter provozierend wird darin nicht weniger als die Repolitisierung der (Kultur-)Politik in Österreich eingefordert. Denn, so Marchart, »im internationalen Vergleich ist Österreich das Musterland des Neokorporatismus. Dieser dreiteilige Kompromiss zwischen Staat, Wirtschaft und Arbeit kennt keine politischen Gegner, sondern nur Partner im vorpolitischen Feld. Daher gibt es auch keine Streiks in Österreich«.

Die Wurzeln dieser »konfliktunfähigen, sozialpartnerschaftlichen Konsensideologie« lassen sich dabei bis zur Regentschaft von Joseph II. zurückverfolgen. »Aufklärung hat in Österreich nur als aufgeklärter Despotismus oder Aufklärung-von-oben bei gleichzeitigem Verdacht-gegen-unten stattgefunden. Da der Zivilgesellschaft die Fähigkeit zur Selbstaufklärung nicht zugetraut wurde, konnte sich auch keine Befähigung zur Demokratie entwickeln. Stattdessen gab es einen - auch sozialpädagogisch motivierten - josephinische Sozialvertrag, der in der Ära Kreisky seinen Höhepunkt erreichte und sich durch staatliche Verordnungen, bürokratische Verwaltung und sozialpartnerschaftliche Verhandlungen extrem depolitisierend ausgewirkt hat.«

Dieser »josephinische Sozialvertrag« ist nun aber nicht mehr gültig. Der Staat verabschiedet sich immer mehr von Konzepten wie »Wohlfahrt«, setzt stattdessen auf das sozialdarwinistische Primat einer neoliberalen Ökonomie und die einzige »Politik«, die sich noch ausmachen lässt, scheint ausschließlich von Rechts zu kommen. Also alles wieder retour und back to the sunny Seventies? Das wäre jedoch genau die falsche Alternative. Marchart: »Gerade in den Rissen und Spalten, die sich jetzt auftun, werden neue Modelle konzipierbar. Es geht nicht um utopische Hirngespinste, sondern um Gegen-Strategien und Alternativen, die real existieren und ausgeschöpft werden können.«

Gerade die Kulturpolitik hätte jetzt die Chance, sich neu zu legitimieren und zu begründen, und als »politische Kultur« die Funktionsweise des politischen Systems zu beeinflussen. Diese »Politisierung der Kulturpolitik« als Voraussetzung einer »Politisierung der Politkultur« fordert aber auch von den Kunst/Kultur-AktivistInnen um einiges mehr, als sich nur mit politischer Rhetorik zu schmücken und die etwas »coolere Terminologie« zu verwenden.

Es geht daher nicht nur um eine Politik, die sich als »Umgang mit der fundamental antagonistischen, also konflikthaften Verfasstheit von Gesellschaft« versteht, sondern auch um eine erweiterte Definition von »Kulturpolitik« und einen »alternativen Begriff von Effizienz« jenseits ökonomischer Abwägungen. Um eine »Kulturpolitik, die Kultur weder dem Markt überlässt, noch in sie hineinregiert« und bei der Effizienz »demokratiepolitisch«, d.h., im Sinne der Ermöglichung einer »durchdringenden Demokratisierung der Politkultur« verstanden wird.

Aus diesen Vorgaben entwickelt Marchart aber auch konkrete Vorschläge bezüglich der Förderungswürdigkeit von Kultur. Diese müsse »Räume für kritische Öffentlichkeiten herstellen«, sich als Ort öffentlich ausgetragener und geäußerter Diskurse verstehen und dürfe keine Zugangsbeschränkungen aufweisen.

Das nötige Geld dafür wäre jedenfalls da. Es müsste halt nur der Spieß umgedreht und Kriterien wie Effizienz oder Umwegrentabilität anstatt auf die freie Kulturszene auf die kommerzielle Unterhaltungsszene angewandt werden. Wenn sich ein Sisi-Musical oder der »Musikantenstadl« nicht auf dem freien Markt halten können, so Marchart, »sollte dieser Umstand nicht auch noch durch Kulturbudgets querfinanziert, sondern ausschließlich vom Tourismusverband oder der Familie Habsburg gefördert werden«.