september-oktober 1997

Doc Holliday
gelesen

Der alte Mann und die Schießapparate

Zum Tod des BEAT-Poeten WILLIAM S. BURROUGHS »In den USA muß man ein Abweichler sein, sonst stirbt man vor Langeweile« (W.S. Burroughs)

Burroughs war der (Über)Vater aller Nonkonformisten, die Autorität und Leitfigur der Gegenkultur in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Gestorben ist er nun trotzdem. Nicht aus Langeweile oder, wie viele vermutet hätten, an einer Überdosis: eine »stink- normale« Herzattacke beendete das Leben des 83jährigen am 2.8.97. Die Spritze hatte er (angeblich) schon vor Jahren abgegeben, nun war der Löffel an der Reihe. Der zähe alte Mann war jahrzehntelang heroinabhängig. Als »Böser Onkel Bill« verwandelte er seinen Körper in ein wandelndes Laboratorium, um die Wirkungen von ziemlich allen bekannten Rauschdrogen zu erforschen. Sein Blick auf die Substanzen war nüchtern und emotionslos, ohne Verklärung und mystische Weihe. Sie waren für ihn eine Metapher für Transformation und ein Kontrollsystem. »Kontrolle« und »Paranoia« sind die Schlüsselworte zu seinem Kosmos. Erstere bekäpfte er lebenslang, letztere zelebrierte er. Seine wüsten Text-Labyrinthe mischten die unterschiedlichsten Gattungen, und die Wort- und Tonmontagen (Cut-Ups) halfen nicht nur bei der Entstehung des Dub (»Wild Bill« reiste 1965 nach Jamaika und traf dort u.a. King Tubby und Lee Perry!), sondern dienten als Kampfmittel gegen die »Kontrolle«. Ansonsten verließ er sich auf Handfesteres: Gegen die Paranoia verschrieb ihm ein guter Doc schon mit 14 Schießgewehre aller Art. Nun trauert die Fachzeitschrift »American Rifleman« um einen treuen Abonennten, die moderne Kunstwelt und die Cops um einen genuinen Outlaw und wir um ein revoltierendes Individuum, das auf der Suche nach der absoluten Freiheit sich auch in manche Widersprüche verwickelte, dabei aber immer integer und interessant blieb.