september-oktober 1997

Doc Holliday
gelesen

ECKHARD HENSCHEID/GERHARD HENSCHEL/BRIGITTE KRONAUER:

»Kulturgeschichte der Mißverständnisse«. Reclam Verlag Stuttgart 1997

Womöglich ist die gesamte Kultur, so deutet es Freud an, ja ein Mißverständnis. Sicher aber gilt für einen Großteil der geistigen Hervorbringungen: sie werden falsch zitiert und fehlerhaft interpretiert. »So gründet sich, milde gerechnet, die halbe Kulturgeschichte auf Mesalliancen, Fehlprojektionen, Interaktionsdefizite und Mißdeutungen...« (Henscheid). In 125 Kapiteln versammeln die drei AutorInnen (Henscheid, Henschel, Kronauer) die Spitzenfehlleistungen. Der Bogen reicht von Wagner über Sokrates zu Einstein und Darwin, von Adorno über Baudrillard zu Mitscherlich und Freud. Besonders erhellend auch die Beiträge zu Borchert, Bergmann, Fellini und Jünger; bei Adolf Hitler eröffnet sich das Problem, daß sehr unsicher scheint, ob er überhaupt zur Kultur(geschichte) zu zählen sei; bestenfalls »als deren äußerste Widerlegung, nämlich als ihre erstaunlich simple und fast kampflose Rückführung in eine Formation, für die der Name Barbarei eigentlich glatter Euphemismus ist.« (Henscheid). Andere Abschnitte behandeln z.B. Hör- und Lesefehler, unklare Trennungen oder falsch gebrauchte Wörter. Einige Ergänzungen zum Kapitel »Nomen (non) est semper omen« sind an dieser Stelle unbedingt nötig: so fehlt der deutsche Arbeitgeberpräsident Hundt, der ja wirklich ein bissiger Dobermannpinscher und Kettenhund des reichsdeutschen Großkapitals ist. Desgleichen vermißt man das völkisch-bayerische Ur-(und Auer)gestein Peter Gauweiler, der sicherlich den Anspruch erhebt, wenigstens einige Gehöfte seines Gaus kommandieren zu dürfen. Weiters deutet alles darauf hin, daß »Stand- ortenführer« (Zitat Friedrich Küppersbusch), Minister und Wirtschaftskommissar Rexrodt mehr von den Fleischerhunden, den Rod(t)tweilern an sich hat. Gewiß aber ist nur: der Hund steckt oft im Detail, wenn er nicht gerade an der Kette zieht! Haben wir uns (miß)verstanden?!