september-oktober 1997

Anton Gugg
geschaut

Helmut Grill - Objekte mit der Kraft des Faktischen

Er verwendet Materialien, die anderen nur in außerkünstlerischen Zusammenhängen geläufig sind und nimmt sich als »gestaltender« Artist dabei zu weit zurück, sodaß manche seiner Arbeiten für Maschinen-Bestandteile gehalten und daher leicht übersehen werden könnten: Kunst, Objekte unbekannter Funktion oder bloß Produkt-Design - das ist eine Frage, die höchstens haarspalterische Betrachter, nicht aber den jungen Ex-Maler, Plastiker und Objekte-Macher Helmut Grill (32) zu hamletischen Grübeleien anregt.

Für den hauptsächlich außerhalb der Stein- und Holzbildhauer-Zentrale Salzburg beachteten Metall- und Gummiverarbeiter Grill ist der Crash »unverträglicher« Stoffe durchaus ausreichender inhaltlicher und ästhetischer Sprengstoff. Er zwingt Hart und Weich, Unveränderlichkeit und Nachgiebigkeit formal wahrlich stringent zusammen. Es entstehen dann hochkomprimierte, absolut schnörkellose, dialektisch strukturierte »Zeichen« an der Wand, in der Landschaft, im Vorgarten oder wo auch immer. Verkehrssignale sind im Vergleich zu diesen lapidaren Hänge- Lehn- und Stehobjekten aus Grills Werkstatt geradezu von barocker Üppigkeit und undurchschaubarer Vieldeutigkeit.

Genau diese geometrische Eindeutigkeit der Arbeiten, die kompromißlose Reduktion auf ein einziges sinnliches Gegensatzpaar, irritiert »anspruchsvolle« Kunstmenschen, die um ihr gutes Geld etwas sehen wollen und sich ohne Drumherum und vor allem ohne nachvollziehbare Spuren schweißtreibender Künstlerarbeit getäuscht fühlen und hypercoolen Konzeptionen grundsätzlich den Kunstwert absprechen.

Handwerks-Gläubige werden von diesem minimalistischen Künstler nicht bedient. Es genügt Grill, einen Lappen grellfarbigen Kautschuks zwischen ein Stahlplattenpaar zu klemmen, bis es »geil« durch Löcher und über Kanten quillt. Seine »Wächter« sind nichts anderes als Gummistücke im »Schraubstock« zweier schmaler Stahl-Lamellen - und doch geht von diesen kalten, ragenden Malen, ein stark erotischer, wenn man will -phallischer- Reiz aus. So wenig materiellen Aufhebens ist nötig, um ein eindeutig-mehrdeutiges Rufzeichen in den Raum zu setzten.

Grill hat als Maler begonnen, aber sehr bald sollte ihn die pure Frabe langweilen. Von collage-artigen Materialerprobungen in den Grenzen des Tafelbildes war es ein kurzer Schritt zu den Metall/Gummi -Objekten mit starker bildhafter Wirkung und weiter zu den »armen«, aber erhabenen Stahl-Stelen.

Jetzt beschäftigt den Künstler die reine, vorgefundene Wirklichkeit und deren »Magisierung«. Grill taucht simple Natur- und Alltagsgegenstände in eine starkfarbige Gummi-Suppe und »versteckt« sie zum Anschauen und zur heilenden Entnahme in Notfällen in verglaste Schaukästen - eine mittelalterliche bis barocke Reliquiar-Ästhetik. Die Alten haben ihre verehrten Heiligenknochen mit Brokat und Juwelen überzogen - Grill verpaßt seinen Totenschädeln, seinen Waffen und einfachen Seilstücken eine hauchdünne Latex-Schicht. Der Effekt, nämlich die Ver- und Enthüllung und der in der sinlichen Paradoxie begründete Schrei des Objektes nach Berührung, ist derselbe.

Grill kann in einer Stadt der Standbildner und Schnitzer kaum mit viel Gegenliebe rechnen. Sein ausgeprägter Sinn für schlichte, aber unwiderlegbare materielle Tatsachen und sein »Puritanismus« verbindet ihn mit Amerika. Wie manch anderer hier »übersehene«, nicht in die Lokaltradition passende Salzburger Künstler plant Helmut Grill den Absprung nach New York. Für viele ein unbedeutender Ort außer Sichtweite.