september-oktober 1997

Didi Neidhart

»Stilistisch nicht einfach«

Anläßlich der Veröffentlichung des neuen Attwengerwerks »Song« sprach der »kunstfehler« mit dem Linzer Duo Markus Binder und Hans-Peter Falkner

Die Sache mit den Erwartungshaltungen und den Brechungen derselben ist ja im Grunde mit einem windigen Hund vergleichbar. Auch das Brechen kann Erwartungen erfüllen, die ohne Unterbrechungen locker zur Tagesordnung übergehen lassen. Das war vielleicht auch mit ein Grund, warum sich Attwenger im Herbst 1995 nach einer Sibirien-Tournee und der Prämiere des »Attwengerfilms« aufgelöst haben. Knapp zwei Jahre später präsentierten sie sich als irritierend-faszinierende Trickster jenseits stilistischer Festschreibungsmöglichkeiten. Viel eher legen sie diesmal hundsgemeine, falsche Fährten, orientieren sich dabei stark an Arbeitsweisen wie sie vom elektronischen Dancefloor-Sektor (Techno, Drum & Bass, Dub-Reggae) her bekannt sind und dürften damit nicht nur den »Neue Volksmusik«-Bierzelt-Adepten quer im Hals stecken bleiben.

• Binder: »Wir haben für die große Fraktion der Neue Volksmusik-Zuordner einfach gut gepaßt. Wenn du Quetschen-Sound und Dialekt-Gesang hast, ergeben sich halt Ähnlichkeiten und du wirst, auch wenn du komplett anders damit ungehst, in Zusammenhängen erwähnt, die alles andere als lässig sind. Wir haben diesbezüglich natürlich auch selber einiges ausgelöst, aber dieses Thema ist für uns längst erledigt war und für »Song« eigentlich unbedeutend.«

• Falkner: »Wir haben einen Quetschnbaß, wie ihn sonst keiner verwendet. Du merkst schon, daß es ein Luftinstrument ist, aber es ist nicht wirklich als typische Quetschn erkennbar. Diese ganze Neue Volksmusik-Sache ist sowieso ein Schaß. Das meiste ist volkstümliche Popmusik für den Musikantenstadl. Nimm nur das »Hiatamadl«. Wie ich das Stück vor Jahren in einer alten Volksmusiksammlung entdeckt habe, waren mir der Text und die Musik einfach zu deppert, um auch nur irgendetwas damit zu versuchen. Aber aus solchem zweitklassigem Material werden dann die großen Hits der Neuen Volksmusik gemacht.«

Neben dem Umstand, daß es auf »Song« nur drei Stücke á 15 Minuten gibt, fällt vor allem auf, daß die musikalischen Einflüsse zwar irgendwie annähernd benennbar, aber nicht wirklich greifbar sind. D.h., ich weiß eher, daß es sich bei »Ged Wer« um eine Art handgestrickten Jungle-Dub-Groove handelt, als daß ich ihn wirklich als solchen höre. Ähnliches passiert auch mit der Quetschn, wenn sie wie bei »Hodadau« als schwerer Dub-Baß in einem Panoramasound daherkommt - ich kann den Sound, den ich höre, zuerst überhaupt nicht identifizieren. Gelingt dann aber eine Identifikation, seid Ihr im Stück schon wieder ganz woanders.

• Binder: »Ich denke mir ja auch immer, was ist das nur für eine eigenartige Musik, deren verschiedene Bestandteile nicht mehr klar zuordenbar sind. Ein paar Musikexperten meinten ja gleich, das sei jetzt unser Konzept für den Pop-»Song«, den wir jetzt als Viertelstunden-Ding definieren. Dabei gibt es in der österreichischen Volksmusik nicht weniger 15 Minuten-Stücke wie im Techno oder auf Haiti. Permanenz ist kein regionales Ding, schon eher ein philosophischer, sozialer Gedanke. Es geht ja auch um Veränderungen, um Wechsel. Unsere Musik steht ja auch immer anders zu den gesampelten Rhythmus-Loops, wodurch wiederum interessante Verschiebungen entstehen. Die schlängelt sich um und durch sie herum. Das hörst du aber weniger, als daß du es spürst. Bei guten Technostücken gibt es diese kleinen, fast unmerklichen Veränderungen. Am Schluß landest du dann immer ganz woanders. Aber diese Veränderungen werden nicht erzählt, sondern erlebt. Deshalb hat auch die Länge ihre Begründung: Es geht um permanente Veränderungen und Wechsel.«

• Falkner: »Im Prinzip bestehen die Stücke aus lauter kleinen Stücken, die wir zusammenflechten. Das ergibt dann das Stück. Das Spannende daran ist ja, daß die Stücke, auch wenn sie strukturiert erscheinen, sehr offen gehalten sind. Ein Quetschnbaß-Teil kann live je nach Stimmung unterschiedlich lang dauern oder auch gar nicht gespielt werden. Sowas geht aber nur, wenn du dir durch Reduktionen Freiräume offenhältst.«

Hat sich deshalb auch die Funktion der Quetschn in Eurem musikalischen Gesamtkonzept verändert? Verglichen mit früheren Attwengerstücken ist ihre Präsenz ja eher in den Hintergrund gerückt worden, wo sie für komische Feedback-Sounds und verfremdete Baß-Lines zuständig ist.

• Falkner: »Das stimmt schon. Aber es hat diesmal auch nicht mehr gebraucht. Das hätte dann alles wieder zugekleistert.«

• Binder: »Die Stücke haben ja auch alle ihre Durchlauf- und Erprobungsstadien hinter sich, wobei vor allem Sachen rausgeschmissen und verworfen wurden. Live sind sie jetzt sogar noch zusammengeschliffener. Alles, was die Songs ausmacht - Grundkonzept, Tempo, Melodien, Sounds -, verändert sich durch die Zeit und das Spielen. Es gibt ein paar klare Parameter, die ausgelotet werden. Da wird dann herumprobiert, was drinnen ist. Auf »Song« geht es auch darum, mit den Stücken verschiedene strukturelle Konzepte vorzustellen. Die CD zeigt bei jedem Stück auch nur eine bestimmte Art von Kombinationsmöglichkeiten. Das ist im Prinzip endlos fortsetzbar. Deshalb denken wir auch an Remix-Arbeiten von befreundeten DJs.«

Trotzdem Ihr die Stücke Live eingespielt habt, entsteht aber nie der Eindruck eines munteren Drauflos-Jammens, bei dem sich dann glückliche Zufälle und Blindgänger die Waage halten. Viel eher zeichnen sich die Stücke durch strukturelle Stringenzen aus, die nicht unerheblich dazu beitragen, daß Eure Musik jetzt regelrecht hypnotische Sogwirkungen produziert, die einen direkt in die einzelnen Stücke reinzusaugen scheint.

• Falkner: »Ich mochte schon immer die 23 Minuten-Version von »Sympathy For The Devil« vom Hyde Park-Concert der Rolling Stones. Da wird zuerst nur 5 Minuten lang der Grundbeat getrommelt, und genau dadurch wirst du eben in den Song reingezogen. Alles andere ist dann nur noch Ausschmückung. Aber du entdeckst auch die Struktur dahinter. Unseren Stücken liegt ja auch eine Art Abfolgeplan zugrunde, weil du bei langen Stücken besonders darauf achten mußt, daß der Aufbau stimmt und die Spannung erhalten bleibt. Aber wenn wir zwei die Instrumente zur Hand nehmen, entsteht eine Art unsichtbarer Chemie. Die hat Geschichte und bringt auch aktuell Eigenartiges zustande. Da passieren Sachen, auf die du erst draufkommst, wenn du dir das Tape zu Hause anhörst.«

Die Akzentverschiebung hin zu Rhythmik und Struktur zugunsten von Melodien hat bei Euch aber auch zu textlichen Reduktionen geführt. Manchmal wird nicht mehr als ein Satz beinahe mantraähnlich wiederholt, wobei nicht nur die Sprache in fremde Zungen übergeht und sich Wörter und Bedeutungen verselbstständigen können, sondern auch zusätzliche Rhythmen über den Gesang mit ins Spiel gebracht werde. Wie kam es zu dieser Entwicklung?

• Binder: »Es wurde textlose, stark rhythmische Musik wie Techno, Drum & Bass und Dancefloor immer interessanter. Uns ging es bei »Song« um eine Musik, bei der die Texte nicht als Erzähung oder literarisches Beschreibungsding auftauchen, sondern eine neue Funktion, adäquat zum Rhythmus, erfüllen. Es ist ein interessantes Manöver, die Bedeutungen von Alltagsbegriffen und sprachlichen Belanglosigkeiten abzuchecken und abzutesten. Durch die ständigen Wiederholungen enstehen dann eigene Qualitäten, Verdopplungen, ein Delay im Denken.«

Danke für das Gespräch!