september-oktober 1997

Thomas Neuhold
leitartikel

Vielschichtige Kinderfeindlichkeit

Gewalt gegen Kinder, Mißbrauch und Kinderpornos - drei Themen, die in den vergangenen Jahren mit immer größerem Nachdruck öffentlich gemacht wurden. Während die Empörung über einzelne Verbrechen, über zu Tage geförderte kranken Seiten unserer Gesellschaft - zu Recht - groß ist, bleiben alle anderen Facetten der Kinderfeindlichkeit unserer Gesellschaft medial ausgespart. Große Medien gehorchen eben nur dem voyeuristischen Gesetz von Quote und Auflage.

Die Rechte der Jüngsten ernst zu nehmen hieße beispielsweise, Fragen nach der Lebensperspektive jener zu stellen, die in soziale Ghettosituationen, in Not und Armut hineingeboren werden, ohne Spiel- und Entfaltungsmöglichkeiten, ohne Förderung und ohne Chancen auf Bildung. Die Rechte der Jüngsten ernst zu nehmen hieße eben auch, Fragen nach der strukturellen Gewalt gegen Kinder - damit oft auch gegen ihre Eltern - zu stellen.

Kinderpolitik ist zwar nicht gleichzusetzen mit Familien- und Erwachsenenpolitik - zu unterschiedlich sind die (Schutz-)bedürfnisse -, in vielen Bereichen gibt es aber logische Kausalzusammenhänge. Die Palette reicht von den Arbeitsbedingungen im Gastgewerbe, den für Handelsangestellte familienfeindlichen Ladenöffnugszeiten über die AusländerInnengesetzgebung bis zum Rüstungsetat. Es ist mehr als nur billige Polemik, zu fragen, wessen Staat das ist, der zig Milliarden für neue Kampfflugzeuge aufbringt, während eine lächerliche Milliarde für Kinderbetreuungseinrichtungen zum jahrelangen Streitthema in der Regierung wird.

Dann auch noch die Pensionsfrage mit der bis zum Pensionsantritt erreichten Kinderanzahl - eine Art »Wurfprämie«? - in Zusammenhang zu bringen, wie dies aus dem Eck der ÖVP zu vernehmen war, ist menschenfeindlich.

Der Tabubruch in Sachen Gewalt und Mißbrauch war - trotz aller Vorbehalte ob der Art der Berichterstattung - längst überfällig. Der Vielschichtigkeit der Kinder- und damit der Menschen- und Lebensfeindlichkeit unserer Gesellschaft wird diese Thematik allein nicht gerecht.