september-oktober 1997

Ursula Rotter
titel

»Demokratie ist nicht nur für die Großen da«

Schon gewußt? Es gibt eine Kinderrechtskonvention

Die 11jährige Sonja hat es ziemlich auf den Punkt gebracht: »Die Demokratie ist nicht nur für die Großen da...«. Eine Selbstverständlichkeit möchte man meinen. Mitnichten. Auch nicht im europäischen Musterland Österreich. Denn die insgesamt 54 Artikel der Kinderrechtskonvention (KRK) der Vereinten Nationen wurden 1992 von Österreich nur vorbehaltlich ratifiziert. Das bedeutet, daß dieser völkerrechtliche Vertrag in der innerstaatlichen Rechtsordnung nicht unmittelbar anwenbar ist, sondern erst durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist. Durch diese »spezielle Transformation« gilt die UN-Konvention im Rang eines einfachen Bundesgesetztes (kein Verfassungsgesetz). Bei Beschwerden oder einer Feststellung von Mängeln kann sich der einzelne Bürger/ die einzelne Bürgerin nicht direkt darauf berufen, sondern nur auf den Inhalt der innerstaatlichen Rechtsvorschriften. Leider. Denn noch immer gilt in der österreichischen Rechtssprechung ein Kind unter 18 als »Objekt«. Und Objekte werden eben nicht besonders wichtig genommen.

Dabei gelten bei der UN-Konvention über die Rechte des Kindes neben den allgemeinen Rechten (ein angemessener Lebensstandard, Bildung, Gesundheit) vor allem drei Prinzipien:

Diskriminierungsverbot: Der Artikel 2 legt fest, daß »Die Vertragsstaaten (die KRK, Anm.) (...) jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehendem Kind ohne jede Diskriminierung (...)« achten und gewährleisten.

Das Kindeswohl hat Vorrang: Artikel 3 fordert, daß »das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt (ist), der vorrangig zu berücksichtigen ist.«

Partizipation und Mitbestimmung: Laut Artikel 12 stünde jedem Kind, das fähig ist, seine Meinung zu bilden, »das Recht zu, diese (...) in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern (...)« und zu berücksichtigen.

Natürlich kann in einem Rechtsstaat wie Österreich nicht behauptet werden, die Kinderrechte würden regelrecht mit Füßen getreten. Besonders beachtet werden sie in einigen Fällen allerdings nicht. So widerspricht beispielsweise das erst kürzlich novellierte Sozialhilfegesetz ganz massiv dem absoluten Diskriminierungsverbot der KRK. Der Zugang zur Sozialhilfe und somit die Sicherung eines minimalen Lebensstandards wird Kindern nicht-österreichischer Eltern nur unter erschwerten Bedingungen ermöglicht. Aber laut der UN-Konvention hat jedes Kind, das der Hoheitsgewalt des Staates untersteht, »unabhängig von der Rasse, der Hautfarbe,dem Geschlecht, der Sprache, der Religion, (...), der nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft« oder einer Behinderung die gleichen Rechte. Und damit auch ein Recht auf Sozialhilfe. Oder Pflegegeld. In Österreich ist auch der Bezug von Pflegegeld an die österreichische Staatsbürgerschaft gebunden. Lebt aber nun ein behindertes ausländisches Kind in Österreich, so hat es und seine Familie, ganz gleich, warum und wie sehr es behindert ist, kein Recht auf materielle Unterstützung. Schiffbruch auf der Insel der Seligen?

Für die rund 134.000 in Österreich lebenden ausländischen Kinder (Basis: Volkszählung 1991) ist es nicht gerade selbstverständlich, daß ihr Wohl Vorrang hat. Denn sie leben zumeist in schwierigen Verhältnissen. Sie bzw. ihre Eltern verfügen über ein geringeres Einkommen. Sie haben nicht den gleichen Zugang zu Bildung, da Deutsch eine Fremdsprache ist, die sie erst mühsam erlernen müssen. Und neben allerlei Vorurteilen müssen sie auch noch mit einer ungewissen Zukunft fertigwerden: Darf ich hierbleiben, in einem Land, das mittlerweile zu einer Art Heimat geworden ist, oder werde ich irgendwann wieder abgeschoben?

A propos. Gerade hat Innenminister Schlögl beschlossen, die Heimkehraktion für die vielen Ex-Jugoslawien-Flüchtlinge nicht zu verlängern. Dieser Entschluß kann zu äußerst grotesken Situationen wie der folgenden führen. Ein 14jähriges Mädchen wird an der grünen Grenze erwischt und in Schubhaft genommen. Eigentlich wollte sie zu den in Deutschland lebenden Eltern. Nur durch Zufall erfährt die Kinder-und Jugendanwaltschaft (KiJa) von dem Fall. Nicht einmal das Jugendamt, das eigentlich in solchen Fällen kontaktiert werden müßte, weiß von dem Flüchtlingsmädchen. Als die KiJa Akteneinsicht verlangt, sind die plötzlich verschwunden. Auch an die üblichen Daten wie z.B. das Alter des Mädchen kann sich keiner erinnern. »Keiner wußte, daß sie erst 14 ist«, erzählt Andrea Holz-Dahrenstaedt, Juristin der Kinder- und Jugendanwaltschaft Salzburg. Bei näherer Untersuchung des Falles findet die Juristin dann auch noch heraus, daß das Mädchen nie mit einem Dolmetscher gesprochen hat.

Es ist schockierend genug, daß flüchtende Kinder in Schubhaft kommen. Noch eigenartiger aber erscheint die Tatsache, daß das österreichische Fremdemrecht keine Mindestgrenze für die Verhängung von Schubhaft kennt. Es sieht zwar vor, daß Fremde unter 16 Jahren nur dann angehalten werden dürfen, wenn eine dem Alter und Entwicklungsstand entsprechende Unterbringung und Pflege gewährleistet ist. Doch die gibt es in einem Gefängnis wohl nicht. Zudem sieht die Kinderrechtskonvention (Art. 10, Absatz 1) vor, daß Anträge von Kindern »wohlwollend, human und beschleunigt« bearbeitet werden sollen. Trotzdem passiert es immer wieder, daß Kinder längere Zeit in Schubhaft sitzen. Und die kann bis zu sechs Monate ausmachen. Nur zum Vergleich: Für Jugendliche beträgt die Untersuchungshaft maximal drei Monate. Um sechs Monate Haft aufgebrummt zu bekommen, muß er/sie schon wegen eines Tötungsdeliktes oder mehrfacher schwerer Körperverletzung verurteilt worden sein. Und noch eine Zahl: Am 1.12.1992 waren insgesamt sechs Kinder unter sechs Jahren in Schubhaft. Ihr einziges »Delikt« war die Flucht in eine bessere Lebensumgebung.

Doch nicht nur ausländische Kinder haben so ihre Probleme mit und in Österreich. Ein wichtiger Faktor auf dem Weg ins Erwachsenen-Dasein ist das Spiel. Soziales Lernen, das Miteinanderumgehen, Akzeptieren von Schwächen und Erkennen von Stärken sind wesentliche Elemente von Spielen. Egal, ob Kinder »Vater, Mutter, Kind«, Fußball oder im Sand spielen, hier werden Umgangsformen erprobt. Allerdings brauchen Kinder und Jugendliche zum Spielen Platz. Kleinkindern wird immerhin ein Spielplatz mit Sandkasten, Rutsche und Schaukel zugestanden. Aber aus dem Alter sind Kinder schneller als man denkt heraus. Und dann? Fußballspielen im Verein, Skateboarden am Gehsteig, Basketball auf der Straße? Eigentlich sollte es irgendwelche Normen, Gesetze oder Verordungen geben, damit Kinder und Jugendliche Platz zum Spielen haben. Das Anfang der 90er Jahre initiierte Spielplatz-Gesetz vergammelt in der Schublade. In diesem würde zumindest einer Mindstvorsorge an öffentlichen Spielflächen Rechnung getragen. Dann würde es nämlich nicht mehr zu so krausen Situationen wie dieser kommen: Einige Jugendliche spielen in ihrer Siedlung Basketball. Auf der Straße, weil es keinen anderen Platz gibt. Sie spielen nicht in der Mittagszeit und nicht nach 19 Uhr. Trotzdem flattern ihnen zwei Anzeigen ins Haus. Eine wegen Lärmerregung, eine andere, weil sie auf einer öffentlichen Straße gespielt haben. Jetzt stehen die Jugendlichen vor der Wahl, die Verwaltungsstrafen zu bezahlen oder 24 Stunden im Gefängnis zu verbringen. Nach einigem Hin und Her werden die Anzeigen schließlich fallengelassen. Das Beispiel zeigt, wie wenig Kinder und Jugendliche etwa im Vergleich zu Autos zählen. Die Benzinkutschen machen nämlich auch Lärm, aber immerhin haben sie eigene Flächen - und Gesetze. Die Garagenordnung z.B. schreibt nämlich vor, daß, je nach Wohnungsgröße, für ein bis zwei Abstellflächen vorgesorgt sein muß.

Eine andere Bestimmung, die es sehr wohl in der UN-Konvention, nicht aber im österreichischen Gesetzwesen gibt, hat vor einiger Zeit für vermehrte Berichterstattung über einen Kärntner Sänger gesorgt. In der Lex Udo Jürgens hat die Mutter des gemeinsamen Kindes auf Basis der KRK (Artikel 9,10 und 18) das »Recht des Kindes« auf Besuch und Zuwendung des prominenten Vaters durchgefochten und Recht bekommen. Im ABGB gibt es ein Pendant zu diesem Recht, das hauptsächlich in Scheidungsverfahren angewendet wird. Allerdings wird hier nur von einem Besuchsrecht des Vaters bzw. der Mutter gesprochen. Das Kind als »Objekt« der Begierde, nicht als selbstbestimmendes Subjekt.

Der Verbesserungen gäbe es noch einige. Einer der wichtigsten Punkte ist die Mitbestimmung von Kindern und Jugendlichen in allen sie betreffenden Fragen. Neben der Einbeziehung der Heranwachsenden bei der Gestaltung von Jugendtreffs und Freizeitflächen, wäre ihre Mitwirkung bei der Kinder- und Jugendpolitik ein großer Fortschritt. Bernhard, 13 Jahre alt, hat beim Kindergipfel 1993 in Mürzsteg/Steiermark ein altes, von Eltern gern gebrauchtes Sprichwort, neu interpretiert. »Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr« bezieht der Pfiffikus auf die Partizipation in demokratischen Prozessen. Auf lokaler Ebene könnte beispielsweise das Stimmrecht für Jugendliche ab dem 15. Lebensjahr eingeführt werden. Neben dem aktiven Wahlrecht für Gemeindevertretungs- und Bürgermeisterwahl könnte dieses Recht auch für Bürgerabstimmungen, -befragungen und -begehren gelten. Daß dies alles grundsätzlich möglich ist, hat der Nationalrat bereits am 14. Juli 1994 beschlossen.

In dieser Sitzung wurde auch über die »Möglichkeit der verfassungsrechtlichen Verankerung der Grundsätze des UN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes« (Zitat: Protokoll) diskutiert. Passiert ist bisher allerdings nichts. Nun haben die österreichischen Kinder- und Jugendanwaltschaften das Boltzmann-Institut beauftragt, eine Studie zu erstellen, wie die KRK Verfassungsrang erhalten könnte.

Die UNO-Kinderrechtskonvention wurde am 5.9.1992 in Österreich mit Erfüllungsvorbehalt ratifiziert. Dieser Vorbehalt bedeutet, daß dieser völkerrechtliche Vertrag in der innerstaatlichen Rechtsordnung nicht unmittelbar anwendbar, sondern erst durch die Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist. Durch diese »spezielle Transformation« gilt die UN-Konvention im Rang eines einfachen Bundesgesetzes (kein Verfassungsgesetz). Einzelne BürgerInnen können sich im behördlichen Verfahren nicht unmittelbar auf den Inhalt des völkerrechtlichen Vertragswerkes berufen, sondern nur auf den Inhalt der innerstaatlichen Rechtsvorschriften.