jänner-februar 1998

Helmuth Hollerweger
gelesen

Ira B. Nadel: Various Positions. Das Leben Leonard Cohens.

Berlin 1997, Berlin Verlag, ATS 321,-

Verlust ist die Mutter der Dichtung: Als der neunjährige Leonard Cohen mit dem frühen Tod seines Vaters konfrontiert wird, schnitt er eine seiner Frackschleifen auf, nähte eine Botschaft ein und begrub sie in dem kleinen Garten hinter dem Montrealer Haus im Schnee. Die Botschaft in der Frackschleife blieb ein Talisman für ein ganzes Leben. Später wird Cohen einmal bekennen: »Ich habe jahraus, jahrein den Garten nach ihr umgegraben. Vielleicht ist alles, was ich tue, im Garten nach der Botschaft suchen.«

Das Ergebnis dieser Suche ist ein lyrisches und musikalisches Werk für die Enttäuschten, Melancholiker und Schwermütigen auf diesem Planeten sowie ein bewegtes Leben zwischen Gier und Askese. In einer neuen, vom Künstler aurorisierten Biographie, »Various Positions«, zeichnet der kanadische Literaturwissenschafter Ira B. Nadel nun die geographisch wie emotional verschlungenen Wege dieses poète maudit nach: Von der Bedeutung der jüdischen Gemeinde in Cohens Jugend, über seine literarischen Anfänge und ersten Buchveröffentlichungen, seinen Reisen und Aufenthalten in New York, London, Kuba, Nashville sowie auf der griechischen Insel Hydra, bis hin zum späten Beginn seiner musikalischen Karriere. Und ständig präsent - als Muse, Obsession und schließlich Gefängnis: die Frauen. Einigen von ihnen widmete Cohen Songs - Marianne, Suzanne, andere betete er vergeblich an - Nico, und mit vielen hatte er kürzere oder längere Affären - Joni Mitchell, Rebecca de Mornay. Auch wenn sich Nadel - wie im Genre von Starbiographien üblich - bisweilen allzu ergeben und distanzlos in die Rolle des allwissenden, auktorialen Erzählers begibt, so entwirft er in seiner leicht und spannend zu lesenden Biographie doch ein sehr stimmiges und vielfältiges Bild eines Künstlers zwischen manisch-depressiven Phasen, sinnlicher Leidenschaft und obsessiver Entsagung. Ein besonderes Verdienst des Buches ist es schließlich, daß sie den Schriftsteller und Lyriker Cohen (»Let Us Compare Mythologies«, »Beautiful Losers«, »Flowers for Hitler«) ebenso würdigt wie den vergleichsweise populären Musiker und Sänger.

Letzterer gilt heute als beinahe unantastbarer Klassiker und Ikone. Seine Lieder werden häufig in Filmen verwendet und Bands wie Nick Cave, R.E.M. oder House Of Love machen ihm mit Cover-Versionen auf Cohen-Tribut-Alben deutlich: »I’m Your Fan«.

Der heute 63-jährige Cohen lebt in einem karg eingerichteten, beinahe möbellosen Haus in Los Angeles. Hin und wieder zieht er sich in die »sinnliche Strenge« eines abgelegenen Kloster auf dem Mount Baldy zurück, um sich ausgiebig seiner bislang längsten Liebe, dem Zen-Buddhismus, zu widmen. In Interviews, die nunmehr einen glatzköpfigen Mönch zeigen, gibt sich Leonard Cohen ausgeglichen, philosophisch und abgeklärt. Er sagt Sätze wie: »Ich taugte nicht für Beziehungen, ich taugte nicht für die Ehe und ich taugte nicht als Vater.« Und er wirkt dennoch glücklich. Fast scheint es, als habe er mittlerweile die versteckte Botschaft in seinem Garten wiedergefunden.