jänner-februar 1998

Doc Holliday

Fliegende Torten & schmierige Schweine

Ein kleiner Ratgeber zur Untergrabung der herrschenden Ordnung. Oder: Kommunikationsguerilla in Theorie und Praxis

Was versteht man unter Kommunikationsguerilla?! Untergrundkämpfer mit Laptop, Fax und Modem? Das auch. Aber abseits vom allgemeinen Medienhype, spielt die interpersonelle Kommunikation eine genauso zentrale Rolle. Basierend auf Überlegungen des italienischen Semiotikers Umberto Eco aus dem Jahr 1967, mit dem Titel »Für eine semiologische Guerilla«, geht es um eine abweichende, dissidente Verwendung und Interpretation von Zeichen. »Die Welt der Massenkommunikation ist voll von solchen gegensätzlichen Interpretationen, ich würde geradezu sagen, die Interpretationsvariabilität ist das Grundgesetz der Massenkommunikation« (Eco). Die herrschenden Diskurse sollen aber anders als durch Argumentation und Agitation kritisiert werden. Es gilt traditionelle linke Gesellschaftskritik und emanzipatorische Politik mit anderen, phantasievollen und unkonventionellen Aktionsformen zu ergänzen und zu bereichern. Die Autoren betonen, daß die klassische linke Politik keinesfalls obsolet geworden ist. Wo aber Aufklärung und Information nicht ankommen bzw. nicht genügen, kann Kommunikationsguerilla die wirksame und richtige Taktik sein. Die »Kommunikationsguerilla will die Selbstverständlichkeit und vermeintliche Natürlichkeit der herrschenden Ordnung untergraben. Ihre mögliche Subversivität besteht zunächst darin, die Legitimität der Macht in Frage zu stellen und damit den Raum für Utopien überhaupt wieder zu öffnen«. Keineswegs aber müssen diese Praktiken automatisch gesellschaftsveränderndes Handeln nach sich ziehen. Die subversiven Aktionsformen entstanden größtenteils im Rahmen einer Kunst-Avantgarde, (Dada, die Situationistische Internationale), wurden aber in Kontexte außerhalb des Kunstbetriebs transponiert. »Langeweile ist immer konterrevolutionär«, so ein alter Merkspruch der Situationisten. In diesem Sinne geht es der Kommunikationsguerilla auch um eine Rückeroberung von Spaß in der politischen Arbeit. Das Schreiben und Lesen von Flugblättern und pathetischer Resolutionen, die die eigene politische Relevanz bestimmen sollen, animieren nur sehr selten zum Lachen. Anders verhält es sich mit den Prinzipien, Methoden und Wirkungsweisen der Kommunikationsguerilla (Verfremdung, Überidentifizierung, Camouflage, Fake, subversive Affirmation, Collage und Montage, Entwendung und Umdeutung). Da diese graue Theorie auch noch nicht zu Lachkrämpfen animiert, und es vor lauter Trockenheit nur so staubt, wenden wir uns einigen praktischen Beispielen zu.

Lustige und entlarvende Folgen können gefälschte Briefe oder Flugblätter haben: so geschehen anläßlich der Weltklimakonferenz 1995 in Berlin. Ausgediente Kühlschränke, so wurde vorgegeben, sollten von der zuständigen Senatsverwaltung kostenlos eingesammelt und fachgerecht entsorgt werden. Da die Berliner reichlich von diesem Angebot Gebrauch machen wollten, wurde die » verantwortliche« Behörde mit empörten Anrufen eingedeckt, sodaß diese sich gezwungen sah, ein (humorloses) Dementi abzugeben. Einen ähnlichen Fake-Fall gibt es auch aus Salzburg zu berichten: Ende 1995, mitten im Wahlkampf, tauchten angebliche FPÖ-Flugblätter auf, die »Ein sauberes Salzburg für anständige Bürger« forderten. Unter dem Motto »Wir misten aus!«, versprach man den vor den Häusern abgestellten Sperrmüll abzuholen. Darüberhinaus wurde um Spenden für einen Flohmarkt zugunsten der »totgeschwiegenen Minderheit der Grönland-Deutschen« gebeten.

Eines besonders effektiven Aktionismus bedienten sich die US-amerikanischen Yippies. Die Anarcho-Partei, laut Eigendefinition »Marxisten, die in der revolutionären Tradition von Groucho, Chico, Harpo und Karl« standen, nominierten zu den Präsidentsschaftswahlen 1968 das Schwein »Pigasus«. Nach wiederholten Verhaftungen durch die zweibeinigen »Pigs«, wie Polizisten damals gern genannt wurden, stellten die Yippies schließlich »Nobody« auf. Mit dem Wahlspruch »Niemand gewinnt« gelang den Groucho-Marxisten letztendlich auch gleich die genaue Vorhersage des Wahlausganges. Gegenüber bloßem Reden propagierten die Yippies das Handeln. Große und (kurzzeitig) sichtbare Erfolge hinterließen etwa ihre Tortenattentate. Unter dem Motto »Laßt 1000 Torten fliegen!«, erreichte die Bewegung in den 70ern ihren absoluten Höhepunkt: Flugziele waren nicht nur Ex-CIA-Chefs, UNO-Botschafter und Politiker wie Reagan (dieser wurde aber knapp verfehlt!), sondern auch die Gegenkultur-Berühmtheiten Tim Leary, Andy Warhol oder Jean-Luc Godard. Die Kalorienbomben soll man übrigens nicht werfen, sondern plazieren, und nur das beste Gebäck ist gut genug, denn »wenn eine Aktion schiefgeht, essen wir alles selbst auf«.

Auch Österreich ist ein Sau-Land. Dies bewiesen 1970 Aktivisten des VSSTÖ, die, anläßlich einer Bundesheerparade auf dem Salzburger Residenzplatz, ein zuvor mit Schmierseife präpariertes Innviertler Ferkel aus einem Jute-statt-Plastik-Sack hüpfen ließen, und den uniformierten Sautreibern, der Presse und den Zuschauern ein filmreifes Slapstick-Spektakel bescherten. Lebzelterei und Viehzucht als Basis subversiver Tätigkeit. Wer hätte das gedacht!?

Autonome A.F.R.I.K.A. Gruppe/Luther Blissett/Sonja Brünzels: »Handbuch der Kommunikationsguerilla«. (Verlag Libertäre Assoziation/Schwarze Risse - Rote Straße, Hamburg/Berlin 1997)