jänner-februar 1998

Die schöne Leich' fürs Ohr

Der Trauermarsch-Sammler und FM4-Redakteur Fritz Ostermayer über die Musik zum letzten Geleit

Sie stammen aus aus Mexiko, Österreich, Afrika, New Orleans, Sizilien, sind von Albert Ayler, Robert Wyatt, Lydia Lunch, Lou Reed, Beasts Of Bourbon, Lydia Mendoza, Diamanda Galas und befinden sich auf zwei, unlängst erschienenen CDs mit Trauermärschen und Totenliedern. Mit dem Herausgeber und passionierten Trauermarsch-Sammler Fritz Ostermayer (FM4- »im Sumpf«) sprach Didi Neidhart.

Wie bist Du eigentlich zu den Trauermärschen und Totenliedern gekommen?

• Ich bin ja im burgenländischen Schattendorf aufgewachsen und das örtliche Wirtshaus war genau gegenüber dem Haus meiner Eltern. Dort war aber auch der Proberaum der Schattendorfer Blasmusikkapelle. Also habe ich deren Proben fast immer mitgekriegt. Da die Sterberate im Ort eher hoch war, wurden natürlich hauptsächlich Trauermärsche einstudiert. Wie ich dann mit 14 nach Wien gekommen bin, wollte ich mich u. a. auch durch meine musikalischen Vorlieben vom damals gängigen Geschmack meiner größstädtischen Mitschüler unterscheiden. Und da lagen Trauermärsche irgendwie auf der Hand. Die waren für mich dann auch eine Art »Heimat« in der Fremde. Ich bin dann auf Friedhöfe gegangen und habe mich unter die Trauernden gemogelt. Am besten ist es im Herbst und Winter gegangen, weil ich da meinen Walkman gut unter dem Mantel verstecken konnte. Ich habe dann auch wichtige Fähigkeiten beim Lesen von Totenanzeigen entwickelt, sodaß meine Trauermarschtrefferquote mit der Zeit sehr hoch wurde.

Gab es dabei irgendwelche nekrophilen Nebenaspekte?

• Nicht daß ich mich erinnern könnte. Wie Elias Canetti schon sagt: »Der Tod ist ein Skandal.« Ich bin ja auch eher ein lebensfreudiger Genußmensch und in keinster Weise todessehnsüchtig. Dieses dialektische Verhältnis zu gewissen Obsessionen ist mir schon sehr wichtig.

Es ist aber nicht bei den selbstaufgenommenen Trauermärschen geblieben.

• Nein. Zuerst haben Freunde und Bekannte damit angefangen, mich mit diesbezüglichem Material zu versorgen und dann bin ich aus Zufall, oder weil man eben immer genau das findet, was man sucht, gleich einmal auf Free-Jazzer wie Albert Ayler und die britische Experimentalszene um Leute wie Robert Wyatt und Lol Coxhill gestoßen. Und so kurios das jetzt klingen mag, diese Musik, die sich doch eher als abstrakt und vom Denken her regelrecht materialistisch verstand, hatte für mich sehr viel Ähnlichkeiten mit den Schattendorfer Trauermärschen. Eine komische Art von Spiritualität, eine schleppende und verhatschte Rhythmik, die richtigen »falschen« dirty Notes und einen nicht greifbaren Deliriumscharakter.

War die Auswahl der Stücke eigentlich schwer?

• Bei den Trauermärschen war es um einiges einfacher, als bei den Totenliedern, wo es das Problem gab, wie kann man sozusagen realen Schmerz mit Weltschmerz, d. h. mit dem, was wir unter Popmusik verstehen, zusammenbringen. Hier die Balance zu halten war die schwierigste Aufgabe.

Wobei es als grobe Klammer das Christentum gibt.

Das hatte aber auch praktische Gründe der Materialminimierung. Ich kenne mich aber da halt selber am besten aus. Andererseits ging es mir auch darum einen gewissen (Post-)Kolonialismus-Diskurs zu führen. D. h., was passiert, wenn die Kolonisierten, die ihnen von den Kolonisateuren aufgezwungene Musik für sich neu codieren. Und da besonders die Marschmusik immer schon ein Instrument der Herrschaft war, ist es naheliegend, daß es gerade hier sehr viele Beispiele dafür gibt. Hör dir nur diesen Marsch aus Saigon an. Inmitten dieser improvisierten Trauern blitzen immer wieder Fetzen europäischer Musik auf - Jazz-Standards, Schlager. Es klingt, als würden einzelne Musiker immer wieder vergessen, daß sie auf einer Leich spielen. Ganz abgesehen vom High-Speed-Techno-Tempo der Nummer.

In der Marschmusik ist der Tod ja zweimal eingeschrieben. Einmal beim Sterben auf dem Schlachtfeld und dann beim Heldenbegräbnis. Es fällt aber auf, daß es mit einer Ausnahme fast nur katholische Märsche sind, die sich auf der CD finden. Geben protestantische Trauermärsche weniger her?

• Ich weiß es nicht. Aber daß ich fast nur Trauermärsche katholischer Prägung habe, ist sicher kein Zufall. Der Bildhaftigkeit der katholischen Religion steht die Bilderlosigkeit der protestantischen gegenüber. Kolonisatoren haben es immer leichter gehabt, wenn sie mit reichhaltigem optischen Primborium aufgetaucht sind, weil die meisten ihrer Opfer eh schon bildlich orientiert gewesen waren. Da haben sich protestantische Kolonisatoren am Anfang schon schwerer getan und konnten auch nicht mit derselben Brutalität vorgehen wie die Katholiken. Denn die konnten ihr ganzes optisches Primborium ja auch dazu benutzen, ihre Brutalität damit rechtzufertigen. Aber der Katholizismus ist in jeder Hinsicht theatralisch und bildlich. Die Frage ist nur, wie wehren sich die, die selber schon Bilder in ihrer Tradition haben, gegen diese neuen Bilder. Aus der Geschichte weiß man, daß sich die Bilder irgendwann einmal fusionieren. Kein Bild ist so mächtig, das es alle andern ablösen kann, kein Bild kann total zurückgestoßen werden. Das passiert am Anfang voller Aggression und führt schließlich zu einer perversen Harmonie.

Eines der schönsten Beispiele dafür ist sicherlich die Gleichsetzung der heiligen Barbara mit dem eher dyonisisch angelegten Gott Changó bei der Santeria-Religion auf Kuba. Es bezeichnen sich ja auch alle, die dort Voodoofetische zur praktischen Religionsausübung verwenden als stramme Katholiken. Aber glaubst Du, daß ein Protestant die Nummer »The Ragged Cross« der Trem Brass Band mit einem »Leichenzug durch ein Bordell« assoziieren würde? Oder kann sowas nur dem vom Katholizismus kommenden Atheisten mit kryptokatholischen Vorlieben einfallen? Allein der Gedanke...

• Hat der Gedanke etwas Sündiges an sich?

Ich wüßte nicht.

• Ist dieser Gedanke nicht ursächlich katholisch? Wahrscheinlich ist er das Ergebnis eines zutiefst katholischen Eros-Thanatos-Denkens. Ich bin aber kein großer Kenner der protestantischen Religion und wie man es dort mit dem Eros hält. Sicher nie so verklemmt wie im Katholizismus, aber deshalb auch nie so geil. Wo keine Verklemmung, da keine Geilheit.

Deshalb gibt es ja auch die Beichte.

• Natürlich! Schuld und Sühne sind sowieso ein wichtiges Prinzip. Besonders bei den diversen Totenliedern.

Bei der ausgewählten Musik fällt auf, daß es nichts aus dem Bereich Gothic/Dark Wave gibt. Gerade dort sind ja der Tod und Todessehnsüchte allgegenwärtig.

• Ich verachte das Prätentiöse dieser Musik. Bei dieser Gruftimusik ist auch alles so superperfekt, clean und abgeschmackt. Daher klingt auch deren Moll so unendlich fader, als die Moll einer x-beliebigen Schattendorfer Blasmusikkapelle.

Liegt es nicht auch daran, daß Dark Wave-Bands keine Dur haben? In den Liner-Notes führst Du ja ein Zitat von Louis Armstrong an, wo er erzählt, daß die Blasmusikkapellen in New Orleans nach dem Begräbnis sofort schmissiger gespielt haben, ganz abgesehen davon, was dann beim Leichenschmaus los war.

• Da tanzen die Leute dann. Aber diesen Gothic/Dark Wave-Bands fehlt wirklich dieses andere Element. Alle meine Lieblingskünstler, Nich Cave, John Cale, Lou Reed, haben bei aller Tragik und Trauer auch immer wieder andere Nummern im Programm: Die aggressiv-narrischen, als dialektisches Korrelativ zu den depressiven, oder richtige Uh-La-La-Ausgelassenheiten, die dabei oft schon lächerlich klingen. Wer zu größter Tragik fähig ist, darf auch hin und wieder in St. Tropez am Strand entlangprominieren. Und gerade diesbezüglich sind die Gothic-Bands einfach zu eindimensional. Es fehlt ihnen ja auch an jeglicher Distanz zu sich selbst. Zwar ist es im Angesicht des Todes wichtig, diese Distanz zu verlieren, weshalb die »falschen« Töne bei den Trauermärschen und ihre erschütternden Wirkungen ja auch so wichtig sind. Aber diese Bands sind ja nicht im Angesicht des Todes, sondern höchstens im Angesicht von 2000 Schwarzkitteln, die zum Konzert kommen. Das ist ähnlich wie mit dem Vampirismus. An sich eine wunderbare Sache, wenn man sie ernsthaft betreibt, dabei aber weiß, daß man Pataphysiker ist. D. h., ich weiß ich beschäftige mich eigentlich mit nichts. Aber das tue ich mit höchster Ernsthaftigkeit, Wissenschaftlichkeit und nietzscheanischer Manie und Ironie. So ähnlich sehe ich auch meine Obsessionen für Trauermusik jeglicher Art.

Welche Musik sollte dann erklingen, wenn es dereinst mit Dir in die Grube gehen sollte?

• Auf alle Fälle keine Trauermusik! Trauermärsche sind am Grab immer Scheiße. Wenn ich sowieso nichts mehr davon habe, dann will ich meinen Angehörigen und Freunden nicht auch noch den Schmerz durch das Jammern von Totenweibern vergrößeren. Ich höre im Moment soviel gute neue elektronische Musik. Also würde ich mir für den Fall des Falles etwas Abstrakt-elektronisches wünschen. Am besten etwas Melancholisch-elektronisches, das sich aber nicht durch Funktionsharmonik, sondern durch Sounds definiert. Sonst wären wir wieder bei der klassischen barocken Affektenlehre, wo alle heulen müssen, wenn eine bestimmte Tonfolge erklingt.

Danke für das Gespräch